Venezolanische Militärs haben den Präsidenten Hugo Chávez zum Rücktritt aufgefordert

Schwere Geschütze

Der venezolanische Konteradmiral Carlos Molina Tamayo fuhr in der vergangenen Woche ein schweres Geschütz auf. Er forderte Präsident Hugo Chávez zum Rücktritt auf und kündigte an, ein Verfahren gegen ihn anzustrengen, sollte er der Forderung nicht nachkommen. Die nationale und internationale Presse nahm die Nachricht erfreut auf und verbreitete sie als Beweis für den schwindenden Rückhalt Chávez' in der Armee und der Bevölkerung. Schließlich war es bereits der vierte hohe Militär, der sich innerhalb einiger Wochen gegen den Präsidenten aussprach.

"Ich erkläre öffentlich meine Ablehnung der ständigen verfassungsbrechenden Handlungen des Präsidenten Chávez und seines Regimes", erklärte Tamayo und forderte die venezolanische Bevölkerung auf, "offen gegen die antipatriotische Haltung Chávez' zu demonstrieren". Die "offenen" Manifestationen blieben allerdings auf einige hundert hartnäckige Vertreter der Oberschicht beschränkt. Die Marine erklärte sogleich in einer Erklärung ihre Unterstützung für Chávez und betonte, die Äußerungen Tamayos seien "persönlicher Natur". Rückhalt in der Armee fanden die rebellierenden Militärs ebenfalls nicht. Der Luftwaffenoberst Pedro Soto, der Chávez Anfang Februar zum Rücktritt aufgefordert hatte, kehrte nach wenigen Tagen in seinen Stützpunkt zurück und versicherte, mit seinen Beschwerden den institutionellen Weg zu beschreiten.

In den weiter gehenden Erklärungen der rebellierenden Militärs wird deutlich, worum es geht. Tamayo führte aus, er lehne die Haltung Chávez' ab, "das venezolanische Volk zu teilen und die Gesellschaft mit der Absicht anzugreifen, eine linksextreme Tyrannei zu installieren", und kritisierte "die ständige Verschlechterung der internationalen Beziehungen zu den traditionellen Verbündeten"; gemeint sind die USA. Tamayo forderte die Rücknahme der kürzlich verabschiedeten 49 Dekrete, ein positives Investitionsklima, die Wiederherstellung institutioneller Beziehungen zur katholischen Kirche, die Respektierung des Privateigentums und die Kündigung des Erdölabkommens mit Kuba. Luftwaffenoberst Soto betonte, Chávez sei nicht gewählt worden, um eine "kommunistische Regierung einzuführen". Sein Anwalt kündigte an, Chávez vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuzeigen, da er "zum Klassenkampf aufgerufen" habe.

Gegen das 49 Dekrete umfassende, im Dezember verabschiedete Paket hatten bereits im selben Monat Unternehmerverbände und einige an die ehemals regierende Oligarchie gebundene Gewerkschaften zu Streiks und Demonstrationen mobilisiert.

Das Paket entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als durchaus progressiv. Chávez will den aufgeblähten Verwaltungsapparat reduzieren und staatliche Subventionen für private Unternehmen besteuern; die Banken selbst - und nicht wie bisher der Staat - müssten für ihre Schulden aufkommen; das Steuersystem soll derart umgestaltet werden, dass die unteren Einkommensschichten einen geringeren Prozentsatz bezahlen als die oberen; ein zu gründender Sozialfonds soll die Ernährungssituation verbessern; die Kontrolle des Staates über die Rohstoffe soll verstärkt, die Erdölförderung transnationaler Konzerne höher besteuert werden; die Regierung will die Strompreise festlegen, den Großgrundbesitz stark einschränken, und die indigenen Gemeinden sollen die Kontrolle über ihr Land inklusive der Gewässer und der Bodenschätze erhalten. Wie die Praxis aussehen soll, bleibt zwar offen, doch erscheinen die Proteste gegen den Sozialpopulisten Chávez so in einem anderen Licht.

Chávez scheiterte 1991 mit einem Militärputsch gegen die korrupte Regierung und konnte sich nach seiner Entlassung aus der Haft Ende 1998 bei den Präsidentschaftswahlen gegen die gesamte traditionelle Parteienkonkurrenz mit einem haushohen Sieg durchsetzen. Mit der Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung demontierte er das alte und korrupte Parteiensystem, er reformierte das Parlament, ließ eine neue progressive Verfassung ausarbeiten und verabschieden.

Für die USA ist Chávez deshalb seit seiner Amtsübernahme ein Problem. Der Präsident pflegt zudem gute Beziehungen zu Kuba, das von Venezuela Erdöl zum Vorzugspreis erhält und dafür Unterstützung beim Umbau des venezolanischen Erziehungs- und Gesundheitssystems gewährt. Zudem hat sich Chávez gegen das gesamtamerikanische Freihandelsabkommen FTAA, das neoliberale Prestigeprojekt der US-Regierung, ausgesprochen. Er setzt auf den "lateinamerikanischen Weg", also auf eine Stärkung des regionalen Zusammenhangs.

Chávez will den transnationalen Ölkonzernen nicht die gesamten Einnahmen überlassen und ist bemüht, dass der staatliche venezolanische Erdölförderkonzern gemeinsam mit seinem brasilianischen Pendant ein kontinentales Tankstellennetz aufbaut. Sein Amtsantritt durchkreuzte das Vorhaben der USA, Kolumbien militärisch einzukreisen und eine internationale Intervention gegen die Guerilla vorzubereiten, da er jeder Aktion gegen die kolumbianische Guerilla eine Absage erteilte. Zudem verbot er den USA, venezolanisches Territorium zu überfliegen. Die venezolanische Regierung pflegt gute Beziehungen zur kolumbianischen Guerilla, die sie als "eine Konfliktpartei in einer kriegerischen Auseinandersetzung" begreift.

Dennoch stecken Chávez und seine Regierung in Schwierigkeiten. Die anfängliche Begeisterung der Bevölkerung ist der Ernüchterung gewichen. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief nicht wie erwünscht, und so wurde die Bindung des Bolivar an den Dollar Mitte Februar aufgegeben, um die Devisenreserven nicht mit Stützungskäufen zu verpulvern. Es folgten eine verstärkte Kapitalflucht und eine Entwertung des Bolivar um nahezu 30 Prozent. Die Maßnahme verschlechterte den Lebensstandard der Bevölkerung und sorgte ironischerweise für ein Lob des von Chávez so gehassten Internationalen Währungsfonds.

Ob der Präsident und seine Regierung es schaffen werden, diese schwierige Situation zu meistern, ohne weiter an Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren, ist noch offen. Eine Alternative zu dem noch bis 2006 amtierenden Chávez ist bisher jedoch nicht zu sehen. In einigen Punkten - vom Streik der Unternehmer und der ihnen verbundenen Gewerkschaften über die Äußerungen der US-Regierung bis zu den Unmutsbekundungen in den Streitkräften - ähnelt Chávez' Situation jedoch derjenigen Salvador Allendes kurz vor dem Militärputsch in Chile im Jahr 1973. Das Aufbegehren des Militärs könnte ein Testballon gewesen sein. Perez, bis heute verweigert.