Chávez’ Vorsprung

In Venezuela steht das Referendum zur Amtsenthebung des Präsidenten Hugo Chávez vor der Tür. Hunderttausende von Chávez-AnhängerInnen werben für ein Nein.

Damit das Referendum zur Amtsenthebung des venezolanischen Präsidenten am 15. August angenommen wird, muss eine Mehrheit der Bevölkerung Ja stimmen, und es müssen mehr als die 3,7 Millionen Stimmen zusammenkommen, die Hugo Chávez in den Wahlen 2000 erhalten hatte. Laut dem Direktor des Nationalen Wahlrats, Jorge Rodríguez, halten sich sechzig Prozent der Medien, vor allem die Fernsehsender, nicht an die Regeln für ausgewogene Ausstrahlung politischer Propaganda. Nach Untersuchungen des Informationsministeriums widmeten private TV-Sender in den ersten zwei Wochen der Kampagne nur 25 Prozent der Sendezeit den AnhängerInnen der Regierung, während 75 Prozent der Opposition gehörten.

Trotz des Ungleichgewichts in den Medien liegt Chávez in allen Umfragen vorne. Selbst in eindeutig der Opposition nahestehenden Instituten wird Chávez ein Vorsprung von 10 bis 15 Prozent vor der Opposition eingeräumt. Die Schätzungen geben ihm bis zu 57 Prozent der Stimmen, während andere Institute sogar von über sechzig Prozent ausgehen. Die Oppositionskoordination gab trotz dieser Umfrageergebnisse bekannt, sie führe mit zehn Prozent vor Chávez und es werde zu politischer Instabilität kommen, wenn das Ergebnis nicht entsprechend ausfalle. Die Opposition scheint – angesichts der nahezu sicheren Niederlage – eine Situation öffentlicher Unsicherheit hinaufbeschwören zu wollen. Ihre Bemühungen, den Nationalen Wahlrat zu diskreditieren, und die bisher ausgebliebene Erklärung, dass sie das Ergebnis des Referendums akzeptieren werde, lassen viele BeobachterInnen darauf schliessen, dass sie versuchen wird, durch falsche Erklärungen über die ihr nahestehenden Massenmedien eine unklare Situation entstehen zu lassen, die zu Unruhen im Land führt. Dies könnte dann wiederum als Grund für die Nichtanerkennung des Referendums oder die Forderung nach einer internationalen Intervention herhalten.

Bei Unruhen könnten auch die venezolanischen Paramilitärs zum Zuge kommen, die sich seit ein bis zwei Jahren mit tatkräftiger Unterstützung ihrer kolumbianischen Kollegen im Land organisieren. Erst im Mai waren auf der Farm eines Exilkubaners über hundert kolumbianische Paramilitärs verhaftet worden, die militärische Aktionen in Venezuela geplant hatten. Besorgniserregend sind auch der Raub von 67 Kilo C-4-Sprengstoff und zahlreicher Waffen aus einer Militäranlage sowie einer Wache der Nationalgarde während der vergangenen Tage.
Teil der Oppositionsmanöver könnte auch das Carter-Zentrum sein, das in den vergangenen Jahren mehrere Wahlprozesse in Venezuela beobachtet hat. Für das Referendum wurde das Carter-Zentrum erneut als Beobachter zugelassen, obwohl es in der Vergangenheit mehrmals Probleme gegeben hatte, da sich das Zentrum nicht an die Richtlinien für die Beobachtung hielt, sondern auch politisch agierte. Das Carter-Zentrum unterhält auch diesmal seit Tagen häufige Treffen mit politischen VertreterInnen der Regierung, aber vor allem der Opposition, was den Verdacht politischer Absprachen aufkommen lässt.