Hommage an Engels: In Engelskirchen nutzten Künstler den öffentlichen Raum für die Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit

Monitore zwischen Turbinen und Generatoren

Unter dem Motto »Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen« fanden am Wochenende in Engelskirchen nahe Köln Kunstaktionen im öffentlichen Raum statt. Anlass war der 200. Geburtstag von Friedrich Engels, dessen Vater dort 1837 die Baumwollspinnerei Ermen & Engels errichten ließ, in der ab 1903 neben Textilien auch Strom produziert wurde. Den Ausschlag für den Standort der Spinnerei hatten die Agger als Energiequelle, die Eisenbahnverbindung, genügend billige Arbeitskräfte und »vielleicht der Charme des Namens« gegeben, so der Kurator Florian Malzacher bei der Vernissage am Freitag im LVR-Industriemuseum, das heute in dem alten Fabrikgebäude untergebracht ist. 

»Was Arbeit heute bedeutet«, sei eine der Leitfragen für die zehn »Interventionen« gewesen. Im Hintergrund lief eine Videoinstallation von Antje Ehmann und Harun Farocki mit acht zweiminütigen Filmen: Bilder vom Gänsehüter bis zum Kranführer. Derweil präsentierte der niederländische Künstler Dries Verhoeven am Bahnhof »Lieder für Thomas Piketty«, um »versteckte Armut sichtbar« zu machen. Zudem benannte man die örtliche Hauptverkehrsachse in »Straße der Arbeit« um.

Ein Blick ins Programmheft: Einem Engels-Zitat über die »Beaufsichtigung der Maschinen« (aus »Die Lage der arbeitenden Klasse in England«, 1845) steht eines von David Graeber (aus »Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit«, 2018) gegenüber. Das Programmheft fragt, was das heute sei, die arbeitende Klasse, »in einer Ära der globalen Märkte und Netze, digitaler Monopole und neuer Klassenkämpfe«. Richtige Fragen, zu denen die Kunstprojekte zumindest Denkanstöße gaben.

Zeit für einen Rundgang durch das ehemalige Kraftwerk in der Spinnerei, wo zwischen Turbinen und Generatoren Monitore installiert sind. Unter dem Titel »Occupy, Resist, Produce« wurden vier Filme von Oliver Ressler und Dario Azzellini zu Fabrikbesetzungen in Italien, Frankreich und Griechenland gezeigt. Beispiel Marseille: 2010 besetzten Arbeiter mit Unterstützung der Gewerkschaft CGT eine Teefabrik. »Über Nacht warfen wir die Security raus«, entscheidend »war die Solidarität«, berichten Arbeiter. Heute produzieren sie in Eigenregie, ihr Spitzenprodukt »1336« verweist auf die Tage der Besetzung. Beachtliche Dokumente, doch blieb offen: Inwieweit geht die Aktionsform als strategisches Moment mit Engels zusammen? Malzacher sagte im jW-Gespräch, ihm sei es um die Schließung von produktiven Betrieben unter Weltmarktbedingungen gegangen. Der Konzern Unilever rechnete sich anderswo höhere Rendite aus. So sei es auch der Fabrik in Engelskirchen ergangen, die noch bis 1979 in Betrieb war. Deren Besetzung, eine »nicht stattgefundene Alternative«, hätte vielleicht »eine Perspektive bieten können«.

Am Ausgang der Ausstellung fand sich ein Vorgeschmack auf die Arbeit »Unser täglich Brot« von Dagna Jakubowska: Informationen zu Welternährung und Verarmung, dazu lecker Häppchen. Der Weg führte vorbei am Kutscherhaus zur herrschaftlichen Engels-Villa, seit den 1980ern Sitz des Bergischen Abfallwirtschaftsverbandes. Hier präsentierte die Engelskirchenerin Felicitas P. Berg gestalterische Kunst und »taktile Klangcollagen«. Weitere Klanginstallationen warteten in der nahegelegenen Kirche, wo die polnische Künstlerin Zorka Wollny Geräusche von Arbeit »chorisch verdichtete«. Der Bau des Gotteshauses geht auf den streng pietistischen Friedrich Engels sen. zurück.

Auf der Märkischen Straße folgte eine große Tafel mit Zeitzeugenberichten zum Straßenbau von Engelskirchen. Mit der Installation, die auf dem Gehweg den Anteil migrantischer Arbeit farblich sichtbar macht, sollte zugleich »die Straße als Transitroute« dargestellt werden, so der Künstler Ulf Aminde, bekannt durch einen Mahnmalentwurf für die Opfer des NSU-Anschlags auf der Kölner Keupstraße. »Viel zu lange«, ergänzte sein Künstlerkollege Manuel Gogos bei der Einweihung des temporären Denkmals, habe man sich »geweigert, migrantische Arbeit anzuerkennen«.

Am Samstag fand im Alten Baumwolllager ein Gespräch von Aminde und Gogos mit der Staatssekretärin für Integration NRW, Serap Güler (CDU), dem Bürgermeister von Engelskirchen, Gero Karthaus (SPD), sowie den Zeitzeugen Vincenzo Moscato und Vincenzo Murfuni statt. Malzacher zeigte sich am Sonntag trotz des widrigen Wetters beeindruckt vom gesamten Verlauf, vor allem von der »aktiven Beteiligung der Engelskirchener Bevölkerung«.

Der Freitag abend klang mit dem deutsch-türkischen Liedermacher Ozan Ata Canani (»Songs of Gastarbeiter«) aus. Am Rande des Konzerts trafen wir zufällig den Kölner Aktivisten Peter Bach. Gleich ob »hier Straßen oder in Köln Autos gebaut« wurden, zeigte sich Bach beeindruckt, gelte es, die Arbeit und auch die Kämpfe zu würdigen. So berichtete er von einer Idee aus Köln, die quer durchs Ford-Werk verlaufende Henry-Ford-Straße nach Baha Targün (1943–2020), einem der führenden Aktivisten im Ford-Streik von 1973, umzubenennen. Damals hatten sie das Werk zu Tausenden vier Tage lang besetzt. Und schon waren wir wieder bei den Arbeiten von Azzellini und Ressler.

Foto: Ulf Aminde - »Arbeit sichtbar machen«: Kunstaktion von Ulf Aminde und Manuel Gogos in Engelskirchen.


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