Der Aufstand der Zapatistas im Januar 1994 hat die mexikanische Rockmusik nachhaltig beeinflusst: Nicht nur beziehen sich die Bands in ihren Texten auf die ZapatistInnen und organisieren Soli-Konzerte, sondern es sind auch unabhängige Labels entstanden. Ein Interview mit dem mexikanischen Musiker Benjamin Anaya

Neozapatismus und Rockmusik

Der 40jährige Benjamin Anaya aus Mexiko- Stadt spielt als Gitarrist mit der Fusionrockgruppe «Restos Humanos Fieles Difuntos» und in der bekannteren Politrockband «Salario Mínimo». Darüber hinaus ist er ein gefragter Studio- und Lifemusiker. Beruflich ist Benjamin Anaya Vizedirektor der Mexikanischen Tanzakademie. Er hat zudem zahlreiche Artikel und Buchbeiträge veröffentlicht, unter anderem das Buch «Neozapatismo y Rock Méxicano», und ist in der undogmatischen Linken Mexikos aktiv. Er arbeitet an einer vollständig überarbeiteten Neuauflage seines Buchs, das dieses Jahr unter dem Titel «Soundtrack rebelde – la música del Neozapatismo» erscheinen soll. Von den Einnahmen aus dem Verkauf des Buchs kauft Benjamin Anaya nach und nach Gitarren, die er in die zapatistischen Dörfer bringt, wo er auch schon gespielt und Unterricht gegeben hat.

Welchen Einfluss hatte und hat der Zapatismus auf die mexikanische Rockmusik?

Einen sehr starken. Am 1. Dezember feierten wir hier in Mexiko «20 – 10», also zwanzig Jahre seit der Gründung der EZLN und zehn Jahre seit dem bewaffneten Aufstand in Chiapas. Es gab ein Konzert mit zwanzig mexikanischen Bands, darunter die bekanntesten unabhängigen Bands wie Los de Abajo, Panteón Rococo, Salario Mínimo, Antidoping und viele weitere. Auch Maldita Vecindad waren anwesend, sie spielten allerdings nicht. Es waren zwischen 80 000 und 100 000 BesucherInnen da. Das, obwohl kein Unternehmen aus der Unterhaltungsindustrie seine Finger darin hatte, die Feier war von der EZLN und den Bands organisiert. Die Musikszene in Mexiko ist vom Zapatismus durchdrungen worden. Nicht nur Musikstile wie Ska, Reggae, Punk, Garage, Hardcore und so weiter sind vom Zapatismus beeinflusst, also Stile, die üblicherweise kompatibler mit Widerstandsbewegungen sind, sondern auch Jazz und Konzertmusik. Es wurden sogar drei klassische Werke, darunter ein Stück Kammermusik, zu dem Massaker der Paramilitärs an den BewohnerInnen von Acteál geschrieben. Der Ausdruck der Verbindung von Musik und Zapatismus war erstaunlicherweise eine 1994 vom nationalen Symphonieorchester aufgenommene CD: Auf dem Cover war der historische Revolutionär Emiliano Zapata abgebildet, und in die Musik waren Instrumente wie die chiapanekische Marimba eingebaut.

Auch international gab es musikalische Reaktionen...

Ja, MusikerInnen aus vielen anderen Teilen der Welt haben zapatistische Gedankensplitter in ihre Musik eingebaut. Wir finden Ausschnitte aus Reden des Subcomandante Marcos als Samples oder auch textliche Rückbezüge zur EZLN auf CDs von Manu Chau und seiner früheren Band Mano Negra, bei Rage Against the Machine, Fermin Muguruza, Banda Bassotti, 99 Posse und anderen. In Lateinamerika wurde der Zapatismus von der brasilianischen Megaband Paralamas aufgegriffen oder von den argentinischen Musikern Fito Paez und Charlie García. Auch sind mindestens drei internationale Soli-Sampler für die ZapatistInnen entstanden.

Gab es über die Texte und Samples hinaus andere Einflüsse des Zapatismus auf die Rock-Musik in Mexiko?

Ja, und die sind sogar noch viel bedeutender. Bis zum zapatistischen Aufstand war der Rockmusikmarkt in Mexiko völlig in den Händen von transnationalen Konzernen, und unter MusikerInnen herrschte die Überzeugung, man könne nur mittels der mexikanischen Labels der transnationalen Musikkonzerne – BMG Ariola, Warner, Sony, Universal – etwas erreichen. Ausserdem haben nur BMG und Sony Presswerke in Mexiko, alles andere ist importiert. Das ist auch der Grund, warum es in Mexiko so viele Raubkopien gibt.

Aber nach dem Auftauchen der Zapatistas sind – nach der Logik der Autonomie, wie sie in Chiapas umgesetzt wird – auch die ersten Independent Labels in Mexiko aufgetaucht. Zuvor taten sich bereits viele MusikerInnen aus verschiedenen Stilrichtungen zusammen, um gemeinsam Soli-Konzerte zu organisieren. Da waren Stile dabei wie Folk, Punk, Funk, Garage, Reggae, Ska, Jazz und andere. Das hat dazu geführt, dass es heute in Mexiko keine absolute Trennung mehr gibt zwischen den Musikstilen und vor allem zwischen den Fans. Die Gruppen spielen zusammen, und auf einem Konzert sind beispielsweise eine Jazzband, eine Punkrockgruppe und FolkmusikerInnen hintereinander und manchmal sogar zusammen zu hören. Auch dafür waren letztlich die Zapatistas verantwortlich.

Die MusikerInnen haben auch begonnen sich zu organisieren...

Ja, das ist der zweite wichtige Punkt bezüglich des Einflusses der Zapatistas. Vor allem zwei Kollektive, «El serpiente sobre ruedas» (die Schlange auf Rädern) und «La Bola» (der Haufen, so wurden auch die revolutionären Horden von Emiliano Zapata genannt) sind hier bedeutend. Sie organisieren gemeinsame Aktionen und grosse Konzerte für einen guten Zweck, meistens zur Unterstützung der zapatistischen Dörfer. «La Bola» hat sehr nahe Beziehungen zu den Leuten von der Uni, der UAM, und das ist ein sehr produktiver Kreis, in dem nicht nur Musik gemacht wird, sondern auch Videos oder freie Radios entstehen.

In Mexiko Stadt entstanden daraus sechs freie Radios. Die Radios sind aber auch dem Druck der angeblich linken Stadtverwaltung in Mexiko Stadt ausgesetzt: Sie werden nicht als Kultur oder Politik angesehen, sondern einfach nur als Affront gegenüber den kommerziellen Sendern, die Steuern zahlen. Einer der freien Sender, Radio Zapote, ist stark zapatistisch und befindet sich auch noch in den Räumen des nationalen Anthropologie-Instituts, in denen die ZapatistInnen übernachteten, als sie letztes Mal in Mexiko-Stadt waren. Dort sind übrigens auch viele Soli-Konzerte organisiert worden. Die freien Radios waren eine Folge der zapatistischen Bewegung und haben umgekehrt dazu beigetragen, dass andere Nachrichten, alternative Informationen über die Zapatisten und Chiapas, verbreitet wurden.

Aber es läuft ja nicht mit allen Bands gut. Mit einigen gab es ja auch Probleme. Ich denke da an das sichtlich genervte Schreiben, das die Zapatistas an die Band Maná richteten.

Ja, Maná hat immer wieder Kleinigkeiten für die ZapatistInnen getan. Aber die Mainstream-MusikerInnen haben meist keine Zeit, weiter an ihrer politischen Bildung, vor allem an einer radikalen politischen Bildung zu arbeiten. Sie sind dann mehr eine Art «Gutmenschen». Maná ist immer ein wenig so drauf gewesen. Sie haben eine eigene Öko-Stiftung, die sich darum kümmert, dass mehr Schildkrötchen geboren werden... das ist ja auch gut so.

1998 haben Maná in Mexiko-Stadt eine Reihe von sechs oder sieben Konzerten organisiert und die Einnahmen dem Dorf Acteál in Chiapas gespendet. Im Jahr 2001, zum Marsch der Zapatistas nach Mexiko-Stadt, taten sich dann Tele Atzteca und Televisa zusammen und organisierten das Konzert «Vereint für den Frieden». Tele Atzteca und Televisa sind die grössten TV-Konzerne Mexikos und sie gehören auch zu den grössten weltweit; sie sind also Speerspitzen des Kapitalismus und des Neoliberalismus und Alliierte der Mächtigen, erst der langjährigen Regierungspartei PRI und jetzt der Partei PAN von Präsident Vicente Fox. Auf dem Konzert spielten Maná und Jaguares, also die beiden spanischsprachigen Bands Mexikos mit den grössten internationalen Erfolgen. Das Konzert fand im Atzteken-Stadion statt, einem der grössten der Welt, das 120 000 Sitzplätze hat und weiteren 40 000 ZuschauerInnen auf dem Spielfeld Platz bietet. Der Eindruck, den das Konzert vermittelte, war, dass Druck auf die Zapatisten ausgeübt werden sollte, damit sie ein Friedensabkommen unterschrieben. Die Jaguares haben auch noch zwei Schamanen von dem Volk der Lakandonen aus Chiapas auf die Bühne gestellt. Ausgerechnet Lakandonen, die schon immer auf Seiten der ehemaligen Regierungspartei PRI gewesen sind. Die wurden dann auch noch vom Publikum, das gar nicht verstand, warum die da waren, beworfen und von der Bühne gepfiffen. Interessant ist auch, dass Maná versucht hatte, Santana davon zu überzeugen, ebenfalls dort zu spielen. Santana lehnte jedoch mit den Worten ab: «Ich werde niemals für die Unterdrücker meiner Leute spielen.»

Danach nahm Maná eine Scheibe auf mit dem Titel «La revolución del amor» (Revolution der Liebe). Da arbeiten sie mit dem Bild Zapatas, und es sind Samples von Marcos’ Reden zu hören. Auf der Tour hatten sie ein riesiges Zapata-Transparent dabei. Die haben sich in opportunistischer Weise etwas angeeignet und ausgenutzt, für dessen Entwicklung sie nie wirklich aktiv gearbeitet haben. Sie haben zwar hin und wieder einen kleinen Beitrag geleistet, aber beispielsweise nie auf irgend einem Soli-Konzert mit anderen Bands gespielt. Schliesslich haben sich Maná dann vor ihrer Spanien-Tour – das war, als Marcos gerade wegen seiner Erklärungen zur Situation im Baskenland als ETA-nah attackiert wurde – auf einer Pressekonferenz ziemlich von den Zapatistas distanziert. Daraufhin schrieb Marcos, dass es den ZapatistInnen völlig egal sei, was Maná macht und sagt. Und es war gut, dass Marcos die Dinge wieder zu ihrem politischen Kern zurückgeführt hat.