Mexiko: Zapatisten bereiteten sich acht Jahre auf den Kampf vor

Eine neue Guerilla wurde geboren

Der bewaffnete Konflikt im mexikanischen Bundesstaat Chiapas hat alle überrascht. Wie aus dem Nichts scheint das Zapatistische Heer zur Nationalen Befreiung (EZLN) aufgetaucht zu sein. In den Medien ist von einem "Indianer-Aufstand" zur Verbesserung der "sozialen Situation" die Rede. Damit aber wird man der tatsächlichen Tragweite des Konflikts keineswegs gerecht.

Über Jahrzehnte hinweg gab es in Mexiko im Unterschied zu anderen mittelamerikanischen Ländern keine bedeutende Guerilla. Doch mit den Aktionen von Chiapas wurde deutlich, daß die Zeit der Befreiungsbewegungen in Lateinamerika keineswegs der Vergangenheit angehört. Im Gegenteil, die Zapatisten gehören offenbar zu einer neuen Generation von Guerillagruppen, von denen sicher noch weitere entstehen werden. Dies vor allem in Ländern mit einem hohen Anteil indianischer Bevölkerung wie etwa Ekuador oder Bolivien.

Die EZLN hat sich nach eigenen Angaben acht Jahre lang auf den Kampf vorbereitet. Sie soll an die 2000 Aktive haben. Im Mai 1993 tauchten erstmals unbestätigte Meldungen über Gefechte mit der Armee auf. Die Zapatisten verstehen sich als eine Volksbefreiungsarmee. Es gehe darum, so äußerte ein Sprecher der EZLN zum Erstaunen all derer, die Marx abgehakt haben, "den Sozialismus einzuführen". Er rechnet "mit vielen Verletzten und Toten unter unseren Freunden, aber wir werden niemals unsere Waffen abgeben. Wir werden die Revolution weiterführen, bis wir siegen." Offenbar hat die Ausweglosigkeit der sozialen Situation und die Debatte über die Erweiterung sozialistischer Konzepte durch die Beachtung ethnischer Unterdrückung zu einer Neuauflage des bewaffneten Kampfes geführt.

Die lange Vorbereitungszeit, einzelne Losungen und die Rhetorik viel deutet darauf hin, daß sich die EZLN am Focus-Modell Che Guevaras orientiert. Dies besagt, daß revolutionäre Gruppen durch Aufnahme des bewaffneten Kampfes in Teilen des Landes die Verhältnisse insgesamt zu einer revolutionären Situation zuspitzen können. Heute finden sich solche Konzepte etwa beim Heer zur nationalen Befreiung (ELN) in Kolumbien und der OPRA, einer der fünf Gruppen, die die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) bilden.

Viele guevaristische Organisationen vertreten heute die Vorstellung, daß es sich bei Revolutionen nicht um die militärische Machtübernahme, sondern um langanhaltende Prozesse handelt. Sie verfolgen die "kontinentale Befreiung" und werden daher auch Continentalistas genannt. Erste Äußerungen der EZLN deuten auf ein ähnliches Verständnis hin. Kontakte der Zapatisten zu anderen Guerillas sind durchaus wahrscheinlich besonders zur URNG, da Chiapas an deren Operationsgebiete in Guatemala grenzt. Zudem leben etwa 40.000 guatemaltekische Flüchtlinge in der Region. Sie sind ebenso wie die Indianer in Chiapas Nachfahren der Mayas. Auch ist es möglich, daß die zahlreichen Mexikaner, die in Nikaragua und El Salvador revolutionäre Erfahrungen sammelten, diese nun zu Hause einbringen.

Die Zapatisten werden kein vorübergehendes Phänomen sein. Mexiko hat jetzt eine Guerilla, die u. a. durch ihre Verankerung in Teilen der 12 Millionen Indianer des Landes ein politischer Faktor ist, der der Regierung gewiß zu schaffen machen wird.