Dario Azzellinis und Oliver Resslers Film „5 Fabriken“ dokumentiert die Selbstverwaltung in venezolanischen Betrieben

Glückliche ArbeiterInnen

Zufriedene Arbeiterinnen und Arbeiter, die vor ihren Maschinen stehen und von den Vorzügen des Sozialismus für das 21. Jahrhundert reden: Was für mitteleuropäische Fabriken der Gegenwart vollkommen unvorstellbar ist, gibt es jetzt im Film. Und es ist kein Science Fiction, sondern eine Dokumentation. In ihrem zweiten Film über die politischen und sozialen Veränderungen, die sich seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez 1999 in Venezuela abspielen, haben Dario Azzellini und Oliver Ressler fünf Fabriken besucht. Ging es in „Venezuela von unten“ (2004) um verschiedene Basisbewegungen, die den „Bolivarianischen Prozess“ – benannt nach dem antikolonialen „Befreier“ Simón Bolívar (1783-1830) – ausmachen, richtet sich der Fokus diesmal allein auf den industriellen Sektor.

Zwischen postkartenreifen Motiven von Kakaobohnen, die durch Industrieanlagen gleiten oder Bindfäden, die von drehenden Geräten endlos aufgewickelt werden, haben die Filmemacher ProtagonistInnen postiert, die Einblicke in die genossenschaftlichen Organisationsweisen vermitteln. Auch diesmal bleiben sie ihrer Methode treu, auf didaktische Off-Stimmen oder erklärende Texttafeln zu verzichten, und ausschließlich die Beteiligten reden zu lassen. Schauplätze sind ein Aluminiumwerk sowie eine Textil-, eine Tomaten-, eine Kakao- und eine Papierfabrik. „Die Versammlung“, sagt Rigoberto López von der Textilfabrik in San Cristóbal, „ist praktisch der Chef des Unternehmens“. Dass die Mechanismen und Schwierigkeiten der Selbstverwaltung ebenso selbstverständlich geschildert werden wie die profanen Abläufe der Produktion – hierbei wiederum fühlt man sich an Infofernsehen wie die „Sendung mit der Maus“ erinnert –, macht den inhärenten Reiz der Erzählungen aus.

Von den Beschäftigten erkämpft und meist ausgerüstet mit Krediten der Regierung, breiten sich in Venezuela verschiedene Formen der Mit- oder gar Selbstverwaltung aus. Ermöglicht hat diese Entwicklung u. a. die 1999 verabschiedete Verfassung, in der die „partizipative Demokratie“ und die protagonistische Rolle der Bevölkerung verankert sind. Über 150 Fabriken werden nach Angaben des venezolanischen Arbeitsministeriums mittlerweile von ArbeiterInnen-Kooperativen verwaltet. Diese zielen aber nicht bloß auf konkrete Verbesserungen für sich selbst. Aury Arocha, Laboranalystin der Ketchup-Fabrik „Tomates Guárico“, betont, der Unterschied zu kapitalistischen Unternehmen bestehe darin, dass die Kooperativen „für die Gemeinschaft arbeiten, im Sinne der Gesellschaft arbeiten.“ Und Carlos Lanz von der Aluminium-Fabrik Alcasa formuliert es als Schlüsselfrage: „Wie macht ein Unternehmen im Rahmen des Kapitalismus Druck in Richtung Sozialismus?“

Dass hier ganz normale ArbeiterInnen neben geschulten Kadern über ein gesamtgesellschaftliches Projekt reden, ist keinesfalls als Rückfall in Proletkult-Zeiten zu verstehen. Es stellt sich aber die Frage nach deren Repräsentativität. Gerade weil die einzelnen so exponiert ins Bild gestellt sind, fragt man sich, für wen sie dort stehen bzw. wer eigentlich hinter ihnen steht. Und wer nicht. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, die rechte Opposition hier zu Wort kommen zu lassen. Im Besitz der großen privaten Fernsehanstalten, verfügt sie im wahrsten Sinne über genug Kanäle. Aber auch die „Bolivarianische Revolution“ ist keine homogene Angelegenheit, sondern von Kämpfen diverser beteiligter Fraktionen durchzogen. Diese Art der sozialen Auseinandersetzungen spiegelt sich zwar in vielen einzelnen Aussagen der Interviewten, macht aber nicht den Schwerpunkt des Filmes aus.

Indem er sich den bisherigen Erfolgen im gegenwärtigen Umgestaltungsprozess widmet, hebt sich der Film allerdings wohltuend vom Gros der westlichen Berichterstattung über Venezuela ab. Diese ist nicht selten auf den Präsidenten und seinen „Populismus“ fixiert. Der erneute Einblick in den „Bolivarianischen Prozess“ zeigt daher auch, wie dumm die Vergleiche sind, die selbst in linksliberalen Blättern wie der österreichischen Tageszeitung Der Standard bezüglich der Person Chávez angestrengt werden: Darin wurde er – ausgerechnet mit Blick auf die Verfassung – mit dem rechten Hardliner Alvaro Uribe aus Kolumbien (Alexandra Föderl-Schmid) und wegen seines Antiamerikanismus mit Irans Präsident Ahmadinejad (Hans Rauscher) gleichgesetzt. Dass diese Polemiken an den Realitäten vor Ort komplett vorbeigehen, belegt der Film eindrücklich. Anders als kommunistische Kleinstparteien im deutschsprachigen Raum feiern die Filmemacher – falls überhaupt etwas – aber nicht den Präsidenten, sondern die durch ihn mit ermöglichten sozialen Transformationen.

Und apropos Berichterstattung: Im Unterschied zu anderen Dokumentarfilmproduktionen, die in Österreich in der letzten Zeit Furore gemacht haben – wie „Darwin´s Nightmare“ von Hubert Sauper oder „Unser täglich Brot“ von Nikolaus Geyrhalter –, ist bei Azzellini und Ressler der aufklärerische Duktus unverkennbar. „5 Fabriken“ zielt nicht auf die Produktion moralischer Anteilnahme, sondern auf ein Verständnis für Zusammenhänge. Dass ein solcher Film im Berkeley Art Museum ebenso funktioniert, wie er es im Sachkundeunterricht tun würde, spricht durchaus für ihn.

Auf sechs großen, versetzt im Raum positionierten Leinwänden, ist der Film „5 Factories – Worker Control in Venezuela“ in einer installativen Fassung als erster Teil der Ausstellungsreihe „Now-Time Venezuela“ in Kalifornien zu sehen. Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf Walter Benjamin, der in „Über den Begriff der Geschichte“ (1939) darauf hinwies, dass die Geschichte als Gegenstand einer Konstruktion aufzufassen sei, die von Jetztzeit erfüllt ist. An einer solchen Konstruktion beteiligt sich also auch die Schau, deren Kurator Chris Gilbert ungewohnt explizit betont, es gehe nicht nur um die Repräsentation der oder um Reflektion zur, sondern um die Solidarität mit der „Bolivarianischen Revolution“.

Die methodische Strenge wie auch die klare Bildsprache der Arbeit können diesem Ziel durchaus dienlich sein, ohne dadurch Kunst in Propaganda aufzulösen. Denn das Anstoß Erregende an Azzellinis und Resslers Film ist ja nicht die zweifellos einseitige und eindeutige Parteinahme, sondern das Aufzeigen einer Möglichkeit. Seit während der Spanischen Revolution (1936) erstmals in einer modernen Massengesellschaft die Fabriken im großen Stil von den ArbeiterInnen und ohne die Direktiven einer Partei übernommen wurden, stellte diese Form der Selbstverwaltung einen realisierbaren Horizont gesellschaftlicher Umgestaltung dar. Dass im postindustriellen Zeitalter antikapitalistische Organisierung in und von Fabriken funktioniert, wer hätte das für möglich gehalten? Das Staunen über die glücklichen ArbeiterInnen haben die Unbeteiligten diesem Film zu verdanken.

„Now-Time Venezuela. Media Along the Path of the Bolivarian Process. Part 1: Worker-Controlled Factories“, Berkeley Art Museum, 26. März bis 28 Mai 2006.

Gilbert gab am 21. Mai 2006 seinen Rücktritt als Kurator am Berkeley Art Museum bekannt, da er seine Arbeit dort zuletzt zunehmend mit Hindernissen konfrontiert sah.