‘Narcoguerilla‘ und ‘Antidrogenkrieg‘

Kolumbien

Das wichtigste von der US-Regierung verwendete Argument für Militärhilfe an die kolumbianische Armee ist stets der Antidrogenkrieg und insbesondere die vermeintlichen Verbindungen der Guerilla zum Drogenhandel. Auch die aktuell in der Diskussion stehenden 1,6 Milliarden US-Dollar - die größte Militärhilfe, die Kolumbien jemals erhalten hat - sollen primär der Bekämpfung des Drogenhandels und -anbaus dienen. Wobei gleich hinzugefügt wird, eine Bekämpfung der Guerilla falle mit in die Aufgaben der Drogenbekämpfung, da die Guerilla in den Kokainanbau und -handel verstrickt sei.

Diese Behauptung hält sich eisern, obwohl außer bloßen Behauptungen niemals Beweise vorgelegt wurden, bis heute kein Mitglied der Guerilla wegen Drogenhandel verurteilt wurde und selbst die Ermittlungen der kolumbianischen Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Drogengeschäften eher in Richtung politischer Eliten und der Armee deuten.

Die kolumbianischen Guerillas vertreten zwar verschiedene Positionen gegenüber dem Drogenhandel, doch keiner Guerilla-Organisation kann eine Verstrickung in den Drogenhandel nachgewiesen werden, wie selbst Präsident Pastrana zu Beginn der Gespräche mit der FARC (Kolumbianische Revolutionäre Streitkräfte) öffentlich zugeben musste.

Während die FARC, in deren Gebieten der Kokaanbau eine zentrale Rolle spielt, den Drogenanbau akzeptiert, Steuern von den Händlern kassiert und die Bauern gegen Drogenmafia und Armee verteidigt, lehnt die ELN (Nationale Befreiungsarmee) den Kokaanbau grundsätzlich ab. Die ELN führt bereits seit einigen Jahren aktive Kampagnen gegen den Kokaanbau durch.

Schon 1989 veröffentlichte die Organisation eine für alle Einheiten bindende Grundsatzerklärung, in der jedwede Beteiligung an Anbau und Handel untersagt und sozioökonomische Maßnahmen zur Substitution angekündigt wurden. In den Folgejahren wurden die Kokapflanzungen im Nordosten Antioquias stark zurückgedrängt.

Bereits 1995 hatte die ELN der Europäischen Union ein Konzept zur Beseitigung des Kokaanbaus in fünf Jahren zukommen lassen. Einzige Bedingung dafür war, dass die EU den betroffenen Bauern Saatgut und Kredite zur Verfügung stellen müsse. Der Vorschlag blieb unbeantwortet, stattdessen intensivierte die Regierung in Bogotá auf internationalen Druck die Herbizideinsätze.

Das überraschend rigide Vorgehen der ELN gegen die Kokapflanzungen hat vor allem mit den negativen Auswirkungen des Anbaus vor Ort zu tun: Die Produktion von Kokapaste verseucht die Flüsse mit Benzin und anderen Chemikalien, hebt das Preisniveau, so dass Bauern mit traditionellen Produkten wie Maniok oder Kakao kaum überleben können, fördert Suchterscheinungen unter den jugendlichen Pflückern, erleichtert Paramilitärs und Geheimdiensten, in die Guerillagebiete einzudringen, und zieht Personen an, die weder bereit noch geeignet sind, sich politisch zu organisieren.

"Narcoguerilla" und Krieg
Trotz allem hält sich der Begriff der "Narcoguerilla", der Anfang der 80er Jahre erstmals vom damaligen US-Botschafter in Bogotá, Lewis Tambs, kreiert wurde, um eine Zusammenarbeit von Drogenhändlern und Guerillabewegungen zu suggerieren. Damit sollte einerseits die Guerilla diskreditiert und durch ihre vermeintliche Verstrickung in den internationalen Drogenhandel zum internationalen Problem erhoben werden.

Andererseits zielte die Kampagne darauf ab, den von Präsident Betancur mit einigen Guerillagruppen eingeleiteten Friedensprozess zu torpedieren. Der Begriff wurde schnell von US-Regierungskreisen und kolumbianischen Sicherheitsorganen aufgenommen. Die politische Funktionalität des Begriffs war und ist einfach zu groß.

Der "internationale Drogenhandel" hat seit Mitte der 80er Jahre im US-Diskurs den "Weltkommunismus" als große Gefahr abgelöst. Glaubt man der Propaganda der Staaten, in denen das Endprodukt Kokain hauptsächlich konsumiert wird, so ließe sich das Problem beseitigen, indem der Anbau in den Erzeugerländern unterbunden wird. Dieser Argumentation folgend haben die USA, als hauptbetroffener Endabnehmer, moralisch das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, entsprechend in den Erzeugerländern zu intervenieren.

Wie die militärische Antidrogenhilfe innerhalb der US-Armee im Sinne der Aufstandsbekämpfung ausgelegt wird, macht eine Aussage des Deputy Assistant Secretary for Inter-American Affairs im State Department, Michael Skol, deutlich: "Das ist das ‚kolumbianische Modell‘. Wir haben das Militär nicht im aktiven Dienst in Kolumbien im Einsatz - aber wir haben Militärhilfe, die sich als bemerkenswert nützlich dabei erwiesen hat, die kolumbianische Armee und Luftwaffe zu Einsätzen gegen Drogenziele zu bewegen. Und wenn sie dabei auch die FARC angreifen, die Drogenlabors bewacht, hilft das der Polizei, die Labors anzugreifen."

Auf Druck der USA wurde die zentrale Aufgabe der Militärs in der Drogenbekämpfung im Februar 1990 auch in der "Erklärung von Cartagena", dem Abschlussdokuments des Drogengipfels, bei dem die Andenländer und die USA erstmals eine gemeinsame Strategie im Drogenkrieg entwarfen, für alle festgeschrieben:

"Die Unterdrückung des Handels mit verbotenen Drogen ist grundsätzlich Aufgabe der Polizei. Angesichts des Ausmaßes und der Vielfalt der Formen dieses Geschäfts können jedoch auch die Streitkräfte eines jeden Landes darin einbezogen werden, wobei die souveränen Rechte und die Rechtsordnung des jeweiligen Landes zu beachten und Einsätze auf das Hoheitsgebiet des Landes zu beschränken sind."

Eine noch direktere Sprache sprechen die Zahlen: Von den im Rahmen der Andean Strategy im Laufe des Jahres 1990 Kolumbien zugeflossenen 40,3 Millionen Dollar US-Militärhilfe wurden 38,5 Millionen direkt für Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen verwendet. Mittlerweile dürften die Ausgaben für Drogenbekämpfungsmaßnahmen der verschiedenen involvierten US-Behörden 20 Milliarden Dollar jährlich ausmachen.

So stieg allein das National Drug Control Budget der US-Regierung von 4,7 Milliarden Dollar im Haushaltsjahr 1988 auf 15,1 Milliarden Dollar 1997, wovon etwa zwei Drittel auf die Bekämpfung des Angebots und ein Drittel auf die Bekämpfung der Nachfrage zielen. Hinzu kommen u.a. die direkten Ausgaben des Pentagons und die Militärhilfe.

Trotz aller gegenteiligen Bekundungen ist es augenscheinlich, dass der Antidrogenkrieg in Kolumbien - ebenso wie in Peru und Bolivien - weitestgehend gescheitert ist. Die Verhaftung oder Tötung der vermeintlichen Bosse der Kartelle brachte zwar internationale Aufmerksamkeit, hatte jedoch nicht den kleinsten Einfluss auf Drogenanbau, Markt- oder Exportvolumen. Die Verfolgung der Bosse geschah vermutlich in dem Glauben, es handele sich bei den Kartellen - so wie bei ihren Gegenspielern Polizei, Militär und Regierung - um hierarchisch strukturierte Organisationen. Da dem nicht so war, konnte sich das Geschäft jederzeit schnell wieder reorganisieren.

Selbst der US-amerikanische Rechnungshof stellte 1992 fest, dass die in den beiden vorangehenden Jahren durch das Pentagon ausgegebenen 2 Milliarden Dollar "keine bedeutenden Auswirkungen" auf den Drogenschmuggel gehabt hätten. Die Großhandelspreise des weißen Pulvers fielen sogar von ca. 50000 Dollar Anfang der 80er Jahre auf nur noch 14000 Dollar je kg Anfang/Mitte der 90er Jahre.

Es deutet vieles darauf hin, dass es bei den Aktivitäten gar nicht primär um den Kampf gegen den Drogenhandel, sondern um geopolitische Ordnungsversuche der US-Regierung ging. So nahm auch das Pentagon 1992 die Störung des Schiffsverkehrs in Panama durch eine "narcoterroristische" Macht als eines von sieben möglichen äußeren "Konfliktszenarien" in sein Programm auf, das dazu dienen sollte, den Verteidigungshaushalt für die Jahre 1994-1999 festzulegen.

Mit der Gefahr des internationalen Drogenhandels werden ausgedehnte Luftraumüberwachungen, Aufstockungen der Militärausgaben, Militärhilfen für lateinamerikanische Staaten, gemeinsame Manöver, Ausbildung und auch direkte Interventionen begründet.

Armee und Drogenhandel
Das kolumbianische Militär mit der Bekämpfung des Drogenhandels zu beauftragen, macht den Bock zum Gärtner. Der kolumbianische Militärapparat hat sich wiederholt in den Dienst der Drogenhändler gestellt. Bezeichnend für die Situation in Kolumbien ist ein Fall, der sich 1983 in der Gegend von Villaviciencio ereignete. Die vor Ort stationierten Spezialeinheiten der VII.Brigade der Armee halfen Drogenhändlern, ein von der FARC bedrohtes Kokainlabor zu evakuieren. Nachdem es mit Hilfe von privaten Kleinflugzeugen in die Nähe der brasilianischen Grenze verlegt worden war, wurde jedes Mitglied der Spezialeinheit mit 500-2500 Dollar von den Kokainunternehmern entlohnt. Bei einem späteren Prozess wurden die Militärs nicht etwa wegen Begünstigung des Drogenhandels, sondern lediglich wegen Bestechung belangt.

Zwischen 1992 und 1995 führten Soldaten einer Brigade mit Sitz in Cali im Auftrag von Drogenhändlern in Südwestkolumbien mehrere Massaker durch, um widerspenstige Bauern aus dem Weg zu räumen. Dabei unterliefen ihnen so viele Fehler, dass dem kolumbianischen Staat die Verbrechen vor internationalen Gremien nachgewiesen werden konnten und dieser die Verantwortung öffentlich zugeben musste.

Schon Mitte der 80er Jahre, so Amnesty International, fand eine personelle Verschmelzung von "Selbstverteidigungsgruppen" und Privatarmeen aus angeheuerten Killern statt, die in den Diensten von Drogenhändlern standen. Diese hatten in Regionen mit Guerillapräsenz große und ertragreiche Ländereien aufgekauft, wodurch sich zwischen den Drogenbaronen und örtlichen Armeekommandeuren eine Interessenübereinstimmung einstellte.

In der Provinz Putumayo entstanden der Comisión Andina de Juristas zufolge die paramilitärischen Organisationen mit Verbindung zum Drogenhandel speziell als bewaffnete Apparate, um die Gebiete mit Kokainlabors zu kontrollieren, Kampagnen sozialer Säuberungen gegen sozial Marginalisierte durchzuführen, Rechnungen zwischen Drogenhändlern zu begleichen und die bewaffnete Kontrolle über ihr Einflussgebiet auszuüben, die Auseinandersetzungen mit anderen Drogenkartellen und Guerillaorganisationen umfasste, sowie die Verfolgung der Volksbewegung und der politischen Opposition.

Chemikalien aus den USA
Die heuchlerische Haltung bezüglich des Antidrogenkampfs wird besonders deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass die meisten Chemikalien zur Verarbeitung der Kokapaste aus den Industrieländern stammen. So kommen nach Angaben der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA 70% des bei der Kokaraffinierung verwandten Azetons und 33% des benutzten Äthers aus den USA, der Rest vorwiegend aus Deutschland, aber auch aus anderen Industriestaaten. Im April 1999 wurden bspw. in Cartagena zwölf Tonnen der zur Kokaraffinierung unverzichtbaren Pottasche beschlagnahmt, die aus Belgien stammten.

Doch die Ausfuhr der entsprechenden Chemikalien wird kaum kontrolliert, das Geschäft für die Chemiekonzerne blüht. Auch wird der vorwiegende Teil der Einnahmen aus dem Drogenhandel in den Industrieländern reingewaschen, eine Kontrolle des Geldverkehrs der transnationalen Unternehmen, aufgrund ihrer Struktur und ihres Finanzvolumens die optimalen Geldwäscher, findet jedoch nicht statt. Ebenso stammt ein Großteil der für den Drogenschmuggel genutzten Transportmittel - wie die meisten Waffen - aus den USA.

Gegen die Legalisierung der Drogen, nach Einschätzung vieler Drogenexperten der einzige Weg, um die riesigen Gewinnspannen zu vermindern und durch Regulierungsmöglichkeiten die illegalen Strukturen mit all ihren Konsequenzen für die Gesellschaft zurückzudrängen, wehren sich die USA vehement. Vielleicht, weil Kokain eines der wenigen landwirtschaftlichen Exportprodukte ist, das in der Region verarbeitet wird und vom Anbau bis zum internationalen Vertrieb nicht von transnationalen Konzernen aus den Industrieländern kontrolliert wird? Es ist der einzige erfolgreiche lateinamerikanische Multi, wie der frühere peruanische Präsident Alan García einst sagte. Vielleicht aber auch, weil der Drogenhandel auf widersprüchliche Weise eine Schlüsselrolle bei der Wahrung geopolitischer Interessen der USA spielt.

Vom Autor ist im Neuen ISP Verlag "Kolumbien. Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung" erschienen.