Die Basis erweitern

Frauenregierung und Frauenbewegung in Mexiko Stadt

Interview mit Claudia Barron

Seit dem historischen Regierungswechsel in Mexiko von noch nicht mal zwei Jahren, weht ein neuer Wind im Land. Das gilt insbesonders für die sozialen Bewegungen. Claudia Barron, Juristin und Feministin kämpft seit Jahren für die Belange der Frauen der Hauptstadt. Dario Azzellini unterhielt sich mit ihr.

Claudia Isabel Barron Martínez, Juristin, Feministin, 34 Jahre alt, leitet seit Anfang Januar 2001 die juristische Abteilung des Fraueninstituts der Stadtverwaltung von Mexiko Stadt. Mexiko Stadt wird seit 1997 von der linken Sammlungspartei PRD regiert. Nach Cuahutemoc Cardenas (der aufgrund seiner Kandidatur zur Präsidentschaft zurücktrat) und Rosario Robles (die Cardenas` Amtszeit zu Ende führte) ist Manuel Lopez Obrador aktuell Bürgermeister. Zuvor arbeitete sie dreieinhalb Jahre in der Staatsanwaltschaft von Mexiko Stadt. Bis Januar 2001 war ihr Alltag allerdings von der Arbeit in der feministischen Nichtregierungsorganisation „Mujeres Trabajadoras Unidas" (Vereinte arbeitende Frauen) geprägt, in der sie seit 1988 aktiv war. In der NRO arbeitete Claudia Barron in der Rechtsberatung, der Verteidigung und juristischen Schulung von Frauen für Frauen - in allen Rechtsfragen. Über die Arbeit in der Organisation beteiligte sich Claudia Barron aktiv an der feministischen Bewegung in Mexiko, sie bezeichnet sich selbst als Linke und Feministin.

Wie sieht die Arbeit des Fraueninstituts aus ? Was sind die konkreten Aufgaben?


Wir haben zwei sehr wichtige Aufgaben. Die eine besteht in der Stärkung der Frauen - vor allem derer mit geringen Einnahmen - hier in Mexiko Stadt. Es geht um die Stärkung ihrer Fähigkeiten, ihrer Beteiligung am sozialen und politischen Leben, wie auch in produktiven Projekten, in Unternehmensgründung usw. Sie sollen die Bedeutung ihrer Partizipation kennen lernen, angefangen von der Demokratisierung der Familie, über die Partizipation im Stadtteil, bis hin zur Stadtregierung und mexikanischen Regierung. Die zweite zentrale Aufgabe des Fraueninstituts ist dafür zu sorgen, dass die Genderpolitik in dieser Stadtregierung alle Ministerien und Bereiche durchzieht.

Häufig werden doch aber Fraueninstitute gegründet, um sich der Genderpolitik als Querschnittsaufgabe zu entledigen. Wie ist die Beziehung mit den verschiedenen Ministerien? Wie wird dort die Arbeit des Fraueninstituts gesehen? Welche Probleme resultieren daraus für dich und für NRO's?


Wir stehen derzeit tatsächlich vor dem Problem, dass der Stadtrat von Mexiko Stadt beschlossen hat ein Fraueninstitut vom Rang eines Ministeriums ins Leben zu rufen. Das gibt uns zwar theoretisch eine gewisse Autonomie, andererseits existiert aber nicht der legale Rahmen dafür, dass dieses Institut dafür sorgen kann Genderpolitik in allen Bereichen einfließen zu lassen. Wir waren als Fraueninstitut und als Teil der Regierung gegen diesen Vorschlag und wollten eine andere Form diskutieren, doch die Abgeordneten haben anders entschieden. Das war eine schwierige Situation für mich, da auch die meisten Genossinnen aus der Frauenbewegung für diesen Vorschlag waren. Meine Rolle als Leiterin der juristischen Abteilung war aber genau auf diese Defizite hinzuweisen und zu kritisieren, dass das was in anderen Ländern vielleicht funktioniert, in Mexiko wegen einer anderen juristischen und legalen Situation nicht so klappt.

Ich habe das Gefühl, dass Sie sich in dem Widerspruch befinden, das Fraueninstitut einerseits und andererseits eine Bewegung zu repräsentieren. Identifizieren Sie sich mit der Institution, mit der PRD oder mit der Bewegung?

(lacht). Ja, ich identifiziere mich mit der Institution und mit der Bewegung. Mit der PRD nicht, ich bin auch nicht Parteimitglied. Auch wenn ich natürlich sowohl für das Programm wie auch für viele Leute in der PRD Sympathien hege. Ich stehe aber mehr für die Arbeit des Instituts und die Ziele der feministischen Bewegung.

Wieviel Raum gibt es denn für feministische Politik, wenn wie im Moment „Austerität" einer der wichtigsten Begriffe in der Stadtpolitik zu sein scheint?


Als Institut waren wir von der Austeritätspolitik eigentlich nicht betroffen. Unser ordentlicher Haushalt für dieses Jahr wurde zwar von 47 Millionen Peso (ca. 6 Millionen Euro) auf 44 Millionen Peso gekürzt, doch gleichzeitig erhielten wir eine Zusatzfinanzierung von 15 Millionen Peso (ca. 2 Millionen Euro) - zehn Millionen davon sind übrigens für die Finanzierung von NRO's gedacht. Auch in anderen Bereichen sieht es ähnlich aus, etwa im Gesundheitssektor, in dem auch viele Programme spezifisch auf Frauen zugeschnitten sind. Dieser wurde als prioritär bezeichnet und war von den Kürzungen nicht betroffen.

Wie gestaltete sich der Übergang von deiner Arbeit in einer NRO zu einer Regierungsinstitution?

Es war kompliziert, da von Seiten dieser Regierung keine umfassende Kommunikation mit den verschiedenen Frauenorganisationen bestand. Auch meine Ernennung zur Leiterin des Fraueninstituts erfolgte ohne Rücksprache mit den Frauenorganisationen. Die Frauenbewegung ist der Ansicht, dass ihr von der Regierung Lopez Obrador nicht die Aufmerksamkeit zu Teil wurde, wie es bei vorhergehenden linken Stadtregierungen der Fall war. Es bestand ihrer Ansicht nach auch nicht die nötige Kommunikation, um sich in Fragen der Frauenpolitik abzusprechen. Die Politik von Lopez Obrador entspricht also weder den Wünschen der Frauenbewegung noch der Politik vorheriger Bürgermeister. Das Institut ist beispielsweise an das Sozialministerium der Stadt angebunden, während die Bewegung es vorziehen würde, wenn es enger an das Innenministerium der Stadt gebunden wäre, um so aus der Geschlechterpolitik eine Querschnittsaufgabe zu machen und ihr mehr Gewicht zu verleihen. Das bringt mich manchmal in eine schwierige Situation ...

Aber mir gefällt diese Arbeit, denn ein Job in der Regierung gibt dir die Möglichkeit eine Verbindung zu Institutionen zu entwickeln, die dir eine NRO nicht gibt... natürlich musst du dafür eine Reihe Formalitäten - protokollarische Angelegenheiten - entwickeln und das gestaltet sich für mich oft schwierig. Oft pfeife ich auch darauf und daher bin ich bei vielen Funktionären nicht sehr beliebt, da sie meinen, dass ich mit der Kritik an ihrer Arbeit übertreibe. Aber wenn mir etwas ethisch fragwürdig erscheint, dann hinterfrage ich das natürlich. Das Bild der Funktionäre ist hier noch sehr von der Sichtweise unter der alten Regierungspartei PRI geprägt, gemäß der die Institutionen nicht kritisiert werden dürfen. Das gilt es natürlich auch zu verändern.

Schwierig ist für mich auch, dass sich die NRO`s vom Bürgermeister nicht genug beachtet fühlen... der aktuelle Bürgermeister hatte bisher nicht genug Sensibilität, um eine offenere Beziehung mit den NRO's im allgemeinen zu entwickeln. Dennoch gibt es eine bedeutende Beteiligung der Zivilgesellschaft und vieler Organisation sowohl an der Arbeit des Fraueninstituts wie auch an der Arbeit der verschiedenen Ministerien. Es gibt also keinen direkten Draht zum Bürgermeister, aber einen sehr direkten Kontakt in der Arbeit und auch in der Absprache von Maßnahmen mit den verschiedenen Repräsentanten seiner Stadtregierung.

Aber die PRD verhält sich doch häufig auch sehr opportunistisch. Vor etwas über einem Jahr z.B. wurde über die Gesetzesvorlage zu homosexuellen Lebensgemeinschaften nicht einmal diskutiert, da viele PRD-Abgeordente die Ansicht äußerten „der Augenblick sei nicht opportun". Das war zwar bevor du angefangen hast im Fraueninstitut zu arbeiten, doch Beispiele dieser Art gibt es ja viele in der Geschichte der Linken... Existieren weitere Probleme dieser Art und wie verhält sich das Fraueninstitut demgegenüber?

Wir haben keinerlei Beschränkung in unseren Positionen und so haben wir damals die Gesetzesinitiative unterstützt und ihre Bedeutung auch dann noch unterstrichen als die Abgeordnete, die sie vorgeschlagen hat, sie wieder zurück zog. Aktuell z.B. arbeiten wir aktiv in der Verteidigung der von der vorherigen Bügermeisterin Rosario Robles eingeführten Ausweitung der Gründe für legale Abtreibung in der Stadt. Die Abgeordneten der konservativen Regierungspartei PAN haben eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die aktuelle PRD-Regierung hat uns nie eine Linie auferlegt. Aber es kommt natürlich trotzdem zu Situationen, in denen Parteivertreter sagen etwas sei nicht opportun. An der Ausarbeitung der Gesetzesinitiative zur Ausweitung des Konzepts der Lebensgemeinschaften im Zivilrecht war ich als Vertreterin von NRO's beteiligt und da knallten natürlich gesellschaftliche und parteipolitische Interessen aufeinander. Wir haben allerdings auch als Bewegung - Frauen, Homosexuelle und Zivilgesellschaft - nicht genügend Arbeit in diesem Bereich geleistet. In Ecuador z.B. wurde ein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung sogar in die Verfassung aufgenommen. Das war möglich, da die verschiedenen Organisationen und Bewegungen ein breite gesellschaftliche Arbeit leisteten und anhand einer Befragung auch zeigten, dass die Gesellschaft nicht dagegen ist. Als Bewegung haben wir zwar oft recht, doch wir argumentieren häufig nicht gut genug und es ist uns auch schon passiert, dass die Initiativen schlecht ausgearbeitet waren.

Wie ist denn das Verhältnis zwischen dem Fraueninstitut und der feministischen Bewegung und den Frauen-NRO's?

Am Anfang war die Situation schwierig, denn die Leiterin, Isabel Molina, kommt nicht aus der Bewegung sondern aus der PRD. Doch die Arbeit, die im vergangenen Jahr geleistet wurde - und über die die Frauenorganisationen und Repräsentantinnen der Frauenbewegung, die im Rat des Fraueninstituts sitzen, auch regelmässig informiert werden - hat bewiesen, dass wir als Team die Arbeit des Fraueninstituts voran bringen. Wir haben unsere Arbeit im vergangenen Jahr mit der Zustimmung der Frauenbewegung abschließen können.

Gibt es denn Sektoren der Frauenbewegung, die die Arbeit des Instituts stärker kritisieren oder nicht mit dem Institut zusammen arbeiten wollen?

Die wichtigste Scheidelinie im Feminismus in Lateinamerika und auch in Mexiko während der vergangenen Jahre verlief zwischen dem sogenannten „autonomen Feminismus" und dem „institutionellen Feminismus", der stärker an der Zusammenarbeit und dem Wirken auf und in Institutionen orientiert ist. Ich selbst komme aus dem „institutionellen Feminismus", habe aber viele gute Freundinnen, die aus dem „autonomen Feminismus" kommen und teile auch viele ihrer Positionen. Der „autonome Feminismus" ist in Mexiko aber nicht sehr repräsentativ und die allermeisten feministischen NRO's arbeiten mit dem Institut zusammen. Aber natürlich gibt es auch kritische Sichtweisen und ich halte das für wichtig und bereichernd, gerade wenn du in einer institutionellen Tätigkeit steckst. So gibt es auch auf den Versammlungen des Rats des Instituts, auf denen Arbeit und Vorhaben vorgestellt werden, immer wieder Kritik.

Welche Struktur und welche Entscheidungsmacht hat denn der Rat?


Der Rat ist ein Organ des Instituts, um Einschätzungen einzuholen. Er besteht aus Frauen aus NRO`s, Akademikerinnen und den Abgeordneten der Kommission für „Gleichheit und Gender" („equidad y genero) des Stadtrats. Das Institut lädt die Frauen ein, an dem Rat teilzunehmen. Der Rat trifft sich alle drei Monate, hat aber noch vier verschiedene Arbeitsgruppen, die kontinuierlicher zusammen kommen. An den Arbeitsgruppen nehmen Frauen aus dem Rat und aus anderen Ministerien teil. So kommen Genderfragen auch in andere Ministerien. Die Kommissionen haben zwar, so wie auch der Rat, keine bindende Entscheidungsfunktion, aber es wird versucht zu gemeinsamen Positionen zu kommen.

Was sind denn die häufigsten Kritiken von Seiten der NRO's am Institut und welche Kritik hättest du wiederum an den NRO's?

Im vergangenen Jahr wurde stark kritisiert, dass es zwischen den verschiedenen Abteilungen des Instituts zu wenig Koordination gibt, um die Vorhaben gemeinsam durchzuführen. Daraufhin bekam eine der NRO's im Rat den Auftrag - mit Finanzierung - die Struktur zu untersuchen und Veränderungsvorschläge zu machen. Das ist nun die Grundlage für die Gestaltung unserer Arbeit im Jahr 2002. Eine weitere Kritik betrifft das vermeintliche Fehlen von ausreichenden Informationen über unsere Arbeit und hier liegt auch meine Kritik an den NRO's. Häufig lesen sie die Berichte, die Dokumentationen, die wir ihnen zukommen lassen, nicht. Dann frage ich mich natürlich auch, wie gut die Beteiligung einer Vertreterin einer NRO sein, wenn sie die Berichte zu den Treffen nicht liest... andererseits kann ich das auch verstehen, das ist mir selbst auch häufig genug passiert. In einer NRO wächst dir die Arbeit häufig über den Kopf und du schaffst es nicht alles zu lesen, aber dann halte ich mich in meiner Kritik über Informationspolitik lieber zurück.

Häufig ist es doch aber auch so, dass linke Regierungen AktivistInnen aus Bewegungen und NRO's in die Institutionen absaugen und die Bewegungen an Kraft verlieren, häufig nicht mehr den notwendigen gesellschaftlichen Druck ausüben können... siehst du diese Problematik auch hier?

Ja, in der Hauptstadt auf jeden Fall. Viele Leute aus Bewegungen und NRO's arbeiten mittlerweile in der Stadtregierung. Meine NRO ist z.B. fast nicht mehr existent, eine Genossin unserer Gruppe wurde „delegada" (eine Art Bürgermeisterin) eines Stadtbezirks und sie hat natürlich Frauen für Arbeit gesucht, zu denen sie ein grosses Vertrauen hatte und mit denen sie gut arbeiten konnte, die waren aus unserer Gruppe und anderen Frauenorganisationen. In meiner NRO ist im Moment nur noch eine Frau Vollzeit tätig. Viele NRO's aus der Frauenbewegung sind so stark ausgedünnt worden, das gleiche ist auch mit vielen Menschenrechtsorganisationen geschehen.

Führt das nicht zu einer gefährlichen Situation, in dem Sinne, dass zunehmend die Basis abhanden kommt, für die eigentlich eine gewisse Politik gestaltet werden soll und dessen gesellschaftlicher Druck benötigt wird?

Ja, das stimmt. Aber ich glaube das Problem liegt vorwiegend darin, dass wir als Organisationen nicht gelernt haben unsere Basis zu erweitern, sondern immer mit den gleichen Leuten gearbeitet haben und wenn dann die Leute weggehen, die immer da waren, bricht die Arbeit zusammen. Das darf nicht so sein.