Trotz Streik, Sabotage und Medienpropaganda hält die venezolanische Regierung durch

Knapp am Referendum vorbei

„Uh, ah, Chávez no se va!” (Chávez geht nicht!) skandierten seine AnhängerInnen auf einer Demo Ende Januar in Caracas. Seit zwei Monaten agitieren rechte Gewerkschaften, Großunternehmer, traditionelle Parteien und Teile des Militärs gegen den populär-populistischen Präsidenten und sein „Bolivarianisches Projekt“. Doch Chávez ist zäh, seine UnterstützerInnen ebenso und die Opposition muss sich mittlerweile so manche Niederlage eingestehen.

Von Dario Azzellini

Bei einer Pressekonferenz in den USA – wo sich Chávez zwecks der formalen Übergabe des Vorsitzes der Gruppe der 77 (Organisation Blockfreier Staaten) an Marokko befand – verkündete der Präsident, dass diejenigen, die in den Putsch vom 11. April 2002 und in die Sabotageakte der vergangenen Monate verwickelt gewesen seien, für die Folgen ihres Tuns zahlen müssten. Bezüglich der „Straflosigkeit”, die die Anführer der Opposition, Gewerkschaftsboss Carlos Ortega und Unternehmerchef Carlos Fernández, bei einer Rede in New York beklagt hatten, erklärte Chávez: „Aufgrund der von ihnen beklagten Straflosigkeit befinden sie sich weiterhin auf freiem Fuß, obwohl es Beweise dafür gibt, dass sie in den Putsch verwickelt waren”. Die Opposition selbst habe die Straflosigkeit produziert. Tatsächlich befindet sich ein Großteil des Justizapparates in den Händen der Opposition, so auch der Oberste Gerichtshof, der den Putsch vom April vergangenen Jahres nicht als solchen anerkennt. Auch werden – so nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen – Delikte gegen AnhängerInnen des „bolivarianischen Prozesses“ kaum verfolgt.

Nachdem die Regierung lange Zeit von vielen Seiten dafür kritisiert wurde, nicht entschlossener gegen Saboteure und Putschisten vorzugehen, scheint sie nun doch zum Durchgreifen entschlossen zu sein. Chávez verkündete, die Ermittlungsbehörden seien bereits angewiesen worden Durchsuchungen vorzunehmen und Beweise für die Verwicklung führender Oppositioneller in den Putsch und in Sabotageakte der Justiz zu übergeben. Die Militärjustiz erließ indes Haftbefehle gegen sieben in den Putsch verwickelte Militärs, da diese gerichtlichen Vorladungen nicht gefolgt waren. Zudem sollen weitere Maßnahmen im staatlichen Erdölkonzern PDVSA folgen, da das Unternehmen immer noch durchsetzt sei von Saboteuren. Daher könnte sich die Rückkehr zu der normalen täglichen Fördermenge von 2,8 Millionen Barrel noch ein bis zwei Monate verzögern. Bisher sei die Fördermenge wieder auf 1,5 Millionen Barrel täglich hochgefahren worden.

Gemäß der Ankündigung des Präsidenten, die Grundversorgung aufrechtzuerhalten, durchsuchten die Nationalgarde und die Verbraucherschutzvereinigung eine Bierbrauerei des Großunternehmens Polar und eine Getränkeabfüllerei des Multis Panamco in der Stadt Valencia, 150 Kilometer östlich von Caracas. In der Abfüllerei von Panamco, einem Ableger der US-amerikanischen Panamerican Beverages Inc., wurden nicht nur große Mengen gelagerter Coca Cola gefunden, sondern auch gehortetes Mineralwasser. Bei einer weiteren Durchsuchung in einer Pepsi Cola-Abfüllerei wurden eine halbe Million Liter gelagerte Erfrischungsgetränke und Wasser gefunden. Das Zurückhalten von Lebensmitteln und das künstliche Herbeiführen von Knappheit ist nach dem Verbraucherschutz verboten. Zahlreiche Großunternehmen der Lebensmittelindustrie haben nach eigenen Angaben die Arbeit und den Vertrieb seit dem 2. Dezember wegen des vermeintlichen Streiks eingestellt. Einige arbeiten jedoch heimlich weiter und bringen ihre Waren auf den Schwarzmarkt.

Die Flasche Coca Cola wird auf dem Schwarzmarkt zum Drei- bis Vierfachen des Normalpreises verkauft. Es wird vermutet, dass die Abfüllerei Panamco selbst den Schwarzmarkt aufrecht erhält, um so die eigenen Produkte überteuert absetzen zu können.
Als der Leiter der Niederlassung verhaftet werden sollte, erklärte sich der Abfüllereibesitzer Oswaldo Cisneros bereit, die von dem Unternehmen gehorteten Getränke auf den Markt zu bringen. Das gleiche will auch der venezolanische Multi Polar machen, in dessen Lagerhallen sich viele Grundnahrungsmittel stapeln.

Die wirtschaftlichen Einbußen durch den Streik und ausbleibende Steuereinnahmen machen harte Einschnitte in den venezolanischen Staatshaushalt notwendig. Der Planungsminister Felipe Pérez kündigte an, dass er Kürzungen zwischen 7,0 und 9,7 Prozent im Haushaltsjahr 2003 erwarte. Weniger wichtige Investitionen sollten daher vorläufig zurückgestellt werden. Das ursprünglich erwartete Wirtschaftswachstum von 2,5 bis 3,5 Prozent im Jahr 2003 wurde von Pérez nach unten korrigiert. Allerdings halten auch immer mehr Großunternehmen die Schließung ökonomisch nicht länger durch und öffnen wieder. Dies betrifft nicht nur die Industrie, sondern auch Ketten wie den Videoverleih Blockbuster und Fastfood¬lokale. In den Unternehmen, die die Arbeit wieder aufgenommen haben, häufen sich gezielte Entlassungen von Chavis¬tInnen. In vielen Betrieben werden die ArbeiterInnen vor die Wahl gestellt, entweder entlassen zu werden oder zu akzeptieren, dass die Aussperrungszeit als unbezahlter Urlaub gerechnet wird. Zudem wurde bekannt, dass einige Unternehmen ihren Beschäftigten automatisch einen gewissen Anteil ihres Lohnes nicht ausgezahlt haben, da dieser zur Finanzierung des illegalen Referendums der Opposition gegen Chávez am 2. Februar verwandt werden sollte.

Ein Meer von über 800.000 Menschen ergoss sich am 23. Januar durch die Straßen der venezolanischen Hauptstadt Caracas, um für die Regierung von Präsident Hugo Chávez zu demonstrieren.
Obwohl in mehreren Bundesstaaten Busunternehmen von reichen Unternehmern bestochen worden waren, um den Transport von RegierungsanhängerInnen abzulehnen, war die „friedliche Eroberung von Caracas”, wie die erste groß angelegte Demonstration der UnterstützerInnen von Chávez genannt wurde, beeindruckend – vor allem im Verhältnis zu den Demonstrationen der Opposition, die während ihrer seit zwei Monaten anhaltenden Proteste nie mehr als 200 000 AnhängerInnen mobilisieren konnte. Überschattet wurde die Demonstration allerdings von einem Bombenanschlag in der Nähe der U-Bahnstation „Bellas Artes“, der ein Todesopfer und drei Verletzte forderte. Chávez selbst nahm ebenfalls an der Demonstration teil, die sich bis in die späten Abendstunden zog.

Die oppositionelle Presse bekommt mittlerweile die Folgen ihrer propagandistischen Aktivitäten gegen die Regierung immer deutlicher zu spüren. Nachdem sich die Auflagen der Zeitungen im freien Fall befinden und die Werbeeinnahmen aufgrund des vermeintlichen Streiks weitgehend ausgeblieben sind, wurden über 500 JournalistInnen entlassen.
Einen weiteren Rückschlag musste die Opposition hinnehmen, als die Wahlkammer des Obersten Gerichtshof das von der Opposition angestrebte und eigenmächtig organisierte Referendum zum Rücktritt Chávez vom 2. Februar annullierte. Der Gerichtshof, der von der Opposition kontrolliert wird, entschied, dass erst ein neuer Nationaler Wahlrat gebildet werden müsste.

Präsident Hugo Chávez kündigte ebenfalls an, dass das staatliche Erdölunternehmen PDVSA die Zusammenarbeit mit der Firma Intesa aufkündigen werde, die mit der gesamten Softwareverwaltung des Ölkonzerns beauftragt ist. Der Vertrag mit dem Unternehmen ist bereits seit einem Jahr ausgelaufen, doch die Zusammenarbeit ist fortgesetzt worden. Intesa (Informática, Negocios y Tecnología, S.A.) entstand 1996 aus einer Kooperation der PDVSA und des US-Unternehmens SAIC (Science Applications International Corporation) und wird zu 60 Prozent von US-Aktionären kontrolliert. Das Unternehmen soll sich aktiv an der Sabotage der PDVSA beteiligt haben. Intesa leugnet die Vorwürfe. Währenddessen finden weiterhin Sabotageakte gegen die PDVSA statt. In Zulia wurden drei Stromgeneratoren sabotiert und zerstört, die Strom für Bohrtürme lieferten. In der gleichen Anlage wurde ein Saboteur auf frischer Tat ertappt, der ein Ventil manipuliert und das Auslaufen von 4000 Liter Schmieröl verursacht hatte.

Der Vizepräsident José Vicente Rangel hatte einige Tage zuvor erklärt, die Regierung werde die Gespräche mit der Opposition nicht abbrechen, wie sie es am 19. Januar noch in Erwägung gezogen hatte, als Gewerkschaftschef Carlos Ortega auf einer Kundgebung den Tod Chávez’ gefordert hatte. Auf dem Tisch liegen nun zwei Vorschläge des US-amerikanischen Ex-Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Jimmy Carter. So soll laut Carter eine Verfassungsänderung die Amtszeit des Präsidenten von sechs auf fünf Jahre verkürzen und außerdem die Durchführung des in der Verfassung verankerten und von der Regierung wiederholt angebotenen Referendums zur Hälfte der Amtszeit Chávez’, am 19. August diesen Jahres, verhandelt werden.

An der Neutralität Carters bestehen jedoch berechtigte Zweifel. Er verbrachte erst kürzlich mehrere Tage Urlaub in Venezuela auf Einladung des venezolanischen Multimillionärs und Medienmagnaten Gustavo Cisneros, der sich den Sturz Chávez’ zum höchsten Ziel gesetzt hat. Währenddessen schloss die brasilianische Regierung die Möglichkeit eines Treffens zwischen Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und den Führern der venezolanischen Opposition aus. Chávez sei der gewählte Präsident einer legitimen Regierung und nicht vergleichbar mit den Vertretern der Opposition. Die brasilianische Regierung betonte, ihre Bemühungen lägen in der Unterstützung der kürzlich gebildeten „Gruppe befreundeter Staaten”, die keine Vermittlerrolle einnehme, sondern die Gespräche mit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützen solle.

Eine Lösung ist bisher jedoch nicht absehbar, weswegen die nationale Währung Bolivar weiterhin an Wert im Tauschverhältnis zum Dollar verliert. Allein im Januar waren es etwa 32 Prozent. Als Antwort auf den Wertverlust setzte die Venezolanische Zentralbank (BCV), als der Wechselkurs 1,925 Bolivar zu einem Dollar betrug, den freien Wechselkurs für fünf Werktage aus und legte das Tauschverhältnis zum Dollar auf 1,760 Bolivar fest. Stimmen aus der Finanzwelt erwarten, dass der feste Wechselkurse länger seine Gültigkeit behalten wird. Die Maßnahme sei von der Regierung und BCV gemeinsam entschieden worden, um – gemäß der Verfassung – die eigenen internationalen Reserven und die eigene Wirtschaft zu schützen.