Der mexikanische Präsident Vicente Fox ist mit sich zufrieden. Seit seinem Amtsantritt hat sich die Menschenrechtssituation verschlechtert, und der Wirtschaft droht eine neue Krise

Völlig losgelöst

Die Situation Mexikos ist, verglichen mit fast jedem anderen Land der Welt, viel besser«, verkündete Vicente Fox kurz vor der Vollendung seines ersten Regierungsjahres. Es herrsche ein »sicheres Investitionsklima mit einer sehr stabilen und soliden Wirtschaft«, und Mexiko sei »beispielhaft in der Wahrung der Menschenrechte«. Am 1. Dezember 2000 hatte Fox als erster Kandidat der Opposition nach mehr als 70 Jahren die Präsidentschaft übernommen und die Dauerherrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (Pri) beendet. Das Programm des ehemaligen Coca-Cola-Managers, der Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Frieden versprach, weckte große Hoffnungen.

Fox' positives Urteil über sein erstes Regierungsjahr wird allerdings nur von wenigen geteilt. Seine konservative Partei Pan verzeichnete in allen regionalen und lokalen Wahlen dieses Jahres hohe Stimmenverluste. Selbst in den eigenen Reihen gibt es Kritik. Senator Carlos Medina Plascencia meint, die errungene Präsidentschaft »vergifte die Partei«, die »die Gesellschaft vergessen« und mit den Prinzipien gebrochen habe, die zu ihrer Gründung führten.

Das alte klientelistische System der ehemaligen Staatspartei Pri blieb weitgehend unangetastet. Hinter Fox stehen die gleichen Unternehmer, die auch den vorangegangenen Präsidenten Ernesto Zedillo an die Macht gebracht und gestützt hatten. Der Einfluss der autoritären Rechten um das Militär ist eher noch gewachsen. So ernannte Fox erstmals in der mexikanischen Geschichte einen Offizier, den ehemaligen General Rafael Macedo, zum Generalstaatsanwalt.

Wie weit die Macht der Militärs reicht, zeigt auch der Fall des 1993 von einem Militärgericht zu 28 Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilten José Francisco Gallardo. Der General, der sich immer wieder gegen Menschenrechtsverletzungen des Militärs gewendet hatte, war inhaftiert worden, weil er angeblich Geld der Armee gestohlen und Archive vernichtet haben soll. Obwohl die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte seine Freilassung forderte und diese Entscheidung gemäß internationalen Abkommen bindend ist, hat Präsident Fox den Beschluss ignoriert. Das entspricht der Position der Militärs und auch Macedos, der zum Zeitpunkt der Verurteilung Gallardos oberster Verantwortlicher der Militärjustiz war.

Die Menschenrechtssituation hat sich nach verschiedenen Berichten im ersten Jahr der Regierung Fox erheblich verschlechtert. So versuchte die Staatsanwaltschaft, im Fall der im Oktober ermordeten Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa ein politisches Tatmotiv auszuschließen und verkündete, eine mögliche Spur seien Meinungsunterschiede innerhalb der Menschenrechtsorganisation. Das Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro, in dem die Anwältin bis vor ihrem Tod arbeitete, geht von einer Tatbeteiligung der Armee aus, doch Fox hält den Fall für ein »gewöhnliches Verbrechen«. In der zweiten Novemberhälfte präsentierte amnesty international einen umfassenden Bericht über die Straflosigkeit in Mexiko, in dem schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben wurden.

Auch die Verhandlungen mit den Zapatisten kommen nicht voran, da das von der Regierung verabschiedete Autonomiegesetz sowohl den Forderungen der indianischen Gemeinden wie auch vorherigen Vereinbarungen mit der EZLN widerspricht, zapatistische Gefangene weiterhin inhaftiert sind und keine Entmilitarisierung erfolgt ist. Während Zehntausende Flüchtlinge immer noch darauf warten, in ihre Gemeinden zurückkehren zu können, haben die Polizei, das Militär und die Paramilitärs immer noch freie Hand. Mitte November, keine vier Jahre nach dem Massaker in der Gemeinde Acteál, das 45 Menschen das Leben kostete, wurden zwei der hauptverantwortlichen Paramilitärführer aus dem Gefängnis entlassen.

Je größer die Probleme in Mexiko werden, desto mehr Zeit verbringt Fox außer Landes. Fast drei seiner ersten zwölf Monate als Präsident war er im Ausland. Während er dort unermüdlich den Standort Mexiko anpreist, scheint selbst der größte Unternehmerverband Mexikos das Vertrauen verloren zu haben. Picard del Prado, Vorsitzender des Canacintra, der 30 000 Firmen des verarbeitenden Gewerbes vertritt, äußerte sich besorgt: »Unter den Industriellen herrscht die Ansicht vor, dass es in der Regierung keine klaren Erkenntnisse über die aktuelle Situation gibt und über das, was wirklich vor sich geht.«

Die Experten des Sistema de Información Regional de México (Sirem) meinen, dass sich die mexikanische Wirtschaft in der gleichen Situation wie Ende 1994 befinde, als Investoren ihr Kapital aus Mexiko abzogen und den »Tequila-Crash« provozierten, der zum Zusammenbruch vieler kleiner und mittlerer Unternehmen und zur Verarmung der Bevölkerung führte.

Im Jahr vor der Machtübernahme Fox' betrug das Wirtschaftswachstum fast sieben Prozent. In diesem Jahr sank es rapide und lag im Jahresdurchschnitt etwa bei Null. Für das dritte Quartal wird sogar ein Rückgang um 1,7 Prozent erwartet. Finanzminister Fracisco Gil Díaz musste Ende Oktober zugeben, dass seit dem Amtsantritt von Fox fast 500 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind.

Und selbst in den Maquiladoras, den vornehmlich entlang der Grenze in Freihandelszonen angesiedelten Billiglohnfabriken, wurden im Laufe des Jahres mehr als 150 000 der über 1,5 Millionen Beschäftigten entlassen. Dennoch betrachtet die Regierung diese Unternehmen, in denen Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen systematisch missachet werden, als »zentrale Achse der Entwicklung der mexikanischen Wirtschaft«. Arbeitsminister Carlos Abascal Carranza bezeichnete die Maquiladora-Industrie sogar als »ein Modell der neuen Arbeitskultur, auf das wir stolz sein können«.

Um die Auslandsverschuldung von derzeit 77,3 Milliarden Dollar zu reduzieren, setzt Fox auf die Hilfe des IWF und der Weltbank. Weitere Kredite in Höhe von 16 Milliarden Dollar hat der IWF zugesagt, er verlangt jedoch einen weiteren Abbau der Arbeitnehmerrechte, darunter auch die weitere Einschränkung oder Annullierung des Kündigungsschutzes sowie Rentenkürzungen. Für das kommende Jahr hat Fox bereits Kürzungen im sozialen Sektor angekündigt: »Die Staatseinnahmen reichen nicht aus, um alles abzudecken.«


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