Venezuela ein Jahr nach dem Putschversuch

Und er regiert immer noch

Vor einem Jahr, am 11. April 2002, stürzte eine Gruppe Armeegeneräle zusammen mit Großunternehmern Hugo Chávez. Chávez, der zuvor mit großer Mehrheit gewählte Präsident Venezuelas, wurde abgeführt - unter der Drohung den Präsidentenpalast zu bombardieren. Der Vorsitzende des Unternehmerverbandes, Pedro Carmona, ernannte sich am nächsten Tag selbst zum neuen Präsidenten. Die Putsch-Regierung wurde sofort von den USA und Spanien anerkannt, der IWF bot Kredite an. Währenddessen stieß die Oligarchie im Präsidentenpalast Miraflores mit Champagner an. Keine 48 Stunden später wurden die verfassungsmäßige Regierung und Präsident Hugo Chávez wieder eingesetzt. Loyale Armeedivisionen und mehrere Millionen Menschen hatten dafür gesorgt.

Genau ein Jahr später, im April 2003, fand in Caracas das "Weltsolidaritätstreffen mit der bolivarianischen Revolution" statt. Der Name war Programm, erinnerte er doch an Simon Bolivars Traum von einem vereinten und freien Lateinamerika, auf den sich die Regierung Chávez beruft. Über die Möglichkeiten der Realisierung dieses Traumes debattierte vier Tage lang ein Spektrum, das etwa so breit ist wie die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Allerdings kritisierten Basisorganisationen, dass das politisch für Venezuela bedeutende Ereignis auf einige Nobelhotels und Gebäude in der Innenstadt konzentriert blieb. Die Bewegung, die Chávez wieder an die Macht brachte, hätte gerne auch Veranstaltungen in "ihren" Stadtteilen gesehen.

Die Unterstützung für "ihren" Präsidenten ist dennoch ungebrochen. Auch wenn es manchmal mit der Revolution nicht so einfach ist. Zwar wurde eine der progressivsten Verfassungen der Welt von 80 Prozent der Bevölkerung in einer Volksabstimmung angenommen und zahlreiche Gesetze und Programme zu Gunsten von Armen, Frauen und indigener Bevölkerung verabschiedet. Doch die Justiz ist nach wie vor in den Händen der ehemals herrschenden Schichten.

So entschied der Oberste Gerichtshof mit elf zu neun Stimmen, dass es im vergangenen Jahr keinen Putsch gegeben hätte. Chávez sei nicht gefangen, sondern "in Schutz" genommen worden und die Militärs hätten in einem Machtvakuum gehandelt - "von guten Absichten geschwängert". Auch die Verfahren bezüglich der 19 Toten vom ersten Putschtag stocken. Praktisch alle hatten, entgegen der Behauptungen der Opposition, zu den Anhängern des Präsidenten gehört. Auf einen Staatsanwalt wurden Schüsse abgegeben. Er hatte in einem Todesfall nachgewiesen, dass dieser auf das Konto der von der rechten Opposition geführten Stadtpolizei von Caracas ging.

Auch die ökonomische Situation ist alles andere als einfach. Allein von 1999 bis Ende 2002 verlor Venezuela durch Kapitalflucht 32 Milliarden Dollar. Die Sabotage der staatlichen Erdölindustrie im Rahmen der Streiks im Dezember und Januar hinterließ Einnahmeausfälle von sieben Milliarden Dollar. Zwar sind die Prognosen des IWF von 17 Prozent Minuswachstum im Jahr 2003 sicher stark übertrieben, aber dennoch ist die Situation alles andere als rosig.

Von guten Absichten geschwängert

Die Regierung setzt derweil auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und auf Landverteilung. Eine halbe Million Hektar wurden allein in diesem Jahr verteilt - bevorzugt an Kooperativen. Bis Ende des Jahres sollen es drei Mal so viel sein. Dafür wurde nicht einmal Land enteignet, sondern nur das durch Großgrundbesitzer illegal angeeignete Land zurück geholt. Doch selbst das werden diese nicht einfach hinnehmen. In der Region südlich des Maracaibo-Sees wurden in den vergangenen Jahren mehr als 60 Bauern von Killern im Dienste der Großgrundbesitzer ermordet.

Die Opposition wähnt sich derweil, nicht zuletzt durch den Krieg gegen Irak, im Aufwind. Auf allen privaten TV-Kanälen läuft eine aggressive Kampagne: "Jetzt holen wir dich", lautet die Botschaft an Chávez. Das wird allerdings nicht ganz einfach werden. Denn die Opposition hat sich durch die gewaltsame Aussperrung von Unternehmern bei den Streiks im Dezember und Januar und durch die Sabotage der Erdölindustrie stark diskreditiert. Selbst von vielen Chávez-Gegnern ist inzwischen auf der Straße zu hören: "Weder mit der Regierung, noch mit der Opposition". Der Vorsitzende der Elitegewerkschaft CTV, Carlos Ortega, und der Vorsitzende des Unternehmerverbandes, Carlos Fernandez, beide Multimillionäre und Anführer der vergangenen Proteste, haben sich mittlerweile ins Ausland abgesetzt.

Die regierungsnahen Kräfte sind sich daher sicher, dass Chávez die Volksabstimmung über seinen weiteren Verbleib zur Hälfte seiner Amtszeit im August diesen Jahres gewinnen wird. Regierung und Opposition hatten sich am 10. April geeinigt, diese Volksabstimmung durchzuführen - obwohl Chávez im Jahr 2000 nach Verabschiedung der neuen Verfassung erneut als Präsident wieder gewählt und damit bestätigt worden war. Die Volksabstimmung müsste die Opposition, gespalten und diskreditiert wie sie ist, eigentlich verlieren. Doch die setzt auf eine "Abstimmung mit leeren Mägen" und die Opposition tut ihr Bestes, um die wirtschaftliche Situation weiter zu verschlimmern. Zusätzlich wird versucht, ein Klima der Angst zu erzeugen. Die TV-Kanäle hämmern den Zuschauern pausenlos ein, Venezuela sei auf dem Weg zum "Castro-Kommunismus".

Ohne Arbeit, mit Hunger und mit Chávez

Kurz nach der Bekanntgabe der Einigung zwischen Regierung und Opposition bezüglich der Volksabstimmung richtete eine Bombenanschlag in der Nacht vom 11. auf den 12. April schwere Schäden im Sitz der Verhandlungskommission an. Die Täterschaft ist zwar bisher nicht nachgewiesen, doch regierungsnahe Kräfte haben sicher kein Interesse an einer solchen Destabilisierung. Indes lautet eine trotzige Losung von Millionen: "Ohne Arbeit und mit Hunger, ich bleib' mit Chávez".