Anschlagserie schockt Italien

Wer steckt hinter der Falange armata?

Italien ist verunsichert wegen der jüngsten Anschlagserie. In der Nacht zu Mittwoch waren bei drei Bombenattentaten in Mailand und Rom fünf Menschen getötet worden. Gewerkschaften bezeichneten als Ziel der Anschläge: Destabilisierung des demokratischen Lebens. Bekannt hat sich zu ihnen eine von den Agenturen als "bisher unbekannt" bezeichnete Organisation namens Falange armata.

Attentate auf Roma, Industrielle und Linke

Doch ganz so unbekannt ist die bewaffnete Phalanx nicht: Sie bekannte sich in den letzten Jahren nämlich zu fast allen Terrorakten in Italien, u. a. zu dem Anschlag auf die Uffizien in Florenz vor zwei Monaten, zu dem Mord an zwei Industriellen in Catania im Oktober 1990, zu dem Feuerüberfall auf ein Roma-Lager in Bologna zwei Monate später, bei dem zwei Menschen starben, sowie zur Ermordung dreier Carabinieri bei Bologna Anfang 1991. Auch den im Mai 1991 verübten Brandanschlag auf das besetzte linke Kulturzentrum "Corto Circuito" in Rom, bei dem ein Mensch ums Leben kam, nahm die Falange auf ihre Kappe.

Es gibt mehrere Versionen über die Existenz der  Falange armata , die sich selbst als "nationalrevolutionär" bezeichnet. Einige Kenner der faschistischen Szene in Italien vermuten, es handle sich bei ihr um einen Ast der vor allem in den 70er Jahren aktiven Bewaffneten Revolutionären Stoßtrupps (NAR), der Verbindungen zu den italienischen und deutschen Geheimdiensten nachgesagt werden. Der einzige Anschlag, den die Falange tatsächlich begangen hat, soll jener auf das besetzte Zentrum in Rom gewesen sein, die anderen seien eindeutig eine Nummer zu groß. So dementierte auch die baskische ETA Bekennerbriefe der Phalanx nach einer Anschlagserie gegen spanische Einrichtungen in Italien und wies darauf hin, daß sie die Falange als Gegner betrachte.

Die "Strategie der Spannung" Mario Coglitore und Sandro Scarso, Autoren des im April 1992 veröffentlichten Buchs "Die Nacht der Gladiatoren", trauen der Falange armata jedoch mehr zu. Für sie ist die Phalanx eine hochprofessionelle Gruppe, die sich aus Carabinieri, die falsche Fährten legen, Geheimdienstlern und Neo-Nazis zusammensetzt und nach der aus Gladio-Zeiten bekannten "Strategie der Spannung" vorgeht: Scheinbar zusammenhangslose Attentate übrigens bislang mit Schwerpunkt Mittelitalien, wo die KP-Nachfolgeparteien ihre Hochburgen haben sollen ein Klima der Angst erzeugen, in dem die Bevölkerung nach einem starken Staat ruft. Flächendeckende Autokontrollen nach dem Anschlag von Rom sind danach als Erfolg dieser Strategie zu werten. "Unser Kampf wird um so gewalttätiger sein, je moderater und machtloser die politische Antwort ist", sagte ein anonymer Anrufer, der sich der Falange zurechnete, der Nachrichtenagentur ANSA im letzten Jahr.

Wer kann zu einer Zeit, in der das politische System Italiens seine Glaubwürdigkeit verloren hat, Interesse an solchen Anschlägen haben? Auch die ansonsten zerstrittenen Altparteien sind sich in deren Verurteilung einig, was sie bislang nur waren, wenn es darum ging, von den alten Herrschaftsstrukturen zu retten, was zu retten ist. Doch sie haben ausgedient, auch wenn sie sich umbenennen oder die alte Garde auswechseln. Radikalere Gruppierungen bekommen verstärkt Zulauf. Für gewisse Kräfte können Bomben in dieser Situation also auch stabilisierende Wirkung haben. Offenbar kommunizieren die Hintermänner der alten Republik mit den Erneuerern mittels Sprengstoff.

Erneuerung geht an Polizei vorbei


Die politischen Strukturen Italiens basieren noch auf der Ost-West-Konfrontation, und die scheinbare Handlungsfähigkeit der Justiz reicht allein für eine Erneuerung nicht aus. Es verschwinden zwar korrupte Politiker und Wirtschaftsvertreter hinter Gittern, während Polizei, Geheimdienste und Militärs unbehelligt bleiben. Daß alle Bereiche geheime Querverbindungen haben, bewies jedoch schon die Affäre um die Loge P 2. Bislang ist es vor allem die radikale Linke, die verschiedene Bombenanschläge der letzten 20 Jahre den Geheimdiensten und dem Staat ankreidet. Und neueste Ermittlungen geben ihr recht: So hat offenbar der Geheimdienst 1974 beim Anschlag auf den Italicus-Schnellzug, bei dem 12 Personen starben, beim Besorgen des Sprengstoffs geholfen und Spuren verwischt.