Nur internationale Medien berichten in Thailand über die wahren Ausmaße der Flutkatastrophe. Die Regierung spart mit geschäftsschädigenden Informationen über die Opferzahlen.

„Zuviele Tote sind schlecht fürs Geschäft“

In dem kleinen Restaurant für Touristen läuft der Fernseher den ganzen Tag – abwechselnd BBC und CNN. Viele Touristen setzen sich gebannt an die kleinen Tische der „Sandee Family“. Doch auch viele Thais bleiben stehen und schauen sich die Berichte der internationalen TV-Kanäle an. „Im Thai-Fernsehen wird nicht viel berichtet und auch stets abgewiegelt“, erzählt Lee, Mitte 30 und Mutter eines achtjährigen Jungen. Sie massiert am Strand Touristen auf die recht schmerzvolle traditionelle Thai-Art. „In den Zeitungen steht auch nicht viel, die meisten Medien gehören doch Thaksin oder stehen unter seiner direkten Kontrolle.“

Thaksin Shinawatra ist der Premierminister Thailands. Der Multimillionär verfügt über ein riesiges Wirtschaftsimperium. Er ist eine Art Berlusconi Thailands. Ihm gehören TV-Anstalten, Zeitungen, Satelliten-Netzwerke, Supermarktketten und vieles mehr im Land des Lächelns. Und da Thailand vom Tourismus lebt und Thaksin – die meisten Thais nennen ihn beim Vornamen – letztlich auch, wird verschwiegen, was nicht sein darf: Niemand kennt die genauen Opferzahlen.

Wenige Tsunami-Flutopfer?

Kurz nach der Katastrophe sprach die thailändische Regierung von 200 Toten im Land und nur allmählich sickerte durch, dass dafür zigtausend „Vermisste“ gezählt wurden. Nur langsam stiegen die Opferstatistiken. Während alle anderen Länder die Zahlen schnell sehr hoch ansetzten, übte sich die Thairegierung im Herunterreden des Unglücks. Auch die englischsprachige Bangkok Post täuschte noch am zweiten Tag nach dem Unglück „business as usual“ vor.

Von offiziellen Stellen bestätigt wurden bis 31. Dezember 2004 3.689 Tote. Gemäß der Angaben von Anuwat Maytheevibulwut – Gouverneur der am stärksten betroffenen Provinz Phangnga, zu der auch Phuket, Krabi, die James-Bond-Filmkulisseninsel Ko Phao Phing Kan und die Hollywood „The Beach“-Kulisse Ko Phi Phi zählen – sind 2.027 davon Ausländer und 1.662 Thailänder. Mittlerweile spricht die thailändische Regierung von 7.000 Vermissten. Doch auch diesen Zahlen ist wenig Vertrauen zu schenken. Denn allein die Botschaften 30 verschiedener Länder meldeten schon insgesamt 6.121 vermisste Personen.

2001 gewann Shinawatra mit seiner rechtspopulistischen Partei Thai Rak Thai („Thais lieben Thais“). Er versprach allen Thais, so reich zu werden wie er selbst, verkaufte ihnen den Traum des „selfmade man“. Seitdem geht es mit den ohnehin beschränkten demokratischen Rechten und der limitierten Pressefreiheit in der formal konstitutionellen Monarchie mit Mehrparteiensystem und Wahlen weiter bergab. Seilschaften, Korruption, schmutzige Geschäfte, Betrug, Entführungen und sogar Mord charakterisieren Wahlen und die Machtaufteilung unter den Kandidaten, die meist aus Armee, Polizei und Oberschicht stammen.

Erstickte Demonstranten?

2004 erhöhte die brutale Repression der Armee im Zuge der Suche nach vermeintlichen El-Kaida-Ablegern im mehrheitlich muslimischen Süden des Landes weiter die Spannungen. Die Armee ging selbst gegen friedliche Demonstrationen mit Gewalt vor und ließ hunderte Demonstranten im Oktober 2004 in LKWs zusammengepfercht ersticken. Sogar der König und seine Frau, die sich sonst jeden politischen Kommentars enthalten, mahnten die Regierung zur Mäßigung. Doch eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission stellte fest, dass die Armee keine Schuld am Tod der Demonstranten träfe. Diese waren „einfach erstickt“ – unglückliche Umstände. Die Regierung Thaksin ist ein Meister im Vertuschen, nicht nur im Fall der Tsunami-Opfer. Über Thailand wacht – glaubt man den offiziellen Regierungsverlautbarungen – eine schützende Hand, die es von sämtlichen Katastrophen der Region verschont.

Von Katastrophen verschont?


So auch, als die gesamte Region ab Ende 2003 von der Vogelgrippe betroffen war. Während in Vietnam und Kambodscha Hühnerfarmen geschlossen wurden, der Verkauf von Geflügel vorrübergehend eingeschränkt und Informationskampagnen gestartet wurden, war in Thailand alles bestens. Die Regierung leugnete hartnäckig die Präsenz des Virus H5N1, und die Menschen, die ihm erlagen, starben offiziell aus anderen Ursachen. Das Touristikziel sollte nicht gefährdet werden und ebenso wenig die Rolle Thailands als einer der größten Hähnchenexporteure der Region.

Nach zwei Monaten gab die Regierung das vereinzelte Auftauchen der Vogelgrippe im Land zu. Nur 40 Tote soll sie in Thailand offiziell verursacht haben. Ob die Seuche noch im Land kursiert, ist unklar. Die Bekanntgabe ihrer Existenz verband Thaksin mit der Drohung, alle verantwortlichen Minister rauszuschmeißen, wenn „die Epidemie nicht innerhalb von einem Monat ausgelöscht“ wird. Doch seitdem wurde darüber kein Wort mehr verloren, Monate sind vergangenen, die Minister sind noch auf ihren Posten. „Thaksin musste erst seine Hühnerfarmen verkaufen und seine Investitionen in dem Sektor umschichten“, berichtet Lee abgeklärt, „für ihn ist alles nur Geschäft, die Menschen interessieren ihn nicht.“

Ebenso versucht die thailändische Regierung die Ausmaße des Flut-Unglücks zu verschweigen. Damit hat sie Hilfsmaßnahmen verzögert. Ganze Regionen wurden in Stich gelassen. Mittlerweile ist klar, dass nicht nur die Insel Phuket (wie zunächst behauptet) und einige weitere Orte und Inseln inder Gegend (wie später zugegeben) vom Tsunami betroffen waren. Die gesamte Westküste, von Ko Lanta an Grenze zu Malaysia, Krabi, die Phangnga-Bucht (mit Phuket), über die Strände der Khao-Lak-Küste bis zur Grenze nach Myanmar (Burma) war von der Zerstörung betroffen. In der Provinz Ranong gruben die Überlebenden tagelang mit bloßen Händen nach Verschütteten.

Kalkuliertes Schweigen

Dabei steht Thailand als relativ modernes Land nicht vor dem Problem Sri Lankas, keine Mittel und Ausrüstung für ein schnelles Eingreifen zu besitzen. Das Vorgehen der Regierung muss als kalkuliert angesehen werden, um den internationalen Tourismus nicht zu verschrecken. So verschwieg die Regierung auch die Horrorgeschichte der Fünf-Sterne-Ferienanlage „Magic Lagoon” von Sofitel an der Küste von Khao Lak, unter deren Trümmer an die 2.000 Touristen und Thai-Angestellte von der Riesenwelle begraben wurden. Erst nach drei Tagen und durch die Enthülllungen eines französischen Radiosenders (Europe 1) erfuhr die Öffentlichkeit von dem Luxusmassengrab, das bis dahin von keiner Hilfsmannschaft aufgesucht worden war.

Doch im Februar finden in Thailand Wahlen statt und Premier Thaksin ist besorgt um seine Wiederwahl. „Keiner weiß, ob er erneut Premier wird, aber jeder weiß, dass er sich wohl ins Ausland absetzen wird, wenn es nicht klappt. Ohne Protektion von höchster Stelle ist er bei seinen obskuren Machenschaften in Thailand nicht mehr sicher“, erzählt Lee. Denn während das Bruttoinlandsprodukt des Landes in Thaksins Amtszeit um 16 Prozent fiel, stiegen die Aktien der familieneigenen Holding um 70 Prozent.