In wenigen Jahren sind in Venezuela hunderte von Basismedien entstanden

Schau kein Fernsehen, mach’ es!

Während die großen kommerziellen Medien in Venezuela fast gänzlich in den Händen oppositioneller Unternehmer sind und sich rund um die Uhr der Propaganda gegen die Regierung, die bolivarianische Bewegung und ihre Politik widmen, ist in den vergangenen Jahren ein dichtes Netz von Basismedien entstanden. Hunderte haben sich in ANMCLA zusammengeschlossen, der landesweiten Organisation der Alternativ- und Basismedien.
ANMCLA arbeitete im Jahr 2000 gemeinsam mit der Regierung das neue Fernseh- und Rundfunkgesetz aus. In dem Gesetz sind das Recht der Gemeindesender auf Frequenzen und staatliche Förderungen festgelegt. Seitdem entstanden zahlreiche neue Basissender. Sie brechen mit der Übermacht der Privatmedien und sind Teil des sozialen Transformationsprozesses. Eine Reportage über die Basismedien in Caracas.

von Dario Azzellini

Wir berichten nicht über den Transformationsprozess in Venezuela, wir sind Teil davon“ erklärt Marylin Chung, eine der 30 festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Basisfernsehsenders Catia TVe im TV-eigenen Kinosaal. Jeden Tag sendet Catia TVe, benannt nach dem großen armen Bezirk Catia im Westen von Caracas, von 14.00 bis 23.00 Uhr. „Schau kein Fernsehen, mach’ es!“ verkünden Plakate des Senders und so sieht auch die Programmstruktur aus. „70 Prozent der Sendungen werden von der Basis produziert und nur 30 Prozent von den etwa 30 festen MitarbeiterInnen des TV-Kanals“. Damit das so ist, hat Catia TVe die ocpais entwickelt, „Gemeindeteams für unabhängige audiovisuelle Produktion“, Gruppen, die aus fünf Personen bestehen und Programme produzieren. Sie haben beim Sender in Workshops alles Notwendige gelernt und arbeiten ohne Aufgabenteilung. Jeder lernt sämtliche Produktionsschritte.

„Mittlerweile gibt es 30 ocpais“, berichtet Jaime Fleitas, der als fester Mitarbeiter im Sender für den Bereich Produktion zuständig ist. „Es geht hier um Kommunikation für die Befreiung des Menschen und daher lernen wir für die Befreiung. Das heißt, ein Schwerpunkt für uns liegt auch darin, Organisationsprozesse anzuschieben“, so Jaime, einer der wenigen Männer im Sender. Auch hier dominieren, wie in vielen Basissektoren der bolivarianischen Revolution, Frauen. Im Kinosaal riecht es noch nach feuchtem Mörtel, und an verschiedenen Ecken des neuen Sendezentrums wird noch gebaut, während in einigen Räumen Sendungen produziert werden.
Zuvor befanden sich die Räume von Catia TVe im letzten Stockwerk eines Krankenhauses im Stadtteil Lidice. Aus den ehemals leerstehenden Räumen sendete das Fernsehen bis zum Juli 2003, als die Stadtverwaltung des oppositionellen Oberbürgermeisters von Caracas, Alfredo Peña, Catia TVe überraschend räumen ließ. „Das hatte letztlich seine guten und schlechten Seiten“ so Marylin Chung, „wir erfuhren unheimlich viel Solidarität und Unterstützung auf nationaler wie internationaler Ebene, und schließlich gab uns das Innen- und Justizministerium ein neues Gebäude“. Das leerstehende Haus war in einem erbärmlichen Zustand, aber es wurde Catia TVe überrschrieben, so dass nun keine Räumung mehr zu befürchten ist.

Nach der Räumung sendete das Fernsehen allerdings ein Jahr lang nicht, nur die Workshops liefen weiter. Am 10. Juli 2004 war es wieder so weit. Das Signal ist fast im gesamten Bezirk Libertador zu empfangen, mit über zwei Millionen EinwohnerInnen der größte Verwaltungsbezirk der Stadt Caracas, darüber hinaus erreicht es auch Teile des zweitgrößten Bezirks Petare und der Vorstadt in Sucre. In manchen Gegenden, so etwa in den Armenvierteln entlang der alten Straße zum Flughafen, ist es sogar der einzige Sender, der zu empfangen ist.

Die Ursprünge von Catia TVe liegen 14 Jahre zurück, als 1991 einige Jugendliche im Stadtteil Manicomio von Caracas einen kleinen Kinoclub gründeten, um Filme im Viertel zu zeigen. Drei Jahre später entstand in dem gleichen Kreis das Projekt, ein Stadtteilfernsehen zu gründen. Viele AktivistInnen aus dem Viertel erklärten die Jugendlichen für verrückt, ein Stadtteilfernsehen schien eine vollständig utopische Traumvorstellung. Die AktivistInnen begannen mit spärlichen Mitteln, Videos zu produzieren und in Workshops das Wissen über die Produktion von Sendungen an interessierte Personen im Stadtviertel weiterzugeben. Mit der neuen Verfassung von 1999 und dem Mediengesetz von 2001 wurden schließlich die Grundlagen für das Gemeindefernsehen gelegt. Noch im gleichen Jahr bekam Catia TVe eine Sendelizenz und ging auf Sendung.

Bekannt wurde der Sender, als sich kurze Zeit später eine junge Frau in eine Pressekonferenz für große Medien einschlich und Präsident Hugo Chávez um einen Gruß für die Bewohner von Catia bat. Die junge Frau war Blanka Eekhout, Mitgründerin und Direktorin von Catia TVe. Im September 2003 wurde Blanka Direktorin des neu gegründeten staatlichen Kulturkanals Vive TV (vgl. Beitrag in dieser ila), und im Januar 2005 wurde sie zur Direktorin des Staatsfernsehens VTV ernannt.

„Radio Libre Negro Primero“ sendet seit dem Jahr 2002 aus einem Armenstadtteil von Caracas. Täglich zwölf Stunden kann der Sender im halben Stadtgebiet auf UKW 92,5 empfangen werden. Am Wochenende sendet er rund um die Uhr. In den Programmen geht es um die Probleme im Stadtteil, politische Informationen, die von der Basis durchgeführten Programme zur Alphabetisierung, Gesundheit, Sport und vieles mehr. 14 VollzeitaktivistInnen tragen die Struktur für umgerechnet 75 Euro im Monat. Das reicht gerade einmal, um die Fahrtkosten zu decken. Trotz der knappen Mittel beteiligen sich über 100 weitere BasisaktivistInnen an der Gestaltung des Programms.

„Wir sind kein Regierungssender“, stellt Carlos Lugo, Direktor von Radio Libre Negro Primero, gleich zur Beginn des Gespräches klar. Die MitarbeiterInnen glaubten an eine gesellschaftliche Transformation auf der Grundlage der neuen Verfassung, „aber wir arbeiten für die Gemeinde, für die Basis“. Die Basis ist das Armenviertel Pinto Salinas. 15-stöckige Häuserblöcke mit je 150 Familien ragen hier in die Höhe, dazwischen stehen unverputzte Ziegelsteinhäuschen mit Wellblechdächern.

Im gesamten Land wurden nach der Verabschiedung des Gesetzes 150 Radios legalisiert und sie erhalten staatliche Unterstützung. Diese Hilfe fällt zwar nicht besonders üppig aus, bietet aber eine gewisse Grundlage. „Früher sendeten viele Stationen illegal und mussten von der Basis finanziert werden“, erklärt Lugo. Da die Nachbarschaft aber arm ist, seien viele Radios in ihrer Existenz bedroht gewesen. „Allerdings“, fährt Lugo fort, „warten auch heute noch über 300 Radios auf eine Lizenz“. Das hänge damit zusammen, dass die staatliche Regulierungsbehörde CONATEL korrupt sei. „Die großen kommerziellen Sender bezahlen dafür, dass die Gemeinderadios keine Genehmigung bekommen“, so Lugo.

90 Prozent der Frequenzen in Venezuela werden nach wie vor von kommerziellen Sendern belegt, nahezu alle gehören großen Medienkonzernen. Oft überlagern sie die Frequenzen der Gemeindesender, ohne dass CONATEL etwas dagegen unternimmt. Die kommerziellen Sender fürchten die Gemeinderadios wegen ihrer sozialen und politischen Arbeit. Die Reichweite der Radios ist zwar nicht groß, aber viele Menschen hören sie. „Wir haben vor kurzem eine einstündige Sendung über Probleme älterer Leute gemacht und spontan zu einer Kundgebung am nächsten Tag mobilisiert. Es kamen 500 Leute“, berichtet Carlos Lugo. Die landesweite Organisation der Alternativ- und Basismedien will nun den Druck auf die Regulierungsbehörde vergrößern, um die Legalisierung aller Basisradios zu erreichen.

Darüber hinaus hat ANMCLA große Pläne. Es soll eine technologische Plattform geschaffen werden, die alle Basisradios miteinander verbindet und den Austausch von Sendungen sowie zeitgleiche Ausstrahlung ermöglicht. Der Antrag auf Finanzierung des Projektes durch den Staat wurde bereits genehmigt. Auch das Projekt einer von den Radios und anderen Alternativmedien gebildeten alternativen Nachrichtenagentur ANA. Das dritte große Vorhaben betrifft den Aufbau eines Schulungszentrums für AktivistInnen lokaler und alternativer Medien. Dafür wurde ANMCLA zwar bereits ein Gebäude zugesprochen, doch die Finanzierung der konkreten Arbeit ist noch ungewiss. Carlos Lugo ist allerdings zuversichtlich: „Die Zukunft gehört der Basis“, sagt er, „und wir sind ihr Medium.“