Interview: Dario Azzellini

Referendum gegen Hugo Chávez: Chance für fortschrittliche Kräfte?

jW fragte Eduardo Daza, Sprecher der Vereinigung der sozialen Netzwerke und Organisationen (ANROS)

Die Vereinigung der sozialen Netzwerke und Organisationen (ANROS) vereint mehrere tausend Basisgruppen und fördert direkte Demokratie in Venezuela durch politische Seminare und Schulungen. Die beteiligten Organisationen führen auch Debatten über aktuelle Gesetzesinitiativen und Maßnahmen der Regierung. junge Welt sprach mit ANROS-Sprecher Eduardo Daza über das am 15. August anstehende Referendum gegen Präsident Hugo Chávez.

F: Wie bereiten Sie sich auf das Referendum vor?


Wir engagieren uns unter anderem in den verschiedenen sozialpolitischen Missionen der Regierung wie dem medizinischen Hilfsprogramm »Barrio Adentro«, den Alphabetisierungs- und Bildungskampagnen »Robinson«, »Rivas« und »Sucre«, oder dem Arbeits- und Ausbildungsprogramm »Vuelvan Caras«. Daher ist es für uns selbstverständlich, daß wir uns auch für die »Misión Florentino« einsetzen, in deren Rahmen für das Nein beim Referendum am 15. August geworben wird. Wir haben im ganzen Land kleine Gruppen gebildet, die von Haus zu Haus ziehen, mit den Menschen persönlichen Kontakt pflegen und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, an der Verteidigung der erzielten Erfolge mitzuarbeiten.

F: Auf welcher Basis findet das Abwahlreferendum überhaupt statt?

Die politischen und sozialen Basisorganisationen haben während der Diskussion um die neue Verfassung 1997, also noch vor der Wahl von Chávez zum Präsidenten, darauf gedrängt, die Kontrolle der direkt gewählten Amtsträger durch das Volk zu stärken. Daher ist das Referendum Teil des Konzeptes einer partizipativen Demokratie.

F: Welche Haltung haben die Nichtregierungsorganisationen in Venezuela zu dem bevorstehenden Referendum?


Es bietet eine großartige Möglichkeit, den begonnenen politischen Prozeß zu vertiefen. Wir haben in der Vergangenheit einige Chancen dazu verpaßt. So etwa im April 2002, oder vom Dezember 2002 bis März 2003. Damals gab es einen Generalangriff der gewaltbereiten Opposition, die der gesamten venezolanischen Gesellschaft ökonomisch, sozial und politisch geschadet hat. Dadurch ist aber auch das politische Bewußtsein der Bevölkerung gewachsen. Viele Leute, die dem bolivarianischen Prozeß gegenüber einmal eine kritische Haltung hatten, haben in dieser Zeit begriffen, wie sie betrogen wurden. Auch die Regierung ist inzwischen erfahrener in der Führung des Staates, was etwa in der Wirtschaftspolitik deutlich wird. Die Regierung kontrolliert jetzt die Erdölindustrie und fördert mit den Einnahmen Sozialpläne, um diejenigen Teile der Bevölkerung zu erreichen, die nie eine Möglichkeit der politischen oder sozialen Teilhabe hatten.

F: Welches Ergebnis erwarten Sie am 15. August?

Wir gehen von einem Resultat zugunsten des Präsidenten aus. Selbst US-amerikanische Umfragen gehen in ihren vorsichtigsten Schätzungen von 57 Prozent für Chávez aus, die weniger konservativen sogar von 67 Prozent.

F: Wie wird die Opposition Ihrer Ansicht nach reagieren?


Wir gehen von zwei möglichen Szenarien aus: Einerseits könnten sie versuchen, in den Medien Zweifel an den Ergebnissen des Referendums und seinem Ablauf zu säen. Die Transparenz und die gesamte Organisierung des Referendums könnten angegriffen werden. Die Opposition könnte im Falle ihrer Niederlage aber auch dazu aufrufen, das Ergebnis nicht anzuerkennen, um so Gewaltausbrüche zu provozieren. Andererseits existiert ein Sektor der Opposition, der gerne mit der Regierung über einige wichtige Gouverneurs- und Bürgermeisterposten im Land verhandeln würde. Für eine solche Zusammenarbeit müßten aber einige Voraussetzungen erfüllt werden. Wir befinden uns in einer Phase der Stärkung der revolutionären Bewegung. Der politische Prozeß wird von unten vertieft. Die Opposition hat nun die Möglichkeit zu erklären, daß sie die Verfassung anerkennt. Wenn sie aber ihren gewaltsamen Weg fortsetzt, werden ihr immer weniger Venezolaner folgen.