Comuna im Aufbau, reviewed von negativ-film

Comuna im Aufbau

von Janusch Ertler, am 6.7.11

Wie viel Bedeutung hat ein neuer Milchtank? Ein Telefonanschluss? Oder
ein Fußboden im Haus? Das aktuelle Venezuela ist eine der letzen
Hochburgen, welche den Wert einer Sache an seinem Wert für die
Gemeinschaft misst. Es ist eine der wenigen sozialistischen Bastionen
auf der Welt. Aber es ist auch ein Land, das sich noch immer im Prozess
befindet zu verstehen, was das eigentlich bedeutet. Was Sozialismus ist.
Was die Möglichkeiten und Hindernisse dieses sozialen und politischen
Wandels sind.

Die aktuelle Situation dieses Prozesses der „bolivarischen Revolution“
wurde in dem Film Comuna im Aufbau von den Regisseuren Dario Azzellini
und Olivier Ressler festgehalten. Es ist ein Film, der sich nicht den
großen Reden und politischen Machtspielen der sozialistischen Regierung
und ihrer Opposition in Venezuela widmet. Sondern es ist ein Film, der
sich ganz konträr dem Kerngedanken des Sozialismus nähert: Der Diktatur
der Mehrheit. Der Basisdemokratie. Und das auf sehr konkrete Weise.
Diese findet sich in Venezuela an erster Stelle nicht nur in den
nationalen Wahlen, sondern ganz direkt auf kommunaler Ebene.
Die Theorie ist recht simpel: Kommunale Räte (consejos communales)
arbeiten die Bedürfnisse der Gemeinden heraus. Diese Bedürfnisse werden
anschließend von mehreren Gemeinderäten im Zusammenschluss, der Kommune
(comuna), zusammengetragen und mit staatlicher Hilfe der Ministerien
realisiert. Alles auf der Basis der tatsächlich demokratischen
Selbstverwaltung, und nicht im Schatten eines repräsentativen Systems.
Die Theorie ist einfach.

Die Umsetzung aber weniger. Der Film zeigt, wie anstrengend
Basisdemokratie ist. Die endlosen Diskussionen um jedes Detail muss der
Zuschauer mit aussitzen, muss sich mitbeteiligen und lernt mit der
gleichen Geduld wie die Protagonisten, was dieser kommunale Sozialismus
in Venezuela bedeutet. Es gibt keine emotionalisierende Musik oder
Stimmungsbilder, alles neben den Diskussionen sind Beweise für die
Argumente der Diskutierenden. Hier ein Armenviertel, da ein
ausgebeuteter Wald. Der Film gibt sich keinen Emotionen hin. Er ist
weder Propaganda noch Weichspüler. Er ist rational, konkret,
gegenstandsbezogen. Es wird klar: Hier geht’s nicht um Impressionen,
sondern ums Anpacken. Film ist ein Aufklärungsmittel. Und das lässt er
den Zuschauer spüren.

Man sitzt mit der Kamera die Diskussionen ab, man wartet, man
wiederholt, man lernt, man wird Teil des Prozesses.
Es ist die immer gleiche Diskussion um verschiedene und doch gleiche
Bedürfnisse und Güter. Je nach sozialer und ökologischer Umgebung der
Gemeinden. Ein Milchtank wird auf dem Land gebraucht. Telefonanschlüsse
in der Stadt. Der Prozess der kommunalen Autonomie umfasst also die
gesamte Gesellschaft. Und die Essenz dieses Prozesses ist die
Partizipation aller. Die Revolution verlangt nach dem Handeln. Aller.

Was auf den ersten Blick sehr redundant und zäh wirkt, entfaltet im
Verlauf des Films eine ungeahnte Qualität. Dem Zuschauer vor dem
japanischen Flachbildschirm auf der schwedischen Couch mit dem
mexikanischen Bier und den thailändischen Hosen wird gewahr, wie sehr
sich diese nötige Kommunikation um die Verteilung von Kapital in unserer
Welt auf die einzige Freiheit beschränkt, die wir genießen: Die Freiheit
zu konsumieren, soweit man kann. Um zu bekommen, was man benötigt, muss
man sich in unserer Welt nicht mit seinem Nächsten auseinandersetzen.
Man muss nicht mehr handeln, komunizieren, sondern einfach bezahlen
können. Man muss nur die Mittel für die eigenen Nöte haben. Wer am
meisten konsumieren kann, wer die größte Auswahl hat, ist der freieste
Mann. Man ist nicht mehr Mensch, sondern nur noch Kaufkraft. Hier geht
es um sich selbst, nicht um die Gemeinschaft, die Kommune.

Was in Venezuela tatsächlich ein zäher und redundanter Prozess ist,
könnte doch auch Grundstein für ein gemeinschaftsbezogeneres Miteinander
sein, als es gerade auf der Welt üblich ist. Der Wille - das zeigt der
Film deutlich – ist vorhanden.

Comuna im Aufbau

R: Dario Azzellini, Oliver Ressler
K: Volkmar Gelblinger, Oliver Ressler
Deutschland, Österreich, Venezuela 2010, 94 Min.
Indigo
Sprachen: Spanisch
Untertitel: Deutsch
Format: 16:9
Veröffentlichung: 27.5.2011
FSK: 0


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