In Italien haben sich Jugendliche "Soziale Zentren" geschaffen Immer mehr von ihnen werden jetzt legalisiert

Freiräume am Mittelmeer

Mitten in Mailand: ein ehemaliger Fabrikhof, eine große Konzerthalle, ein kleiner Infoladen, eine T-Shirtdruckerei, ein linkes Archiv, Übungsräume für Bands, eine Kneipe, täglich Volksküche und vieles mehr. Jeden Abend, und besonders am Wochenende, drängeln sich hunderte oder tausende Jugendliche auf dem Grundstück. Punks und RapperInnen, Hippies und Redskins, Altlinke und SchülerInnen, ItalienerInnen und ImmigrantInnen, für alle ist Platz im besetzten Zentrum "Leoncavallo". Für Jugendliche mit wenig Geld gibt es die "discoteca popolare", die Volksdisco. Es gibt auch ein "Kollektiv antifaschistischer Mütter". Sie stehen bei allen Demos Seite an Seite mit den vermummten Jugendlichen des Leoncavallo.

160 Zentren landesweit


Das Leoncavallo ist eines der vielen besetzten Zentren in Mailand, eines der 160 selbstverwalteten "sozialen Zentren", wie sie in Italien heißen. Hier schaffen sich junge Menschen, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden oder sich schlicht nicht mit dem Ellbogensystem abfinden wollen, Freiräume. Freiräume, um ihr Leben selbst zu gestalten, aber auch um ihre Meinung zu sagen, Aktionen durchzuführen. Faschisten aus dem Stadtteil zu jagen, gehört genauso dazu, wie die Schaffung eines Kindergartens.

Die besetzten Zentren Italiens waren auch der Geburtsort des italienischen HipHop und Raggamuffin, der sich strikt politisch und linksradikal gibt. Insgesamt bewegen sich in ganz Italien etwa 150-200 000 Personen im Umfeld der Zentren. Kein Wunder, daß diese Italiens Mächtigen ein Dorn im Auge sind, auch wenn sich nicht alle Zentren so stark politisch engagieren wie das Leoncavallo. Das "Leo" existiert seit 20 Jahren. Eine Geschichte von Räumungen und Wiederbesetzungen, Prozessen und Repression, von Freude und Trauer. 1978 wurden zwei Jugendliche aus dem "Leo" von Faschisten ermordet, die Polizei verprügelte sogar noch die Zeugen. Dieses Jahr war es wieder so weit: Das "Leo" wurde geräumt. Der neue Bürgermeister von der rechtspopulistischen Regionalpartei "Lega" hatte den Mailändern vor den Wahlen zugesagt, "das Krebsgeschwür Namens Leo zu beseitigen".

Die Betroffenen reagierten schnell. Zwar konnte die Räumung nicht verhindert werden, aber sofort wurde ein anderes leerstehendes Fabrikgelände besetzt. Zur italienweiten Demonstration am 16. September kamen 20 000 Personen, um ihre Solidarität mit dem Leoncavallo zu bekunden und für das Existenzrecht der besetzten Zentren zu demonstrieren. Die Polizei provozierte von Beginn an, und als schließlich die Abschlußkundgebung von massiven Polizeikräften verhindert wurde, platzte den DemonstrantInnen der Kragen. Eine Polizeisperre wurde hinweggefegt, und es kam zu mehrstündigen Straßenschlachten.

Nach dem Krawall gab's Verträge

Während die Zeitungen und Fernsehanstalten, die größtenteils im Besitz des rechtskonservativen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi sind, einen neuen Bürgerkrieg heraufbeschworen und die zumeist jugendlichen DemonstrantInnen als "Terroristen" beschimpften, saß auch den Politikern der Schreck in den Gliedern. Schon wenige Tage nach den Krawallen begannen Bürgermeister in ganz Italien den Zentren in ihren Städten eine Legalisierung anzubieten. Allen voran der Grüne Bürgermeister Roms, der allen 30 Zentren der Hauptstadt Verträge anbot.