Interview mit Len Weinglass

Wie ist die Lage politischer Gefangener in den USA?

Sie haben viele politische Gefangene in den USA verteidigt, die Chicago 8, Schwarze, Puertoricaner. Wie viele politische Gefangene gibt es in den USA?

Das ist eine Definitionsfrage. Es sind 200 politische Aktivisten. Aber viele sagen, und das sehe ich auch so, dass es in den USA eine Million politische Gefangene gibt. Denn der Großteil der Häftlinge sind Afro-Amerikaner. Sie kriegen keine Arbeit, verfügen kaum über Bildung und sind unter schrecklichen Umständen aufgewachsen. Auch wenn sie kein politisches Bewusstsein, viele von Ihnen nicht einmal eine politische Identität haben, sind sie auf Grund des sozio-ökonomischen und politischem Systems im Knast.

Ist die Existenz und die Situation der politischen Gefangenen in den USA bekannt?


Nein, die sind ziemlich unbekannt und werden geleugnet. Aber immer mehr Leute stellen Fragen, seit sich viele Prominente für sie einsetzen.

Neben schwarzen politischen Gefangenen gibt es auch viele puertoricanische. Können Sie etwas zu ihrer Situation sagen?


Es gibt eine Reihe puertoricanischer Gefangener von verschiedenen Organisationen, die aber alle am Kampf für die Unabhängigkeit Puerto Ricos beteiligt sind. Der Kampf hat auf Puerto Rico eine lange Geschichte, die ebenso kaum bekannt ist in den USA. Die Gefangenen kommen aus dieser Tradition und haben eine sehr entschlossene Position. Sie erkennen die Gerichtsbarkeit der USA über sich und ihre Fälle nicht an. Es ist sehr schwer für sie, jemals aus dem Knast herauszukommen, denn sie beugen sich nie.Daher kann die US-Administration keine Milde walten lassen, denn das würde der Position eine gewisse Legitimität verschaffen.

Sie sprachen von einem zunehmenden Interesse an der Lage der politischen Gefangenen in den USA. Aus rein humanitären oder aus politischen Beweggründen?

Das ist schwer zu sagen, anfänglich sicher auf einer humanitären Ebene Aber vielleicht wächst aus diesem Interesse auch ein Interesse an der politischen Seite - hoffentlich!

Sie sind der Rechtsanwalt von Mumia Abu Jamal, einem schwarzen politischen Gefangenen in den USA. Können Sie kurz seine Lage beschreiben?

Mumia Abu Jamal ist vor zwölf Jahren wegen bewaffneten Raubüberfalls und Polizistenmordes zum Tode verurteilt worden, obwohl es keine Beweise gab. Seitdem ist er in der Todeszelle. Anfang nächsten Jahres werden wir Anträge einreichen, um seine Hinrichtung zu verhindern und sein Verfahren neu aufzurollen.

Wie stehen die Chancen?

Es wird ein langer Kampf werden. In der ersten Runde sind die Chancen nicht besonders hoch, aber in der folgenden Instanz stehen sie etwas besser. Wenn man allerdings weiß, dass noch nie einer der 173 Gefangenen in den Todestrakten des Bundesstaates Pennsylvania, wo auch Mumia sitzt, aus der Todeszelle heraus die Neuaufnahme seines Gerichtsverfahrens erreicht hat, gibt das eine ungefähre Vorstellung von den Chancen. Aber wir werden darum kämpfen.

Wie ist seine persönliche Haftsituation?


Er ist unter extrem repressiven Bedingungen inhaftiert. Wenn ich, sein Anwalt, ihn besuche, ist eine Trennscheibe zwischen uns. Zusätzlich ist er an Händen und Füßen gefesselt. Aber er ist ein sehr starker Mann. Er zieht eine enorme Kraft aus seiner politischen Verpflichtung und Perspektive. So kann er mit der Haft umgehen, auch unter diesen äußerst schweren Umständen.

Er steht mittlerweile auf Platz zwei der Hinrichtungsliste. Der aktuelle Gouverneur beendet seine Amtszeit im Januar 1995. Was könnte das für Abu Jamal bedeuten?


Ob der aktuelle Gouverneur Mumias Hinrichtungsbescheid unterschreibt, ist noch nicht sicher. Ich habe mich vor zwei Wochen persönlich mit ihm getroffen, und er zeigte sich interessiert, etwas über Mumias Fall zu erfahren. Das große Risiko für Mumia wird der Amtsantritt des neuen Gouverneurs sein. Denn wer immer auch die Wahl im November gewinnen wird - er wird den Hinrichtungsbescheid unterschreiben.

In letzter Zeit bewegt das Thema politische Gefangene zunehmend die Öffentlichkeit. Hilft das Ihrem Klienten?

Mumia hat eine Menge Öffentlichkeit bekommen, als National Public Radio ihn als Rundfunkkommentator einstellte und dies aufgrund von Polizistendemonstrationen wieder zurücknehmen musste. Auf dem Woodstock-Festival haben einige Bands, darunter Aressted Development, „Freiheit für Mumia“-T-Shirts getragen. Und kürzlich haben Public Enemy, als sie den ersten Preis eines MTV-Wettbewerbs gewonnen haben, etwas über Mumia und die politischen Gefangenen erzählt. Das haben immerhin 40 Millionen Menschen gesehen.