Seit 1973 behauptet sich in Berlin-Kreuzberg ein Alternativprojekt – derzeit ist der Kampf gegen Spekulanten zu gewinnen
Das Tommy-Haus
In der Kneipe tummeln sich zwei Dutzend Leute, in der Kiezküche wird ein preiswertes Menü serviert, und im großen Saal laufen gerade die letzten Vorbereitungen für ein Reggae-Konzert. Leicht ist es nicht, über die Projekte im und um das „Tommy-Haus“ den Überblick zu behalten. Das Gebäude mit den bunten Fassadenmalereien in der Wilhelmstraße in Berlin-Kreuzberg, in dem etwa 40 Personen wohnen, wurde im März 1973 von jugendlichen Obdachlosen und Trebegängern besetzt. Sie wollten für sich gemeinsam und selbstbestimmten Wohnraum schaffen. Gegen die allgemein angebotenen Lösung Heim oder Knast.
Seitdem ist das nach dem jungen Berliner Linken Thomas von Weißbecker benannte Haus, der Anfang der 70er Jahre unbewaffnet in Augsburg von der Polizei erschossen wurde, auch der Bestandteil linker Geschichte Westberlins. Senat, Justiz, Medien und Polizei versuchten, eines der ersten großen Wohnkollektive Berlins – nach dem Georg-von-Rauch-Haus, das zweite besetzte Haus der Stadt – mit verschiedensten Mitteln aus dem Weg zu schaffen. Wiederholt wurde das Haus von der Polizei belagert und gestürmt, bei Durchsuchungen die Einrichtung zerschlagen und Bewohnerinnen und Bewohner kriminalisiert. Als deutlich wurde, daß dies nicht fruchtete,. versuchte der Senat, das Tommy-Haus als buntes Alternativprojekt zu integrieren und zu neutralisieren. Doch auch das schlug fehl.
Heute, nach 22 Jahren, hoffen die Bewohner des Tommy-Hauses, auch den Kampf gegen Spekulanten, Unternehmer, Baulöwen und Regierungsplaner zu gewinnen. Als das Haus Anfang der 70er besetzt wurde, befand es sich in einer chaotischen Umgebung, von Stadtplanung war in dem Gebiet an der Mauer nichts zu sehen. Die Grundstücke lagen am vermeintlichen Ende der Welt – für keinen Unternehmer von Interesse. Nach dem Mauerfall änderte sich dies schlagartig. Altmietervertreibung und soziale Säuberung machen sich in dem Kiez südlich der Friedrichstadt bemerkbar, und künftiger Nachbar des Tommy-Haus wird die SPD-Bundeszentrale sein. Das Tommy-Haus ist dabei sicher einigen Stadtplanern und Image-Beauftragten ein Dorn im Auge.
Doch nicht nur aus diesem Grund findet eine „Initiative gegen Mietwucher, Spekulanten und Hauptstadtwahn“ Platz in den Räumen des Hauses. Das Haus zieht Aktivitäten an, da es seine Räume zur Verfügung stellt und die Bewohnerinnen und Bewohner eine Vielzahl von Projekten initiiert haben. Das Café „Linie !“ wurde Aufgebaut; es gibt eine Sportetage, ein Palästina-Büro, Sprachunterricht für tamilische Kinder, einen Veranstaltungssaal, in dem Konzerte, politische Veranstaltungen, Filmaufführungen und Partys stattfinden. In Not geratene Jugendliche können in einer Treberetage Unterstützung finden. Als offizieller Träger des Hauses wurde der „Verein sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin“ (SSB) gegründet. Zu diesem gehören weitere Berliner Selbsthilfeprojekte, beispielsweise eine Kfz-Werkstatt, eine Tischlerei, die Wohnprojekte Mannsteinstraße und Marchstraße sowie das Jugendzentrum Drugstore in der Potsdamer Straße.
Jüngstes Projekt des SSB ist das Kinderferien- und Tagungshaus Wernsdorf, 35 Kilometer südöstlich von Berlin. Zwei Jahre werkelte die Veranstaltungsgruppe des Tommy-Hauses an dem ehemaligen Kinderferienlager der Volkspolizei. Seit letztem Jahr kann das von Wald und Wasser umgebene Tagungshaus von Kinder- und Jugendgruppen zur Erholung genutzt werden.
Perspektivisch sollen dort, in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, auch Seminare zu politischen und sozialen Themen angeboten werden. Dafür, wie auch zur weiteren Arbeit am Tagungshaus sowie für die Kiezküche, werden noch motivierte Helfer und Helferinnen gesucht. Nähere Infos ums Tommy-Haus gibt’s unter 030/2518539.