Was ändert sich nach einem Präsidentenwechsel in Kolumbien? Nichts.

Die gleiche Schweinerei

In Kolumbien wurde am 19. Juni ein neuer Präsident gewählt. Bei der Stichwahl machte der „liberale“ Kandidat Samper das Rennen. Knapp gewann der immer verständnisvolle Onkel-Doktor-Typ vor dem ewig lächelnden „konservativen“ Pastrana, Marke Versicherungsagent. Geändert hat sich damit eigentlich nichts, „Samper o Pastrana – la misma marrana“, „Samper oder Pastrana – die gleiche Schweinerei“, hieß es auf Sprühereien, die während des Wahlkampfes auftauchten. Eine Meinungsäußerung, die nicht ohne Risiko ist. Wer irgendetwas sprüht oder verklebt, was mit den in der „Guerillakoordination Símon Bolívar“ zusammengeschlossenen Befreiungsbewegungen in Verbindung gebracht werden könnte, auf den eröffnen Polizei und Militärs schlicht das Feuer. Eine parlamentarische Opposition gibt es nicht. Und auch die legale Opposition hat es in der „Narco-Demokratie“ nicht leicht.

Szenenwechsel: Ostern 1994, Tausende von gläubigen Kolumbianern pilgern auf den Stadtberg Monserrate. Auch Antonio Navarro Wolff, ehemaliger Guerillero und Vorsitzender der „Demokratischen Aktion M19“, AD-M19, vormals Guerillaorganisation, ist mit von der Partie. Trotz einer Beinprothese krabbelt er auf Knien zum Wallfahrtsort und verkündet, er wolle „für die politische Auferstehung der AD-M19 beten“. Das Spektakel läßt jeden einigermaßen progressiven Menschen am Verstand des Präsidentschaftskandidaten Navarro Wolff zweifeln. Ist vermeintlich linke Politik durch zu Kreuze kriechen herbeizubeten?

Eine politische Erneuerung hätte die M19, die eigentlich kaum noch auszumachen ist, bitter nötig. Bei einer Wahlbeteiligung, die ohnehin bei nur 30 Prozent lag, erreichte sie bei den Wahlen zu Senat und Repräsentantenhaus im März diesen Jahres nur noch 3,8 Prozent, vor vier Jahren waren es noch 12,5 Prozent gewesen.

Nach ihrer Entwaffnung vor vier Jahren war die M19 mit großen Plänen auf Kolumbiens politische Bühne getreten. Sie wollte als dritte Kraft das Zweiparteiensystem des Landes aufbrechen. Auf parlamentarischem Wege an der Macht kratzen die sich Konservative und Liberale seit rund 40 Jahren teilen. Linke zweifelten bereits damals an den Chancen der AD-M19, doch im Ausland genoß sie hohes Ansehen. Auch in Deutschland setzten viele Linke ihre Hoffnung in die Gruppierung und übersahen dabei wissentlich, daß die M19 bereits zu ihren Guerilla-Zeiten über kaum politisches Profil aber dafür über eine dürftige Programmatik verfügte, daß die wenigen konkreten politischen Äußerungen der M19 eher auf eine bewaffnete Sozialdemokratie als auf revolutionäre Politik schließen ließen. Was die M19 bekannt gemacht hatte, waren spektakuläre Aktionen gewesen. So etwa die Besetzung des Justizpalastes in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá 1986 – die in einem Desaster endete: Die Armee stürmte das Gebäude mit Panzern, der größte Teil der M19-Guilleros starb und unzählige Zeugen des Massakers ließen die Militärs verschwinden...

Bereits das 1990 mit der Regierung abgeschlossene Friedensabkommen stellte eine Niederlage dar. Die M19 war damals geschwächt, die Repression seitens Militärs und Regierung gerade besonders stark. Die M19, eigentlich Teil der Guerillakoordination Simon Bolivar, verhandelte heimlich und scherte plötzlich aus dem Bündnis aus. Gleich nach den Wahlen beteiligten sie sich sogar an der Regierung. Der liberale Präsident Gaiviria nahm Antonio Navarra Wolff als Gesundheitsminister mit in sein Kabinett. Und so saßen die Ex-Guerilleros neben ihren ehemaligen Schlächtern und sorgten für den Erhalt eines der repressivsten Regierungssysteme Lateinamerikas. Wen wundert es da, daß die M19 an Glaubwürdigkeit verloren hat.

Die AD-M19 beging unter Antonio Navarro Wolff den großen Fehler sich nicht deutlich von den traditionellen Machtstrukturen zu distanzieren, verbündete sich gar mit diesen. Damit machte sie ihre eigene Existenz überflüssig. Mittlerweile ist die ehemalige Guerilla fast vollständig zerfallen, sie hat selbst Schwierigkeiten, ihre eigenen Mitglieder zu überzeugen. Präsidentschaftskandidat Navarro steht so gut wie alleine da. Ein Teil seiner Ex-Genossen und Genossinnen hat sich direkt dem Präsidentschaftskandidaten der „Liberalen Partei“, Ernesto Samper, zugewandt und ihm ihre Unterstützung zugesagt. Ein weiterer Teil hat sich der Initiative einer weiteren kleinen Guerilla-Abspaltung (CRS) angeschlossen. Sie wollen das Ungültigstimmen auf den Wahlzetteln als besonders deutliche und innovative Form des Protestes entdeckt haben. In einem Land, in dem ohnehin kaum jemand wählt und in dem die Demokratisierung eine einzige Farce ist, sicherlich eine sehr vielversprechende Art politischer Arbeit.

Die „Patriotische Union“ (UP), ein linkes Bündnis an dem sich auch die kolumbianische KP beteiligt, versucht trotz aller Schwierigkeiten legal linke Politik zu betreiben. Oftmals scheint es ein Kampf gegen Windmühlen. Laut dem neuesten Bericht von amnesty international wurden allein von 1985 bis 1993 annähernd 2 500 Angehörige der UP ermordet.

Knast, Folter und Tod trifft nicht nur alle, die sich wehren, sondern auch Menschen deren einziges „Vergehen“ darin besteht arm zu sein. In den letzten Jahren haben Todesschwadronen vermehrt Aktionen zur „sozialen Säuberung“, wie sie es nennen, durchgeführt. Bettler, Lumpensammler und Straßenkinder sind die häufigsten Opfer.

Die Mörder gehören meist der Polizei und dem Militär an, oft geben sie sich nicht einmal die Mühe, ihre Identität zu verbergen. In fast allen Großstädten Kolumbiens, Bogotá, Medellin, Bucaramanga usw., sind daher in den armen Vierteln Stadtteilmilizen zu finden.

Die meisten von ihnen stehen der zweitgrößten Guerilla des Landes, der UCELN, nahe. Ihre Rolle ist zwiespältig, „wir wollen die Bevölkerung verteidigen und ihre Selbstorganisation unterstützen“, sagt die höchstens 18jährige Miliciana Magdalena, „Angriffe auf Polizei und Armee gehören zu unseren Aufgaben, ebenso das Vorgehen gegen Drogenhändler, Mörder und Vergewaltiger, doch manchmal verlangen die Leute im Stadtteil Sachen von uns, bei denen wir nicht wissen wie wir uns verhalten sollen. Klar, wollen wir der bewaffnete Arm der Bevölkerung sein, aber ich kann doch zum Beispiel nicht was gegen jemanden unternehmen, der geklaut hat, weil er Hunger hatte.“