Fast 400 Gewerkschafter verhaftet / Aufruf zum Widerstand aus dem Gefängnis

Wieder Ausnahmezustand in Bolivien

Nach sechs unruhigen Streikwochen rief Boliviens Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada vergangene Woche den Ausnahmezustand aus. Fast 400 Gewerkschafter wurden verhaftet. In den Städten patrouillieren Polizei und Militär. Dennoch ist bereits für heute eine Fortsetzung der Proteste angekündigt.

Der Ausnahmezustand – in Bolivien keine Seltenheit – verbietet jede Versammlung von mehr als drei Personen. Laut Verfassung darf er höchstens 90 Tage dauern. Präsident Lozada, der selbst im Verdacht der Steuerhinterziehung steht, begründete seinen Schritt mit der Notwendigkeit, "die Durchführung eines subversiven Plans durch den Gewerkschaftsverband COB zu verhindern und die Ordnung aufrechtzuhalten". Kurz zuvor waren 374 Gewerkschafter verhaftet und in entlegene Gefängnisse Nordboliviens verschleppt worden. Weitere 23 Personen wurden nach Erlaß des Ausnahmezustandes festgenommen. Unter den Inhaftierten befinden sich der COB-Vorsitzende Oscar Salas, Indigena- und Bauernführer Evo Morales und der 70jährige Vorsitzende der trotzkistischen Revolutionären Arbeiterpartei (POR), Guillermo Lora.

Während die Parlamentsmehrheit den Ausnahmezustand am Freitag billigte, übten Opposition und Medien heftige Kritik. Die katholische Kirche sprach von einer "Niederlage der Vernunft".

Die Protestwelle in dem mit einem jährlichen Prokopfeinkommen von 600 US-Dollar ärmsten Land Südamerikas hatte am 13. März begonnen, als über 70 000 Lehrkräfte in einen unbefristeten Ausstand traten. Sie fordern Lohnerhöhungen und die Änderung eines geplanten Bildungsreformgesetzes, das nach ihrer Auffassung das staatliche Bildungswesen in den Dienst des Neoliberalismus stellt.

Nachdem Polizeikräfte Ende März mit Tränengas und Gummigeschossen gegen streikende Lehrer vorgegangen waren, kam es zu regelrechten Straßenschlachten. Daraufhin rief der Gewerkschaftsdachverband COB zu einem Generalstreik auf, der sowohl die Proteste der Lehrer unterstützen als auch eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes von derzeit 40 auf 120 US-Dollar im Monat durchsetzen sollte.

Der Eindruck, die Regierung versuche mit den Verhaftungen die starken linken Basisbewegungen und Massenorganisationen zu zerschlagen, drängt sich auf. Zugleich scheint Lozada bei dieser Gelegenheit das Problem des Koka-Anbaus "lösen" zu wollen. In Bolivien sind über 50 000 Bauern vom Koka-Anbau abhängig, Alternativen wurden ihnen bisher kaum geboten. Der Präsident hat sich jedoch gegenüber den USA verpflichtet, bis zum 30. Juni 1750 Hektar Koka-Felder zu vernichten. Die USA hatten dies zur Bedingung für die Hilfe bei der Drogenbekämpfung und für Kreditgarantien gemacht. Indigena- und Bauernführer Evo Morales bot Mitte April an, daß Boliviens Koka-Bauern bereit seien, einen Teil ihrer Koka-Felder zu vernichten, wenn sich auch die Regierung kompromißbereit zeige. Dies sei eine "Geste der Solidarität, um der Regierung bei der Lösung der nationalen Probleme zu helfen". Die Koka-Bauern fordern dafür, die Militarisierung der westlichen Koka-Provinz Chapare zu beenden. Doch die Herrschenden gingen darauf nicht ein.

Angesichts der massiven Polizei- und Militärpräsenz ist nun relative Ruhe eingekehrt, doch ein Großteil der staatlichen Schulen ist nach wie vor geschlossen. Und Evo Morales hat aus dem Gefängnis heraus zum Widerstand aufgerufen.