Hybrider Sound aus Mexikos Metropolen zeigt neues Latino-Bewusstsein

Rap statt Rancheras

Wenn es um mexikanische Rockmusik geht, denken hier zu Lande die meisten an schwarz gekleidete Mariachis, mit großen Schnurrbärten und riesigen Sombreros, die verliebte Paare mit schmalzigen Rancheras beim Tete-a-Tete in luftigen Sommerlauben beglücken. Sicher sind die Mariachis in Mexiko nach wie vor beliebt, doch sie haben Konkurrenz bekommen: Plakate für Trash-, Speed- und Deathmetal-Konzerte, Punkrocker mit schrill gefärbten Haaren oder Technoclubs weisen auf eine pulsierende Musik- und Subkulturszene hin, die nicht nur in der Hauptstadt D.F. den Sound angibt.

Bis Ende der 80er Jahre wurde Rockmusik in Mexiko von der allgegenwärtigen Staatspartei PRI zensiert und mit Repression belegt. Man befürchtete Subversion und moralischen Verfall. Mittlerweile ist das Kulturmonopol der staatstreuen Medien durchbrochen. "Heute kannst du einfach auf einem öffentlichen Platz ein Konzert veranstalten", erzählt Vladimir Garnica, Gitarrist der neunköpfigen Band Los de Abajo. Mexikanischer HipHop, Ska und Punkrock haben es geschafft, in die Ohren einer breiten Öffentlichkeit zu dringen.

Viele Independant-Bands sind dafür in den letzten 20 Jahren einen ungewöhnlichen Weg gegangen. "In Mexiko gab es kein Independent-Netzwerk wie in den USA oder Europa, das es erlaubte, auf die offiziellen Medien zu verzichten" erklärt Garnica, "die Rock-Generation vor uns musste sich also mit dem Televisa-Imperium auseinander setzen und in schlechten TV-Shows auftreten. Es war der einzige Weg, aus der Marginalisierung herauszukommen."

Los de Abajo (Die von Unten) aus Mexiko Stadt mixen Ska, Punkrock und Latinorhythmen. Ihre Wurzeln hat die Combo in den Underground-Bands der 80er Jahre, wie El Bodeguito de Jerez, die als erste über Themen sang, die sonst Tabu waren und traditionelle lateinamerikanische Musik, wie die kolumbianischen Cumbias, mit Rock mixte. Carlos Cuevas, Keyboarder von Los de Abajo, sieht die Ursprünge ihres Sounds im Alltag des Molochs Mexiko Stadt: "Du steigst hier in einen Kleinbus und hörst erst eine Cumbia, dann Hardrock und dann eine Norteña - ein musikalisches Chaos."

Bekannter im Ausland sind allerdings die ebenfalls aus Mexiko-Stadt stammende Crossover-Band Molotov oder die Rapper von Control Machete aus der nordmexikanischen Industriemetropole Monterrey, deren erstes Album sich allein in Mexiko 250.000-mal verkaufte. Mit Voto Latino trat Molotov gegen Rassismus ein und forderte Gerechtigkeit für die in den USA lebenden Latinos - der Song entwickelte sich beiderseits der hochmilitarisierten Grenze zu einer heimlichen Hymne für das stark wiederauflebende Latino-Bewusstsein.

Rap gegen Rassismus

Auch in den Texten der drei Rapper von Control Machete nimmt das schwierige Verhältnis zu dem nördlichen Nachbarn USA großen Raum ein. "Viele unserer Lieder richten sich gegen den Rassismus und konkret gegen jene, die an der Grenze den Mexikanern Schaden zufügen", beschreibt Fermin. Toy sieht den Sound der Band in gewisser Weise als typisch für Nordmexiko an. "Die Norteña, die Musik aus dem Norden Mexikos, ist ja aus einer Fusion traditioneller Polka mit den revolutionären Liedern entstanden. So ist auch Control Machete eine Fusion: die Freude am Funk, Rap und HipHop, gemischt mit traditionellen mexikanischen und lateinamerikanischen Klängen". Auf der kürzlich erschienenen zweiten CD Artillería Pesada, Presenta ... ist das HipHop-Trio bei dem Stück Danzón sogar gemeinsam mit einigen der kubanischen Musiker von Buena Vista Social Club zu hören. Die erste Singleauskopplung aus dem zweiten Album wurde in den USA bereits einen Monat nach Erscheinen vergoldet.

Molotov sind in den USA sogar noch erfolgreicher, aber auf Grund sexistischer und homophober Texte von vielen Seiten in die Kritik geraten, seit ihr erstes Album Dónde jugarán la niñas? - wo spielen wohl die Mädchen? herauskam. Umstritten war auch das Cover, auf dem die nackten Beine eines mit heruntergezogener Unterhose im Auto sitzenden Mädchens in Schuluniform zu sehen ist. Letztendlich profitierten Molotov von der Debatte, in Mexiko verkaufte sich das Album über 400.000, weltweit über eine Million mal. Die Band setzt weiterhin auf Provokation, den "Spaßfaktor" und spricht nicht gerne über den Vorwurf. Sänger Paco Ayala umgeht die Thematik, indem er die Band als Opfer der Medien darstellt: "Hin und wieder kommt etwas Neues heraus, oft spricht es bestimmte Themen an, die gewissen Leuten nicht passen und immer versucht wurden, zu unterdrücken. Tatsächlich ist ja dieses Land auch unterdrückt durch die Medien, die in den Händen der Regierung sind."

Los de Abajo hingegen stellen ganz klar das politische Engagement in den Vordergrund: "Wir sind definitiv eine politische Band mit dem klaren Anspruch, Missstände aufzuzeigen und Positionen zu äußern", betont Keyboarder Carlos Cuevas. "Als Band sind wir Teil einer Musiker-Organisation namens La Bola, die für die Demokratisierung Mexikos und die Rechte der Indígenas eintritt", berichtet Gitarrist Garnica. "Wir organisieren gemeinsam Solidaritätskonzerte, und alle, die kommen, spenden 10 Peso (etwa ein Dollar) und ein Kilo Reis. Mit dem Geld wird die Anlage finanziert und die Lebensmittel gehen zum Beispiel an die zapatistischen Gemeinden in Chiapas." Der Name La Bola - "Haufen" - bezieht sich auf die revolutionären Truppen Pancho Villas, die sich so nannten.

Revolutionsromantik kann Los de Abajo dennoch nicht nachgesagt werden. "Wir berichten darüber, was wir als Jugendliche in Mexiko Stadt erleben", erklärt Cuevas pragmatisch, "wenn wir über die zapatistische Bewegung singen, dann geht es darum, was sie für uns bedeutet. Wir sind zwar alle Marcos, wie es immer heißt, aber wir sind nicht alle in den Bergen von Chiapas und wir haben auch nicht alle ein Gewehr in der Hand".

Control Machete: Mucho barato (PolyGram) und Artillería Pesada, Presenta (Motor Music/Universal)

Los de Abajo: Los de Abajo (Luaka Bop/Warner Bros.)

Molotov: Dónde jugarán las niñas? (Surco/Universal) und Apocalypshit (Surco/Universal)