Der Skandal um Regierungssubventionen für mexikanischen Banken weitet sich aus

Wer kann, bedient sich

Der große Brösencrash Ende 1994 ist in Mexiko noch in deutlicher Erinnerung. Die Regierung hatte damals unter dem neuen Präsidenten Ernesto Zedillo rund 65 Milliarden Dollar in mexikanische Privatbanken und Unternehmensgruppen gepumpt, um deren Kollaps zu vermeiden. Die Krise schien damit zuächst behoben. Doch unklar blieb, wem die enorme finanzielle Unterstützung zugute kam.

Die oppositionelle Partei der Demokratischen Revolution (PRD) veröffentlichte im August eine Liste mit den Namen von 300 Unternehmern, die 1995 von der mexikanischen Regierung Kredite erhielten. Nun zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die Mehrzahl der Kreditempfänger nicht nur ohnehin zu den reichsten Geschäftsleuten Mexikos gehören, sondern ein Jahr zuvor auch die wichtigsten Geldgeber im Wahlkampf des amtierenden Präsidenten Ernesto Zedillo waren.

Sie hatten 1993 an einer Versammlung mit einem Vertreter des damaligen Präsidenten Carlos Salinas teilgenommen und jeweils 25 Millionen Dollar für den Wahlkampf seines Nachfolgers bereitgestellt. Carlos Salinas, der verdächtig wird, in den internationalen Drogenhandel verwickelt zu sein, lebt mittlerweile im Exil in Irland - wo er in aller Ruhe sein auf elf Milliarden Dollar geschätztes Vermögen genießen kann.

Lange Zeit hielt die Regierung der seit 70 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) die Informationen über die Ausmaße und Empfänger der Gelder geheim. Der Skandal kam erst an die Öffentlichkeit, als die Regierung unter Präsident Zedillo im März diesen Jahres eine Gesetzesinitiative in das Abgeordnetenhaus einbrachte. Demnach sollten die Kredite, die über den "Bankenfonds zum Schutz der Ersparnisse", kurz Fobaproa, verwaltet wurden, in öffentliche Schulden verwandelt werden.
Deren Gesamtsumme von 65 Milliarden Dollar macht etwa 16 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandproduktes aus. Hätte die Gesetzesinitiative der Regierung Erfolg, würden die mexikanischen Steuerzahler für die meist auf fehlgeschlagene Spekulationsgeschäfte zurückzuführenden Verluste der Banken aufkommen. Allein die jährlichen Zinsen würden die Hälfte der gesamten Jahresausgaben im Gesundheitssektor entsprechen.

Und obwohl sich die Regierung hartnäckig weigert, die Namen der in die Affäre verwickelten Schuldnerunternehmen und Informationen über ungedeckte Kredite bekanntzugeben, vergeht kaum ein Tag, an dem der Skandal um Schiebereien und gefälschte Konkursverfahren nicht immer weitere Kreise zieht.

Dabei wird deutlich, daß die Finanzkrise von 1995 erheblich verschärft wurde, indem verschiedene zahlungsfähige Unternehmensgruppen ihren Verpflichtungen nicht nachkamen und ihre Schulden einfach der Regierung überschrieben. Diese wiederum hielt es weder vor dem Crash noch danach für nötig, die Zahlungsfähigkeit dieser Gruppen zu überprüfen.

Doch mittlerweile kann die Regierung nicht mehr ganz so ungestört wie zu Zeiten Salinas agieren. Im Abgeordnetenhaus haben seit den letzten Wahlen erstmals die Oppositionsparteien die Mehrheit. Deren Spektrum reicht zwar von der linksoppositionellen PRD bis zur katholisch-konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN), doch sind sich die verschiedenen Gruppierungen darin einig, die Übertragung der Schuldenlast auf den Regierungshaushalt abzulehnen.
Sie fordern, wie etwa der PRD-Vorsitzende Andrés Manuel L-pez Obrador, die Regierung auf, "eine minutiöse Untersuchung vorzunehmen, um herauszufinden, wie diese Kredite vergeben wurden, denn es wurden Unternehmer subventioniert, die das Geld besitzen, um die Kredite zu bezahlen". Daher zieht die Opposition sogar die Möglichkeit in Betracht, den Direktor der Bank von Mexiko und ehemaligen Finanzminister, Guillermo Ortiz, sowie den Vorsitzenden der Nationalen Bank- und Wertekommission, Eduardo Fern‡ndez, wegen unlauterem Vorgehen vor Gericht zu stellen.

Gleichzeitig beschloß das Abgeordnetenhaus die Einrichtung einer Untersuchungskommission unter Beteiligung internationaler Experten, die bis November einen Bericht vorlegen soll. Ein Ende der Enthüllungen ist daher noch nicht abzusehen. Die Situation wird auch durch die zahlreichen Betrügereien, die das mexikanische Finanzwesen in den letzten Jahren gekennzeichnet haben, zusätzlich erschwert. Die Praxis der mexikanischen Banken, ihren eigenen Direktoren und Geschäftspartnern hohe Kredite zu gewähren, war bereits Jahre vor dem Finanzcrash weit verbreitet und von den Behörden toleriert. Wenn die Kredite nicht mehr bezahlbar waren, schrieb die Regierung in aller Regel Schuldscheine aus und übernahm die Schulden, ohne die Liquidität der Schuldner zu überprüfen.

Mitte September einigten sich Regierung und Opposition nun auf neun Prinzipien zur Lösung des "Kreditproblems". Das Finanzsystem sollte reformiert und der Fobaproa stabilisiert werden, und zwar mit Hilfe von Regulations- und Kontrollmechanismen für die Währungs- und Wechselkurspolitik. Damit sollten weitere Zusammenbrüche vermieden und dem nationalen Markt mehr Sicherheiten gegeben werden.
Der Kompromiß sah vor, eine technische und eine allgemeine Sonderkommission einzurichten. Erstere hat die Aufgabe, "die Finanz-, Wechselkurs- und Währungspolitik zu stärken und das Bankwesen zu kontrollieren", während die zweite Kommission die Legalität und Verfassungsmäßigkeit der Fobaproa-Operationen untersuchen sollte.

Einigkeit bestand auch darüber, "juristische Sicherheit zu geben, mittels Gesetzesreformen die nationale Ökonomie und die Ersparnisse zu schützen, das Bank- und Finanzwesen zu stärken und Gewinne in Investitionen und Arbeitsplätze zu investieren, die Handhabe des Fobaproa transparenter zu gestalten, die Straflosigkeit zu beenden und unberechtigte Empfänger der Fobaproa-Gelder hart zu bestrafen". Auch sollen bei den Sanierungsmaßnahmen kleine und mittlere Schuldner bevorzugt werden.
Doch bereits am nachfolgenden Tag sagte die PRD-Senatorin Rosa Albina Garavito, die neun Grundprinzipien seien "eine Absichtserklärung" und würden keinesfalls "die Umwandlung der Außenstände des Fobaproa in öffentliche Schuldenlast bedeuten". Nur eine Woche, nachdem das Finanzministerium das Grundlagenpapier vorlegte, kündigte die PRD die Zusammenarbeit wieder auf.

Der Finanzskandal wird also weiterhin die öffentliche und politische Debatte bestimmen. Die PRD veranstaltete erst vor wenigen Wochen eine selbstorganisierte Volksbefragung. 95 Prozent sprachen sich dabei gegen die Übernahme der Schulden durch die öffentliche Hand aus. In der Fobaproa-Diskussion geht es aber auch um mehr, so etwa um die Seilschaften in Privatwirtschaft und Regierung, die dafür sorgen, daß ein Großteil der Staatsfinanzen immer in die gleichen Händen gelangen. Gleichzeitig hat sich die soziale Situation in den letzten Jahren so sehr verschlechtert, daß die Mittelschicht stark verarmt ist und fast ein Drittel der Bevölkerung, rund 26 Millionen Menschen, in extremer Armut lebt.

Dennoch weisen die Subventionsprogramme für private Banken und Unternehmen mit elf Prozent einen höheren Posten im mexikanischen Haushalt auf, als die Sozialausgaben. Deren Anteil beträgt in diesem Jahr gerade mal neun Prozent.
" Dario Azzellini / Mexiko-Stadt


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