Warum ist Hugo Chávez nicht gegen Libyens Gaddafi?

Maghreb-Monopoly

Die Haltung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und auch die seiner Amtskollegen aus Kuba und Nicaragua im Fall Libyen ist auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen. Warum, so fragt sich die halbe Welt, sind die Lateinamerikaner nicht gegen Gaddafi? Mittlerweile scheint klar zu sein, so Politikwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Dario Azzellini, dass es sich hier um eine strategische Position handelt: Es gilt eine Militärinvasion der USA zu verhindern.

Gegenüber den Umwälzungen in Ägypten und Tunesien war die Haltung von Hugo Chávez klar: Die Aufstände stellen Aufstände gegen Armut und autoritäre Regime dar. Das Ausland soll sich aber heraushalten und die Lösung der Bevölkerung vor Ort überlassen.

Verstörende Verbrüderungsrhetorik

Im Fall Libyen hingegen, zeigte Chávez Zurückhaltung. Er betonte, er würde nicht jede Maßnahme unterstützen, die verbündete oder befreundete Staaten bzw. Präsidenten vornehmen. Es sei aber abzuwarten, um beurteilen zu können was wirklich geschieht. Es gelte aber auf jeden Fall eine Militärintervention und auch einen Bürgerkrieg zu verhindern.

Dass darüber hinaus Chávez schnell mit Worten wie “Bruder” oder “Freund” dabei ist, ist zwar unangenehm und verstörend, allerdings gehört dies offensichtlich zu seiner Redeweise. Auch der kolumbianische Präsident Santos – genauso wie der Ex-Präsident Álvaro Uribe – wurden jedes Mal nach Einigungen mit Venezuela von Chávez mit “großer Freund” und “Bruder” tituliert.

Auch sei in diesem Zusammenhang betont, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Funktion eines Präsidenten als Staatsmann und seiner politischen Positionierung. So verurteilte der Abgeordnete Adel El Zabayar, der genau wie Chávez der PSUV angehört, Gaddafi und seine Regierung. El Zabayar ist der Meinung, dass die Proteste legitim seien und Gaddafi schon lange kein Antiimperialist mehr sei.

Was im Fall Libyens stutzig macht

Nun gibt es sicher keinen Grund Gaddafi zu unterstützen und ich zweifle auch nicht daran, dass das libysche Regime foltern und morden lässt. Allerdings sollten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Libyen einige Sachverhalte festgehalten werden, die zumindest stutzig machen sollten:

1. Lassen sich die Aufstände im arabischen Raum wirklich alle über einen Kamm scheren? Die “Demonstrationen” oder die “Opposition”, die in Aufnahmen aus Libyen zu sehen ist, unterscheiden sich deutlich von den Bildern aus Ägypten oder Tunesien. Dort waren große Demonstrationen mit vielen (auch unverschleierten) Frauen zu sehen. Die Demonstranten schienen breit aufgestellt zu sein. In Libyen sind auf den Bildern ausschließlich Männer zu sehen, und diese sind schwer bewaffnet. Wenn sie Fahnen schwenken, dann sind es die des alten libyschen Königreichs.

2. Seit Tagen ist in der Weltpresse davon die Rede, Gaddafi habe die Städte und die Zivilbevölkerung bombardieren lassen. Bilder dazu hat es allerdings nicht gegeben. Telesur ist einer der wenigen TV-Sender, der sich in Libyen bewegt und filmt (und zwar nicht, weil Gaddafi es sich wünscht, sondern weil alles unternommen wurde, um dort zu sein und es wurde sowohl in Rebellengebieten wie auch in denen unter der Kontrolle der Zentralregierung gefilmt). Die Reporter berichteten sehr wohl über Angriffe und Morde von Regierungskräften an Oppositionellen. Aber sie konnten keine Spur und keine Beweise für Bombardements entdecken.

3. Das angebliche Bombardement gegen die Zivilbevölkerung wurde sofort in einen Diskurs verwandelt “was der Westen tun muss”, um ein “Massaker an der Zivilbevölkerung zu vermeiden”. Die logische Konsequenz: Militärintervention. Daher wurden auch gleich massiv US-Truppen um Libyen stationiert. Der Diskurs erinnert an Argumentationen für den Afghanistan- und den Irak-Krieg (und in Ex-Jugoslawien ging es auch darum das “Abschlachten” der Zivilbevölkerung durch “die Serben” zu verhindern). Das ist aus westlicher Sicht verständlich. Jetzt, wo es doch unklar ist, ob Ägypten weiterhin den US-Vasallenstaat spielen wird, macht es sich ganz gut in der Region ein Land militärisch zu besetzen.

4. Es sollte uns ferner stutzig machen, dass in keinem anderen Fall so schnell von Militärintervention die Rede gewesen ist, wie bei Libyen. Während in Ägypten Aktivisten von Übergriffen des Militärs, Verhaftungen und Folter sprachen und während die Repression in Tunesien weiterhin Opfer fordert – ganz zu schweigen von den unzähligen Massakern der vergangenen Jahre, um die sich der Westen gar nicht geschert hat – ist kein Wort aus der Politik und auch nicht in den regimetreuen Westmedien zu den Massakern in Sri Lanka zu vernehmen, wo die Armee nachweislich Zivilisten bombardiert hat und wo noch weiterhin zehntausende Menschen, nur weil sie Tamilen sind, in Lagern eingepfercht leben.

Die Länder des Südens nehmen eine strategische Position ein

So ist die Haltung von Chávez und Castro, jenseits von Antipathie oder Sympathie für Gaddafi und sein Regime, vielleicht ein strategischer Schachzug, um eine neue US- bzw. westliche Militärintervention und die Zerschlagung Libyens in willfährige Erdöl liefernde US-Protektorate zu vermeiden. Vieles deutet darauf hin. Ob die Welt jedoch jemals die Wahrheit darüber erfahren wird – oder will – steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die größte Unterstützung erhielt Gaddafi in den vergangenen Jahren übrigens aus Deutschland, Italien, Großbritannien und den USA, und nicht aus Venezuela oder Kuba. Für Venezuela, Kuba und viele andere Länder des Südens, wiegt der geopolitische Aspekt – und übrigens auch völkerrechtlich festgelegte – Tatbestand der Nicht-Intervention am schwersten in der Analyse, da sie selbst potentiell davon betroffen sind.

 

Ergänzung vom 4.3.2011

Es ist ja wirlich interessant wie viele "Experten" solche Themen schaffen...
Die Umstellung der US-Militärdoktrin vor nun fast zehn Jahren hat die Welt in unterschiedliche und voneinander unabhängige US-Militärregionen aufgeteilt. Kern der neuen Militärdoktrin ist auf allen Kontinenten unabhängig voneinander zeitgleich Militärinterventionen und Kriege durchführen zu können. Jedes Argument in Richtung "die USA können keinen weiteren Krieg führen" sind also absoluter Quatsch. Auch wenn sie dieser Tage wieder durch Presse schwappen.

Es ist auch interessant wie schnell von einigen geltendes Völkerrecht gekippt wird, weil ein Land von einem "Bösen" regiert wird (und wer hat die Definitionsmacht?). Weltpolitik als autoritäre Hackordnung mit Rachephantasien... es wird ja niemand behaupten wollen mit den Militärinterventionen im Irak und Afghanistan stünden beide Länder, deren Bevölkerung und die Lage der Welt insgesamt besser da.

Auch scheinen viele vom Neoliberalismus das binäre Denken übernommen zu haben: Wer nicht für der Krieg in und gegen Libyen ist, ist ein Verbündeter Gaddafis und die sind natürlich alle irre und Dikatoren. Interessant ist das rassistische Muster der Überlegenheit der weißen Welt dahinter. Denn so lange wenn Deutschland, Italien, die USA, Großbritannien usw. Libyen finanziell, mit Waffen, mit dem Bau von Migrantenlagern usw. unterstützen, dann sind das immer nur problematische Beziehungen. Sobald aber ein Land aus dem Süden versucht einen Krieg duch einen Dialog zu verhindern, ist der Präsident ebenfalls ein Irrer, ein Diktator etc.

Im Westen nichts Neues...

Mittlerweile hat sich ja einiges von dem was ich geschrieben habe besätigt. Die USA drohen immer offener mit einer Militärintervention. Indes hat Venezuela einen Plan vorgelegt, um zu Gesprächen in Libyen zu gelangen und weiteres Blutvergiessen zu vermeiden. Der Plan wurde gestern von den Staaten des ALBA-Bündnisses diskutiert und unterstützt, auch die Arabische Liga diskutiert ihn. Die USA haben sich derweil strikt gegen jede Gespräche oder Verhandlungen in Libyen gewandt und deutlich gemacht in wessen Geiste ihre Bemühungen in Libyen stehen.

Das Getrommel von Kuba, Venezuela und den ALBA-Staaten hat bisher zumindest die Möglichkeit einer US-Militärinvasion in die Diskussion gebracht und die Ablehung (z.B. durch die Arabische Liga) derselben hervorgerufen, bevor die USA und die NATO ihre "Verbündeten" unter Druck setzen konnten, die Pläne zu akzepieren. Damit ist schonmal viel gewonnen. Ob eine friedliche Lösung des Konflikts in Libyen gelingen wird, steht in den Sternen. Doch Venezuela und das ALBA haben zumindest die heuchlerische Politik der USA und Europas demaskiert und deutlich gemacht es gibt auch andere Möglichkeiten als Krieg - und die liegen jenseits der Politik der USA und Europas.

 

Ergänzung vom 7.3.2011

Mittlerweile hat Obama ja verkündet die NATO diskutiere eine mögliche Militärintervention...
Un die USA will Eliteneinheiten schicken, um die "Aufständischen" mit know how und Waffen zu unterstützen. Elitesoldaten aus den Niederlanden und Grossbritannien wurden in Libyen bereits festgesetzt.

Mittlerweile haben sich ja auch die ständigen Berichte über angeblich afrikanische Söldner als unwahr herausgestellt. "Die Welt" (!!) berichtet in ihrer heutigen Ausgabe:

"Seit Beginn des Aufstandes in Libyen hört man Geschichten über schwarzafrikanische Söldner. Aber die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), ist skeptisch.
"Wir haben die Berichte über afrikanische Söldner nachrecherchiert, und die meisten davon haben sich als unwahr herausgestellt", sagt Peter Bouckaert, Leiter Kriseneinsätze bei HRW. Er hat jetzt in der von Rebellen eroberten Stadt Bengasi Quartier genommen. "Nach den Kämpfen um Baida wurden dort 164 Menschen von den Aufständischen festgenommen, doch bei 160 von ihnen handelte es in Wahrheit um dunkelhäutige Regierungssoldaten aus dem Süden Libyens. Vier stammten aus dem Nachbarland Tschad, aber sie waren nicht als Söldner rekrutiert worden.""

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article12718904/Hatz...


Übrigens ist auf CNN immer noch von "protesters" die Rede.

Den Aufständischen soll hier nicht das Recht abgesprochen werden mit Waffenggewalt gegen ein tyrannisches Regime vorzugehen. Allerdings erstaunt es doch sehr wie schnell und umfangreich die bewaffneten Auseinandersetzungen ausgebrochen sind. Das sieht nicht nach einem Umschlagen von Protesten in militärische Aktionen aus.
Zudem wird hier wieder einmal deutlich wie mit unterschiedlichem Maße gemessen wird. "Aufständische" in anderen Regionen der Welt, von der FARC und ELN in Kolumbien, über die PKK in Kurdistan oder die LTTE in Sri Lanka, werden nicht als "Protestierer" oder "Aufständische" bezeichnet, sondern gelten international als "Terroristen". Jenseits dessen, das "Terrorismus" ein rein ideologischer Begriff ist, mit keinerlei analytischer Schärfe (sondern eine Festlegung des medial mächtigeren), ist es ja wohl offensichtlich so, das "Aufständische" gegen US-hörige Regime "Terroristen" sind und "Aufständische" gegen Regime, die den USA nicht so gut gefallen, "Terroristen".

Der VOrschlag des Venezuelas und mittlerweile des ALBA-Bündnisses ist auch eine gemischte internationale Beobachter-Delegation nach Libyen zu schicken, um festzustellen was dort geschieht.

Jeder Vorwurf der hiesigen PResse oder auch von Kommentaren hier, das Vorgehen von Venezuela oder dem ALBA als "plumpen Antiimperialismus" darzustellen, ist schlicht falsch. Venezuela, das ALBA sind stets gegen jeden Krieg aufgetreten und haben sich auch im Fall des Konflikts in Kolumbien, der politisch ganz anders gestrickt ist, stets für eine Verhandlungslösung eingesetzt.

 


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