Chefredakteur Aram Aharonian über Wirtschaftsprobleme Lateinamerikas

Funktioniert Arbeiterkontrolle?

Chefredakteur Aram Aharonian über Wirtschaftsprobleme Lateinamerikas
Der 58-Jährige lebt seit 1986 in Caracas und ist Chefredakteur der Wirtschaftszeitung "Quantum".

Was zeichnet die linke Wirtschaftszeitung "Quantum" aus?

Quantum berichtet über ganz Lateinamerika, mit "alternativen" Informationen im Vergleich zum Gros der kommerziellen Medien. Es handelt sich um offene ökonomische Informationen.
Aber die Zeitschrift spricht eben auch über die Krise des Kapitalismus in verschiedenen Ländern, über die Arbeitslosigkeit in Lateinamerika, die Erdölproduktion und die Abhängigkeit vom Erdöl.
Vor allem geht es um mögliche Lösungen für die Probleme - wie beispielsweise in Bolivien bezüglich der Volksabstimmung über den Export fossiler Brennstoffe.

Häufig ist von Arbeiterkontrolle die Rede. Beim Erdölbetrieb PDVSA, Venezuelas größtem Unternehmen, ist davon wenig zu sehen.

Nach dem von der Opposition organisierten "Erdölstreik" forderten einige: Alle Entscheidungen des Unternehmens sollten von allen getroffen werden, weil ja PDVSA dem Staat gehört. Und den Erdölbetrieb haben nicht die Ingenieure oder Manager gerettet, sondern die Arbeiter. So kann allerdings kein Unternehmen funktionieren. Die Beteiligung an Entscheidungen und der Abbau von Hierarchien ist etwas anderes. Hier sind zwar frühere Arbeiter an entscheidenden Stellen eingesetzt und einige Hierarchien abgebaut worden, doch eine wirkliche Mitverwaltung gibt es noch nicht.
Aber in den ersten Jahren ging es darum, überhaupt wieder die venezolanische Kontrolle über PDVSA zurückzugewinnen. Das ist nicht in allen Bereichen der Fall. Aber zuvor war die Abhängigkeit PDVSAs von ausländischen Firmen und direkt aus dem Pentagon gesteuerten Unternehmen dramatisch.

Trotz klarer Worte seitens der Regierung über transnationale Unternehmen, werden Verträge mit solchen abgeschlossen - wie mit dem Ölmulti Exxon.

Es ist nach wie vor ein kapitalistisches Land. Aber jetzt geht es um eine endogene Entwicklung, die ihre Grundlage in der Sozialwirtschaft hat. Was die großen Investitionen im Erdölbereich betrifft, so kann sie nicht mit nationalem Kapital durchgeführt werden. Es gibt keines, und es gibt kein nationales Unternehmertum in Venezuela. Hier haben Unternehmer Leitungsfunktionen in transnationalen Unternehmen. Während man in Brasilien noch mit dem Gedanken einer nationalen und national orientierten Bourgeoisie spielen kann, ist die Bourgeoisie in Venezuela auf Verwaltung konzentriert und vom Ausland abhängig. Die Frage also ist, ob es eine weitere Entwicklung des Erdölsektors geben soll oder nicht. Wenn ja, dann geht das nur mit ausländischem Kapital.

Warum zahlt Venezuela bereitwillig seine Auslandsschulden? Argentiniens Präsident Nestor Kirchner ist da härter.

Das Verhältnis zwischen Auslandsschulden und Reserven ist in Argentinien tödlich. Hingegen könnte Venezuela morgen seine gesamten Auslandsschulden bezahlen und hätte immer noch Geld übrig. Venezuela ist nicht vergleichbar mit anderen Ländern Lateinamerikas. Hier gibt es allein 25 Milliarden Dollar jährlich an Öleinnahmen, und die Auslandsschuld stellt nicht die Sozialprogramme in Frage. Die venezolanische Regierung hat in fünf Jahren 15 Milliarden an Zinstilgungen vorgenommen und kauft jetzt die eigenen Schulden auf. Venezuela hat auch keine Schulden bei IWF und Weltbank. Letztlich sind die Schulden Venezuelas relativ unbedeutend.
Außerdem geht das Land damit wie europäische Staaten um. Es behält immer Spielraum, um finanziell handlungsfähig zu sein. Venezuelas Problem ist nicht das Geld, sondern der jahrzehntelange schlechte Umgang damit sowie der Mangel an "Kadern" für Politik und Verwaltung.