In Venezuela kriminalisieren Apparatschiks den Sturz einer Kolumbus-Statue

Revolution nicht beantragt

Christoph Kolumbus war kein Heiliger und die "Entdeckung" Amerikas alles andere als ein für beide Seiten erfreuliches Ereignis. Das hat sich auch in Europa herumgesprochen. In Venezuela wurde aus dem Tag der Entdeckungsfeiern der "Tag des indigenen Widerstandes". Der Sturz einer Kolumbus-Statue durch Hunderte Basisaktivisten ist jetzt aber Grund eines handfesten Konflikts mit dem Staatsapparat. Mit ihrem Sturz am 12. Oktober entbrannte eine breite Debatte. Drei wegen der Aktion inhaftierte Aktivisten erfahren viel Solidarität.

Wochenlang wurde öffentlich zu einem "Prozeß" gegen die Statue in der Hauptstadt Caracas aufgerufen, von der Antikorruptionsorganisation AIPO, der Bolivarianischen Anwaltsvereinigung ABA, der Bewegung 13. April, dem Videokollektiv Calleymedia und vielen anderen. "Prozeß", Urteilsverkündung und -vollstreckung fanden statt. Die Polizei schritt nicht ein - auch nicht, als Demonstranten die Statue zum Theater Teresa Carreño schleiften und zwischenzeitlich kopfüber an einem Baum aufhängten, während sie tanzten und sangen. Angehörige der Nationalgarde und des Militärs wohnten dem Triumph über das koloniale Symbol bei, ohne einzugreifen. Es waren schließlich Polizeibeamte des bolivarianisch regierten Stadtbezirks Libertador, die ohne Vorankündigung Demonstranten angriffen, Tränengas warfen, und einen Aktivisten verprügelten, bevor sie ihm seine Kamera abnahmen.

Formal ist der Sturz der Statue ein Rechtsbruch. Die Vorstellungen von gesellschaftlichen Transformationsprozessen divergieren. Jesse Chacón, Minister für Justiz und Inneres, bezeichnete das Vorgehen als "abzulehnenden anarchischen Akt". Im Vordergrund stehe, "daß gehandelt wurde. Es gibt Verhaftete und sie werden ein Verfahren bekommen. So funktioniert der Rechtsstaat auch in anderen Ländern."

Roberto López Sánchez, Professor für Geschichte an der Universität von Zulia, verteidigte die Aktion hingegen als "Reaktion auf den Genozid, der in Amerika verübt wurde". Für ihn wurde ein "Symbol der westlichen Herrschaft über Lateinamerika" gestürzt. Die Geschichte sei "Ausdruck von Bevölkerungen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen". Diese "stürzen und zerstören die Symbole der schändlichen Regime, gegen die sie sich erhoben haben." Schließlich "stürzten auch die Kommunarden von Paris während der weltweit ersten Arbeiterrevolution die Statue von Napoleon - wie es Karl Marx vorausgesagt hatte".

Der bolivarianische Bürgermeister des Bezirks Libertador, Freddy Bernal, erklärte mittlerweile, die Statue werde restauriert und an der ursprünglichen Stelle wieder aufgestellt. Gegenüber den Regierungen Spaniens und Italiens bat er formal eiligst um Entschuldigung für die Zerstörung des Denkmals. Jede Person, die gegen eine Skulptur vorgehe, werde "das gesamte Gewicht des Gesetzes zu spüren bekommen".

Die Behauptung, in Venezuela herrsche Recht/Gerechtigkeit (das spanische Wort "justicia" hat beide Bedeutungen), ist haltlos, da sich die Justiz weiterhin in den Händen der herrschenden Klasse befindet. Während der Oberste Gerichtshof feststellte, es habe im April 2002 keinen Putsch gegeben (sondern nur "ein temporäres Machtvakuum, in das einige, von guten Absichten schwangere Generäle stießen") und alle diesbezüglichen Klagen fallenließ, verbrachten vier Chávez-Anhänger anderthalb Jahre in Haft, weil sie auf Chavisten eröffnetes Feuer beantwortet hatten. Niemand wurde dafür verurteilt, daß während des Putsches die kubanische Botschaft gestürmt worden war. Nicht einmal jene Oppositionellen wurden angeklagt, die vor Kameras verkündet hatten, die Kubaner aushungern zu wollen. Die im Dezember 2002/Januar 2003 Erdölanlagen sabotierten, haben sich nie vor Gericht verantworten müssen. Auch die Morde an über 100 Bauern blieben ungestraft, obwohl in einigen Fällen die Täter, Großgrundbesitzer oder ihre Killer, bekannt sind.

So wird der Ruf nach der Freilassung der Inhaftierten immer lauter. Auf einer Pressekonferenz übernahmen 84 Aktivisten aus verschiedenen Basisorganisationen die Verantwortung für den Sturz der Statue. Sie zeigten sich selbst an. Die Staatsanwaltschaft wies das zurück. Der Sturz des Kolumbus scheint sich zu einem symbolträchtigen Dreh- und Angelpunkt des Konflikts zu entwickeln. Auf der einen Seite stehen die Basisbewegungen, die der Regierung Chávez beim Putsch und beim "Streik" das Leben gerettet haben, auf der anderen die Parteibürokraten in den Institutionen. Der Ausgang ist offen.


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