Drogenhandel in Kolumbien - im Prinzip ein Geschäft wie jedes andere

Koka makes the world go round

Das Drogenbusiness gehört neben dem Waffen- und Ölgeschäft zu den bedeutenden Weltwirtschaftszweigen in Kolumbien. Der Drogenhandel ist der dynamischste Reichtumsfaktor. Die Großbanken profitieren von der Geldwäsche der Narco-Dollars, das Großkapital verdient beim Handel der Vorprodukte für die Kokainherstellung und beim Transport. Es verwundert daher nicht, wenn Oligarchie, Politiker, Polizei und Militärs tief in das Business verstrickt sind. Nicht umsonst gibt es zur Zeit Gerichtsverfahren gegen die gesamte Regierung Samper und viele Kongressabgeordnete wegen der Annahme illegaler Drogengelder.

Auch der riesige paramilitärische Apparat unter der Führung von Carlos Castaño kann nur dank der Koka-Einnahmen finanziert werden. Laut US-Drogenbehörde DEA verlassen fast 70 Prozent des nach Nordamerika und Panama verkauften kolumbianischen Kokains das Land über Häfen, die unter der Kontrolle von Carlos Castaños Leuten stehen.

Die enorme Einträglichkeit des Drogenbusiness ist allerdings vorwiegend in der Drogenverbotspolitik begründet, durch die der Risikogewinnanteil im illegalen Drogengeschäft auf 95-99 Prozent steigt. Davon bleiben nur etwa 10-15 Prozent in den südlichen Erzeugerländern, während die restlichen Einnahmen in den Industrieländern abgeschöpft werden. Folglich haben diese auch wenig Interesse an einer Legalisierung.

Eine genaue Aussage, wie viele Drogengelder in die kolumbianische Ökonomie einfließen, ist kaum zu treffen, doch die Tatsache, dass allein im Laufe des Jahres 1993 Bankkonten und Anlagen von Drogenunternehmern aus Medellín mit einem Gesamtwert von 1,4 Milliarden US-Dollar eingefroren wurden, gibt eine Vorstellung über die Größenordnung. Die verschiedenen Schätzungen schwanken zwischen 1,5 und sieben Milliarden US-Dollar Deviseneinnahmen jährlich, was angesichts des Volumens der Gesamtökonomie einen wesentlich kleineren Anteil am BIP ausmacht (zwischen drei und 14 Prozent) als etwa in Bolivien oder Peru. Die meisten Schätzungen gehen von etwa 6 Prozent des BIP und einem ebenso hohen Arbeitsplatzanteil aus. Damit sind Drogen - entgegen weit verbreiteter Vorstellungen - nicht das wichtigste kolumbianische Exportprodukt.

Dennoch wurden über die Jahre hinweg zweistellige Milliardensummen akkumuliert und größtenteils in Ländereien, Immobilien, Luxuskonsumgüter und Dienstleistungen investiert. Das Vermögen der Drogenbourgeoisie soll bereits Anfang der 90er Jahre mehr als 30 Prozent des gesamten kolumbianischen Reichtums inner- und außerhalb der Landesgrenzen ausgemacht haben.

Kartelle oder postfordistische Unternehmen?
Für gewöhnlich werden die illegalen Strukturen der Drogenhändler als "Kartelle", also als große, weit verzweigte Organisationen dargestellt. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen allerdings nur unzureichend. Die Existenz großer Kartelle, die transnational hierarchisch organisiert sind, ist schon allein aus Sicherheitsgründen unwahrscheinlich. Darauf, dass es kein hierarchisch funktionierendes Kartell mit alles kontrollierenden Bossen an der Spitze gibt, hatte selbst der frühere kolumbianische Generalstaatsanwalt Gustavo Greyff wiederholt hingewiesen. Die illegalen Strukturen der Drogenhändler entsprechen wohl eher Organisationsmustern, wie sie auch von postfordistischen, transnationalen Konzernen bekannt sind (d.h. auf der Basis von just in time, Outsourcing, Subunternehmertum usw.). Entsprechend arbeitete auch das "Cali-Kartell" als modernes dezentralisiertes Unternehmen transnational, war mit modernsten Geräten und Techniken ausgestattet, unternahm Marktanalysen, entwickelte neue Verkaufsstrategien und neue Produkte sowie Produktionsabläufe etc.

Um den kolumbianischen Drogenmarkt zu beschreiben, scheint der Begriff des "illegalen Marktes" am besten geeignet. Demnach existieren, laut dem kolumbianischen Forscher Ciro Krauthausen, auf dem Drogenmarkt ebenso wie auf Märkten legaler Produkte, "Käufer und Verkäufer, Groß- und Kleinhändler, Makler, Importeure und Verteiler, Preise, Bilanzen und Profite und - was selten vorkommt - Verluste". So wie andere Geschäfte ist auch der Drogenhandel primär auf die Profitmaximierung ausgerichtet. Dabei teilt sich, ähnlich wie bei anderen Wirtschaftszweigen, das Geschäft in Wettbewerbssektoren (Kokabauern, kleinere Aufkäufer der Kokapaste, Groß- und Kleinhändler des Endprodukts) und einen oligopolistischen Sektor, der sich im Wesentlichen in den Händen einer begrenzten Anzahl von kolumbianischen Exporteuren befindet.

Die Strukturen des oligopolistischen Sektors stellen den Motor des gesamten Geschäfts dar. Die Personen, die diese Strukturen ausfüllen, sind allerdings - wie in der legalen Wirtschaft - frei austauschbar, daher führt ihre Verhaftung auch nicht zum Verschwinden des Drogengeschäfts. So berichtete ein FBI-Agent über den Kokainhandel Medellíns, die Managementhierarchie sei meist fließend gewesen, Positionen wie Organisationszugehörigkeit wechselnd und auch eigenständige Nebengeschäfte wären vorgekommen. Teilweise schließen sich sogar mehrere Drogenunternehmen zusammen, um gemeinsame Großinvestitionen - wie z.B. den Bau von Großlabors mit Kosten von zum Teil 20 Mio. US-Dollar - vorzunehmen. Die Vertriebsstrukturen der Oligopole werden auch unabhängigen Produzenten - gegen Bezahlung - zur Verfügung gestellt.

Infiltrierte Agenten der DEA im Cali-Kartell haben feststellen können, dass an der Spitze des zellenartig organisierten Konglomerats ein "Rat der Unternehmer" steht. Jeder einzelne von ihnen ist von diversen Beratern und Delegierten umgeben, die sich jedoch untereinander nicht kennen. Dieser "Rat" kümmert sich um legale Investitionen des Clans, koordiniert die Geldwäsche, die Einrichtung von Laboratorien und den Vertrieb der Drogen. In einer Untersuchung stellte die Tageszeitung El Espectador 1994 fest: "Außer den Gebrüdern Rodriguez Orejuela sind alle anderen Unternehmer Akademiker: Anwälte, Ökonomen, Betriebswirte, die sich gerne mit jungen Universitätsabsolventen umgeben, die neue Ideen in das Unternehmen einbringen könnten".

Kapitalisten wie andere auch
Nach der Zerschlagung des Medellín-Kartells (in Folge des Todes von Pablo Escobar) im Dezember 1993 und des Cali-Kartells 1995 fächerte sich die Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien weiter auf. Es traten zwar auch wieder neue "Kartelle" auf, etwa das "Cartel del Valle", doch bei genauer Betrachtung entspricht die heutige Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien, nach Angaben des Observatoire Geopolitique de Drogues (OGD) mit Sitz in Paris, einem dichten Netz von 2.000-3.000 kleinen und 40 mittleren Organisationen, die insgesamt über mindestens 700 geheime Landebahnen verfügen sollen. Von vielen wird die Zerschlagung des "Cali-Kartells" als ein mit der kolumbianischen Regierung vereinbarter Rückzug interpretiert, nachdem das "Cali-Kartell" eine wesentliche Rolle beim Krieg gegen das "Medellín-Kartell" gespielt und sein Exportnetz in die USA in Verhandlungen teilweise an mexikanische Narcos abgegeben hatte. Tatsächlich gelten die mexikanischen Drogenhändler mittlerweile als die mächtigsten des amerikanischen Kontinents. Die kolumbianischen Narcos haben hingegen einen Großteil ihrer illegalen Gelder in legalen Unternehmen rein gewaschen und treten heute diskreter als früher in Erscheinung. Sie behielten aber ihre Vormachtstellung in Produktion, Raffinierung und Handel.

Zur Sicherung der eigenen Straffreiheit hingegen sind umfassende Maßnahmen notwendig. Gewalt ist dabei nicht einmal das favorisierte Vorgehen, da sie Aufmerksamkeit erregt. Dementsprechend scheiterten auch die Kokainunternehmer des "Medellín-Kartells", die die Gewalt als Mittel überstrapazierten und ihre strukturellen Grenzen zu spät erkannten. Die meisten Strukturen bauen ihre Führung auf Verwandtschaftsverhältnissen oder langjährigen Freundschaften auf, um sich eine entsprechende Vertrauensbasis zu sichern. Zu den weiteren Maßnahmen zum Schutz vor Strafverfolgung gehören auch die Sicherung von Loyalität in der Bevölkerung durch soziale Maßnahmen", die Bestechung von Behörden, Justiz und Repressionsorganen sowie die Infiltration der verschiedenen Machtebenen.

Doch die Illegalität des Produkts, das daraus folgende Fehlen juristischer Sicherheiten im Geschäftsverkehr und die ebenfalls aus der Illegalität resultierenden hohen Gewinnspannen unterscheiden Kokain (bzw. Drogen im Allgemeinen) von anderen Produkten. Gewalt erscheint daher aus unternehmerischer Sicht als ein notwendiges Mittel zur Regulierung des Handels.

In Medellín hatte sich als Folge der Aufträge der Drogenhändler mit der Zeit eine regelrechte Todesindustrie mit geradezu lehrbuchhaften, postfordistischen Organisationsmustern herausgebildet. Die kolumbianische Regierung geht davon aus, dass etwa 10.000 Personen in diesem Bereich tätig sind, 25 Prozent davon als Vermittler. Nach offiziellen Angaben operierten Anfang der neunziger Jahre in Medellín 300 Jugendbanden und mindestens 5.000 Sicarios - wie die Killer in Kolumbien genannt werden. Ihre Jobs bekommen sie von eigens auf die Vermittlerrolle spezialisierten "Vermittlungsagenturen", von denen es Mitte der 90er im Stadtgebiet von Medellín zum gleichen Zeitpunkt mindestens 45 gegeben haben soll. Die "Vermittlungsagenturen" bieten den Kunden höchstmögliche Anonymität, ersparen ihnen die direkte Kontaktaufnahme mit den Sicarios und interessieren sich nicht für die Motive. Die billigsten erledigen Morde für 125 bis 800 DM, für etwas kompliziertere Aufträge werden zwischen 2.000 und 25.000 DM verlangt. Diesen Preis übersteigen die angesehensten "Vermittlungsagenturen" um ein Vielfaches.

Die Jugendlichen, die die Morde letztendlich durchführen, sind dabei das letzte Glied in der "Outsourcing-Kette" und bekommen - ebenso wie die Produzenten in der legalen Wirtschaft nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Auftragsvolumen. So erhielt beispielsweise der 15-jährige Sicario, der am 22. März 1990 den UP-Präsidentschaftskandidaten Bernardo Jaramillo ermordete, nur etwas über 1.500 DM von den insgesamt 825.000 DM, die das Attentat gekostet haben soll.

Von Dario Azzellini und Raul Zelik ist im ISP-Verlag das Buch "Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung" erschienen.