Das Projekt »teleSUR« wird oft mit CNN oder Al Dschasira verglichen. Doch hat der Sender ein ganz eigenes Konzept. Ein Gespräch mit Programmdirektor Aram Ruben Aharonian

»Mit unseren eigenen Augen sehen«

Aram Ruben Aharonian wurde 1946 in Montevideo (Uruguay) geboren. Seit 1965 arbeitet er als Journalist. Seit Anfang 2004 gibt er die linke Wirtschaftswochenzeitung Quantum heraus. Nun ist er als Vertreter des venezolanischen Kommunikationsministers Andrés Izarra in die teleSUR-Führung berufen worden. Er steht dem Direktorium vor.

Interview: Dario Azzellini

F: Worin unterscheidet sich teleSUR von CNN oder Al Dschasira, mit denen es häufig verglichen wurde?


Die Ähnlichkeit mit Al Dschasira könnte im regionalen Charakter bestehen, auch wir senden aus der Region für die Region. Aber CNN und Al Dschasira sind private und kommerzielle Sender, teleSUR ist ein multistaatliches Projekt. Wir wollen uns vorwiegend auf die unabhängigen Produktionen der Region stützen, denn diese Beiträge sind ansonsten kaum zu sehen. Immerhin wurden im vergangenen Jahr in Lateinamerika 640 unabhängige Dokumentarfilme produziert.

F: Wie groß ist die Autonomie von teleSUR gegenüber den Regierungen der Staaten, die das Projekt finanzieren?

Die Autonomie ist total. TeleSUR ist eine unabhängige Gesellschaft, die mit Kapital aus mehreren Ländern gegründet wurde. Das Direktorium besteht aus sieben professionellen Publizisten Lateinamerikas, die mit den drängenden Themen der Region sehr gut vertraut sind. Diese Kollegen kommen aber nicht einmal unbedingt aus den Ländern, die sich finanziell an dem Vorhaben beteiligen.

F: Welche politische Dimension hat teleSUR?


Wir sehen unsere Aufgabe darin, das Wort wieder zu gewinnen, das lange Zeit gekidnappt war – von Diktatoren, von Politikern, die dem Großkapital dienten, von Beratern und Experten, die immer im Namen der Ausplünderung sprechen. Zum ersten Mal seit der Eroberung vor 513 Jahren können wir Lateinamerikaner mit eigenen Augen sehen und unsere eigenen Lösungen suchen. TeleSUR hat zusätzlich eine strategische Dimension: Es ist das einzige Massenfernsehen mit einer alternativen Botschaft zu der Propaganda, die in den lateinamerikanischen Medien vorherrscht.

F: Von der kolumbianischen Regierung gab es bereits Kritik ...


... das waren aber absurde Angriffe auf teleSUR. Offenbar sollte versucht werden, die venezolanische Regierung und den Sender zu diskreditieren, bevor er noch auf Sendung war. Es wurde kritisiert, daß in einem einstündigen Trailer eine Sekunde lang der Gründer der kolumbianischen FARC-Guerilla zu sehen ist, eine Person, die zur Geschichte des Kontinents gehört. Aber in Kolumbien wird seit 55 Jahren das freie Wort angegriffen. TeleSUR ist ein Traum, für den viele Kollegen gekämpft haben und für den auf dem Weg auch viele gefallen sind. Jetzt kann er Wirklichkeit werden, auch, weil sich Lateinamerika in den letzten Jahren erheblich verändert hat. Der Impuls dafür kam aus Venezuela: Zum ersten Mal in der Geschichte erreichen die Erdöleinnahmen hier die Bevölkerung. Die Mehreinnahmen haben es ermöglicht, dieses lateinamerikanische Projekt der Integration in der Kommunikation ins Leben zu rufen.

F: Wo, hoffen Sie, wird teleSUR in einem Jahr stehen?


An der Seite der Menschen und der sozialen Organisationen. Wir wollen, daß die Menschen verstehen: teleSUR besteht aus allen. Es muß uns gelingen, die Menschen auf diesem Kontinent davon zu überzeugen, daß wir uns mit unseren eigenen Augen sehen und wissen müssen, woher wir kommen. Denn nur so können wir skizzieren, wohin unser Weg gehen soll. TeleSUR will helfen, diesen Weg aufzuzeigen. Nur wenn uns das gelingt, wird teleSUR wirklich ein lateinamerikanischer Kanal.


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