Mit dieser Frage beschäftigten sich auch kritische Linke aus den drei großen westeuropäischen Ländern, die unlängst auf Einladung des Internationalismus-Referats des Bildungswerks in Berlin weilten.

Wie links sind die Regierungen in Frankreich, Großbritannien und Italien, die unterdessen jeweils über ein Jahr im Amt sind?

Frankreich: Jospins Drahtseilakt
Mogniss Abdalla : Das Kapital ist zufrieden

Mogniss Abdallah arbeitet in Paris in der linken Medienagentur »Agence IM’Média« Er unterstützt die Bewegung der »Sans Papier«, der papierlosen Einwanderer, und veröffentlichte zuletzt eine Untersuchung über das Verhältnis zwischen »Sans Papier« und Erwerbslosen.

Aus welcher Stimmung heraus und mit welchen Hoffnungen wurde die Jospin-Regierung gewählt?

Jospin wurde nach einer Reihe verschiedener Protestbewegungen gegen die alte Juppé-Regierung, vor allem gegen den Abbau sozialer Leistungen und die Situation von Migranten betreffend, gewählt. Ein weiterer Grund für seinen Wahlsieg im Juni 1997 war, daß die Front National (FN) in Südfrankreich Bürgermeisterwahlen gewonnen hatte und die Angst herrschte, daß es zu einer Zusammenarbeit zwischen der republikanischen und der extremen Rechten kommt.

Was hat sich seither verändert?

Die Regierung versucht einerseits die vorherige neoliberale Politik, die auf die Maastricht-Kriterien festgelegt war, weiterzuführen und andererseits den stetig wachsenden sozialen Druck abzubauen. Es gab in Frankreich eine bedeutende Arbeitslosenbewegung, die die Erhöhung des sozialen Mindestsatzes forderte. Jospin aber ging nicht auf die Forderung nach 1500 Franc (ca. 500 Mark - ND) Mindesteinkommen für alle ein, machte nur kleine Zugeständnisse.

Wie agieren Kommunisten und Grüne in der Regierung?


Es ist paradox: Einerseits unterstützen sie die Regierung und sagen, sie sei besser als eine rechte Regierung und die einzige Möglichkeit, die FN aus der Regierung rauszuhalten. Andererseits versuchen sie die Regierung unter Druck zu setzen, um Besserungen herauszuschlagen. Aber durch das über allen schwebende Damoklesschwert einer rechten Regierung können sie nicht viel erreichen.

Sind die Unternehmer zufrieden mit der Regierung?

Das Kapital hatte nie Angst vor Jospin, und der Börse geht es sehr gut. So gut, daß selbst wir uns gewundert haben, keine negativeren Reaktionen festzustellen. Aber der Drahtseilakt, die vorherige Wirtschaftspolitik beizubehalten und andererseits soziale Proteste zum Schweigen zu bringen, stößt auf viel Zuspruch.

Wie wird sozialer Protest zum Schweigen gebracht?

Es wird ständig verkündet, man müsse »über die Dinge reden, um zu sehen was möglich ist und was nicht«. Dieses »gemeinsam reden« wird allgemein die »Jospin-Methode« genannt. Die Regierung hat zum Beispiel einige Maßnahmen versprochen, die auf den ersten Blick als links erscheinen können, wie etwa die Schaffung von 300 000 Arbeitsplätzen für Jugendliche, bezahlt nach dem Mindestlohn oder die Ankündigung der 35-Stunden-Woche. Das erscheint erstmal als positiv, doch wegen der Linie der Balance zwischen den Interessen der Bevölkerung und des Kapitals wurde kein Gesetz erlassen, das die Arbeitszeitverkürzung verpflichtend einführt. Die Unternehmer haben bis zum Jahr 2002 die Regelung umzusetzen und bekommen bei Umstellung außerdem noch 9000 Franc pro Arbeitsplatz und Jahr vom Staat. Dafür soll aber eine zusätzliche Flexibilisierung der Arbeitszeiten zugelassen werden, zum Beispiel Jahresarbeitsstunden anstatt Wochenstunden.

Ein gutes Geschäft für die Firmen.

Ja, und es werden keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Dazu müßte man mindestens auf 32 Wochenstunden runter, bei vollem Lohnausgleich und ohne Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

Eine der interessantesten Bewegungen war zuletzt die Sans-Papier-Bewegung, also zugunsten jener ohne gültige Einwanderungsdokumente. Wie hat Jospin darauf reagiert?

Er versuchte die Bewegung zu spalten und nicht auf die politische Dimension einzugehen, sondern alle als Einzelfälle zu behandeln. Wir haben zusammen gekämpft und »Papiere für alle« gefordert, eine politische Entscheidung, allen »Papierlosen«, die es wollen, Papiere zu geben. Die Regierung hat hat dies abgelehnt und die Ebene verschoben, indem sie die Zuständigkeit der Einzelfallbearbeitung und Entscheidung in die Kommunen verlagerte.

Jospin hatte doch zugesagt, alle zu legalisieren ...


So schien es, aber jetzt wird deutlich, daß nur jene legalisiert werden, die Familie in Frankreich haben. Das mußte die Regierung tun, da die Betroffenen sonst vor dem Europäischen Gerichtshof hätten klagen können. Wir stehen also heute vor der Situation, daß 50 Prozent der 150 000 »Sans Papier« legalisiert wurden und die anderen 50 Prozent abgelehnt. Daher beginnt die Bewegung wieder von neuem, und sie protestiert vor allem auch gegen die Vorgehensweise. Denn durch die Aufforderung sich zu melden besitzt die Polizei jetzt die genauen Daten auch der 75 000 abgelehnten »Sans Papier« und konzentriert sich besonders auf sie.

Britannien: Blair in Maggies Rüstung

Les Levidow: Labour-Linke nur noch ein Schatten

Les Levidow arbeitet seit 1989 an der Open University London über »Politik der Technologie«. Er ist Autor zahlreicher Buchbeiträge über Wissenschafts- und Technologiekritik sowie Mitherausgeber des »Radical Science Journal«. Als Mitglied der »Association of University Teachers« (AUT) ist er einer Kampagne gegen die Ausweitung der Gelegenheitsarbeit aktiv.

Mit welchen Hoffnungen wurde die Labour-Regierung gewählt?

Die meisten hatten einfach die konservativen Regierungen satt. Aber große Hoffnungen bestanden nicht. Tony Blair hatte ja mit Blick auf das Kapital noch extra vor den Wahlen verkündet, Großbritannien hätte die schlechtesten Arbeiterrechte in Europa, und das würde auch nach den Wahlen so bleiben. Außerdem hatte Blair die Labour Party schon in den Jahren vorher entsprechend umgemodelt.

Großbritannien hatte einst mächtige Gewerkschaften ...


Einerseits halten sie still, weil eine Labour-Regierung an der Macht ist, andererseits wurden viele Streiks durch gewisse Gesetze illegalisiert. So herrscht zum Beispiel ein Streikverbot für »Betriebsfremde«. Das haben sich viele Unternehmer zu Nutze gemacht und ihre Betriebe so weit segmentiert, daß es formal viele Betriebe sind und kein Zweig den anderen mit Solidaritätsstreiks unterstützen darf. So lief es auch bei den Liverpooler Dockern. Als es im Hafen zu Solidaritätsstreiks von Arbeitern des gleichen Unternehmens kam, wurden einfach alle entlassen, was formal auch möglich war, da sie zu »verschiedenen« Unternehmen gehörten. Die Liverpooler Docker hatten sehr viele Sympathien seitens der Gewerkschaftsbasis, doch Solidaritätsaktionen von den Gewerkschaften kamen keine zustande.

Haben sich also die Befürchtungen, daß Blair und seine New Labour den neoliberalen Kurs fortsetzen, bewahrheitet?


Ja, absolut, und New Labour ist sogar dynamischer als die Konservativen. Selbst bürgerliche Zeitungen karikieren Blairs Finanzminister in Anspielung auf die »Iron Lady« Thatcher mit der gleichen Ritterrüstung, die sie in Karikaturen bekam. Die Sparmaßnahmen der neuen Regierung sind sehr rigide, eine alleinerziehende Frau mit Kindern hat jetzt monatlich etwa ein Drittel weniger Geld zur Verfügung als vorher. Hinzu kommen Arbeitsbeschaffungsprogramme, die von Sozialhilfeempfängern nicht abgelehnt werden dürfen, da ihnen sonst die Unterstützung gestrichen wird. Obwohl sie in diesen Jobs nur 60 Pfund (rund 180 Mark) die Woche bekommen, während ihnen gleichzeitig die Sozialhilfe gestrichen wird. Eine andere Maßnahme sieht »Praktika« in Betrieben vor. Dafür bekommen die Unternehmer 60 Pfund pro Woche Zuschuß für jeden angebotenen Platz, und ihr Anteil beträgt ebenfalls 60 Pfund, abzüglich der Sozialbeiträge bleibt den »Praktikanten« dann nicht viel mehr als der Sozialhilfesatz. Dafür müssen sie Vollzeit arbeiten und das in Stellen, in denen Billigarbeitskräfte nötig sind. Zu ihrer Qualifikation trägt das nicht bei, aber es senkt das Lohnniveau.

Das britische Kapital ist also zufrieden mit Blair?

Auf jeden Fall. Der Umbau beziehungsweise Abbau des Sozialstaates wurde von Blair ohne nennenswerten Widerstand fortgeführt, Arbeiterrechte wurden weiter beschnitten, und alle »arbeitspolitischen« Maßnahmen haben zunächst das Wohlergehen der Wirtschaft im Auge. Dann hat Blair ja auch Großbritannien stärker in die EU eingebracht und in dem Punkt mit dem »Antimodernismus« der Konservativen gebrochen. New Labour unter Blair ist ein viel zuverlässigerer Modernisierer als die Konservativen. Große Teile des Kapitals haben die Botschaft begriffen und konsequent auf Blair gebaut.

Was ist mit dem einst so bekannten linken Labour-Flügel geschehen?

Er wurde systematisch herausgedrängt. Einige überlegen neue Partei-Projekte, andere sind in Teilbereichen aktiv, ein Teil hat das Handtuch geworfen. Die Labour-Linke ist bestenfalls noch ein Mythos, und das auch nur noch im Ausland.

Wer leistet Widerstand gegen die neoliberale Politik?

Das sind sehr wenige. Einzelne Initiativen sind sichtbar und langsam entstehen Verbindungen. Aber insgesamt lähmt die Zersplitterung sehr. Ich nenne es den dualen Weg der Globalisierung: Als erstes wird die Gesellschaft durch Aufhebung der Klassenidentität fragmentiert, und dann werden die Individuen in das neoliberale System reintegriert. Dadurch ist Fähigkeit zum gemeinsamen Widerstand natürlich stark geschwächt. Auf kurze Sicht bin ich Großbritannien betreffend auch nicht sehr optimistisch. Es wird lange dauern, bevor aus den einzelnen Initiativen und versprengten Resten wieder starke Bewegungen entstehen.
Italien: Kein neuer Sommer à la Keynes

Aldo Bonomi: Nur das Euro-Ziel erreicht

Der Soziologe Aldo Bonomi leitet das Forschungsinstitut A.ASter in Mailand und ist Berater des Nationalen Rats für Wirtschaft und Arbeit (CNEL). Er gibt die Zeitschrift Iter heraus und hat diverse Bücher zu Veränderungen des Arbeitsmarktesund der Produktion veröffentlicht.

Aus welcher Situation heraus wurde die Prodi-Regierung gewählt?


Die Mitte-Links-Regierung ist aus einem Klima heraus an die Macht gekommen, bei dem eine in der Tradition der italienischen Linken begründete Sorge prägend war. Nämlich zu erleben, wie die extremen Rechten an der Regierung beteiligt sind. Das hat eine Art antifaschistischen Reflex ausgelöst. Es war schließlich nach 40 Jahren Hegemonie des Zentrums und Regierungen unter den Beteiligung von Sozialisten das erste Mal, daß die Rechte an die Macht kam.

Es bestand aber auch die Hoffnung, daß bei einer Abwahl der Rechten deren Politik des Sozialabbaus nicht fortgesetzt werden würde...


Genau hier liegt die Tragödie. Die Rechts-Regierung wurde gestürzt, weil sie das zusammenhalten wollte, was nicht zusammenpaßt: den territorialen Radikalismus von Bossis Lega Nord, den Wirtschaftsliberalisnus von Berlusconi und die rechte Linie von Fini. Dazu kam eine harte gesellschaftliche Opposition - vor allem auch in Gestalt der Gewerkschaften, die Millionen mobilisierte, als die rechte Regierung den offenen Nerv des Wohlfahrtsstaates, die Renten, berührte. Als dann ein Wahlbündnis auftauchte, das aus einem breiten Spektrum von der katholischen Linken bis zu Rifondazione Comunista bestand und die Linksdemokraten als tragende Achse hatte, war die Erwartung einer Tendenzwende groß. Doch es lief ganz anders.

Welche Hauptaufgaben hatte sich die Regierung gestellt?

Sie hat ihre Politik auf zwei wesentliche Punkte ausgerichtet: 1. Bei der Währungsunion von Anfang an dabei sein, was für den italienischen Kapitalismus sicher wichtig war. 2. Eine Reform der staatlichen Institutionen und die Vollendung des Zweikammersystems. Ich frage mich aber, ob es tatsächlich die Aufgabe der Linken war, sich nur dieser beiden Punkte anzunehmen. Die Mitte-Links-Regierung hat sich jedenfalls nicht ausreichend um gesellschaftlichen Prozesse wie etwa die Zunahme der Erwerbslosigkeit gekümmert. Ebensowenig um die explosionsartige Zunahme der neuen Arbeitsverhältnisse wie Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, Leiharbeit, Subunternehmertum etc. Also die extreme Zunahme der sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse. Sie sind die einzigen, die zunehmen, während alle anderen »normalen« Lohnarbeitsverhältnisse ständig weniger werden. Und da reicht es als Linke nicht, eine radikale Position wie Rifondazione Comunista einzunehmen, die im wesentlichen nur sagen »Verteidigen wir den Wohlfahrtsstaat so wie er ist, führen wir gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten ein und lancieren eine Neuauflage keynesianischer Politik«. Das macht zwar der Regierungskoalition schwer zu schaffen, aber in der Realität liegt die Lösung des Problems nicht darin, einen neuen keynesianischen Sommer auszurufen - was mit den EU-Normen sowieso nicht mehr möglich ist.

Sind die Unternehmer zufrieden mit der Prodi-Regierung?


Es herrscht kein Zweifel, daß der fortschrittlichste Teil des italienischen Kapitalismus glücklich ist - damit meine ich jene großen umstrukturierten und globalisierten Unternehmen, die Allianzen mit Größen des Finanzsektors eingegangen sind. FIAT ist ein gutes Beispiel dafür. Dort funktioniert die Globalisierung, weil die Deutsche Bank im Aufsichtsrat sitzt und gewisse Kapitalströme nur aufgrund einer europäischen »Normalisierung« fließen. Daher war es strategisch wichtig, an der Währungsunion teilzunehmen. Aber auch die im Wettbewerb stehenden mittleren Unternehmen, die nicht mehr Wettbewerbsvorteile wegen des Lira-Kurses genießen, sondern wegen der ständigen Produkt- und Produktionsinnovationen. Für diesen Teil des italienischen Kapitals war die Mitte-Links-Regierung vertrauenerweckender als die Rechte, denn die besaß weder Geschick noch Glaubwürdigkeit auf internationalem Parkett.

Und auch weil die Mitte-Links-Regierung dank ihrer traditionellen Verbindungen zu den Gewerkschaften die Opposition besser zum Schweigen bringen konnte?

Ja, die Sozialstaatsreform konnte in Italien nur unter einer linken Regierung durchgeführt werden. Denn die Gewerkschaften haben in diesem Fall nicht zu Generalstreiks aufgerufen. Es gab lediglich Demonstrationen für Arbeitsplätze, während sofort der Mechanismus des Generalstreiks in Gang gesetzt wurde, als die Rechte die Renten angetastet hatte. Und jetzt, wo das Ziel »Euro-Teilnahme« erreicht wurde, treten die ungelösten sozialen Probleme deutlich zu tage.

Die Regierung hat indes das zweite Ziel, die Reform der staatlichen Institutionen, nicht erreicht. Italien ist also ein Land, das auch vom Standpunkt des Kapitals ein Reformdefizit aufweist und in dem die gesellschaftliche und soziale Problematik weiterhin offenliegt.