Eugenia Mainegra, Vizepräsident der parlamentarischen Energiekommission Kubas

Die Energieversorgung ist Kubas Achillesferse

Wer kennt nicht Bilder von Eseln und Pferden, die Autos durch Havanna ziehen. Die Energieversorgung Kubas ist durch den Wegfall der Erdöllieferungen aus der UdSSR im Jahr 1991 nahezu zusammengebrochen. Mit Eugenia Mainegra, 52 Jahre, Vizepräsident der parlamentarischen Energiekommission der Insel, sprach während seines kürzlichen Deutschlandaufenthaltes Dario Azzellini über die aktuelle Situation.

Herr Mainegra, wie sieht es mit der kubanischen Energieversorgung aus?

Die Energieversorgung könnte man als Achillesferse Kubas bezeichnen. Die Industrie kann nicht arbeiten, Felder können nicht bewässert werden, der gesamte Dienstleistungssektor ist betroffen. Der Januar 1994 ist zwar etwas besser als der Januar 1993, die Lage ist aber immer noch sehr schlimm: Stundenlange Stromabschaltungen, mangelnder Treibstoff, kaum funktionierende öffentliche Transportmittel, Engpässe bei der Gasversorgung.

Wieviele Stunden am Tag fehlt der Strom?

In den verschiedenen Verteilernetzen sind es schon vier bis sechs Stunden täglich, manchmal sogar mehr, wenn es zusammenfällt mit technischen Defekten oder vorübergehender Treibstoffknappheit.

Wie steht es um Kubas Erdölförderung?
Letztes Jahr haben wir mit 1,1 Millionen Tonnen die bisher größte Menge auf Kuba gefördert. Dieses Jahr rechnen wir mit 100 000 Tonnen mehr. Aber das kubanische Erdöl läßt sich nur schwer weiterverarbeiten. Dieses Problem ist eine Frage der Zeit und der Technik, die Perspektiven sind gut.

Wie hat sich demgegenüber der Erdölverbrauch entwickelt?

Kuba hat früher 13 Millionen Tonnen Erdöl jährlich importiert. Heute fördern wir einen Teil selbst und importieren drei bis vier Millionen Tonnen. An die Bevölkerung werden bestimmte Mengen Benzin pro Monat abgegeben. Besonders Ärzte oder andere Personen, die in Berufen mit einer sozialen Ausrichtung arbeiten, erhalten Benzin. Es ist aber sehr wenig.
Kuba reagiert mit sehr viel Phantasie auf diese Not. Zum Beispiel sind staatliche Fahrzeuge verpflichtet, Personen, die am Straßenrand stehen und in die gleiche Richtung wollen, mitzunehmen.
Die Maßnahme betrifft ebenso alle Fahrzeuge aus Produktionsbetrieben, aber auch viele private Fahrer machen das. Es gibt noch andere Beispiele. So verfügen viele Dörfer und Städtchen mit großen Zuckerrohrverarbeitungsanlagen über ein internes Schienennetz. Es wird jetzt an manchen Orten versucht, diese Schienennetze zu verbinden, um soviel Verkehr wie möglich auf die Schiene zu verlagern.

Die kubanische Energieversorgung war völlig auf das Erdöl aus der UdSSR ausgerichtet. Hatte Kuba hier nicht ein falsches Konzept?

Ich würde nicht sagen, daß das ein Fehler Kubas war. Niemand konnte voraussehen, daß die Sowjetunion verschwinden würde. Die Austauschbedingungen, die wir mit ihr hatten, waren vorteilhaft. Wir bekamen für unseren Zucker einen würdigen Preis bezahlt oder zu günstigen Bedingungen Erdöl. So sollten Beziehungen zwischen entwickelten und armen Ländern auch sein.
Die veränderte Situation hat uns viele Probleme beschert, aber auch Positives. Wir haben gelernt, mehr Energie zu sparen, effizienter und phantasievoller zu sein, mehr landeseigene Ressourcen zu nutzen. Wichtig ist, daß wir wissen, wir haben Lösungen die aber brauchen Zeit.

Vor einigen Jahren wurde von Ökologen die Entscheidung Kubas, ein Atomkraftwerk zu bauen, heftig kritisiert. Heute hört man in Kuba eine Menge über Alternativenergien. Auf welche Energieart wird gesetzt?

Was uns die momentane Periode gelehrt hat, ist, integraler zu sein. Atomenergie ist eine Energiequelle, aber sie wird nicht die wichtigste sein. Atomanlagen haben ja eine begrenzte Lebensdauer, und selbst eine große Anlage würde nicht einmal ein Viertel von Kubas Energieproblemen lösen. Die Arbeiten an dem Kraftwerk wurden einige Jahre unterbrochen, weil wir auf einmal mit Devisen bezahlen sollten, die wir nicht hatten. Mittlerweile hat sich die Situation verändert. Rußland ist selbst am Bau der Anlage interessiert. Die USA haben auch keine Einwände mehr. Es ist beabsichtigt, den ersten Block fertigzustellen und in zwei bis drei Jahren in Betrieb zu nehmen.
Es wäre unrealistisch, Kubas Energiebedarf mit Alternativenergien abdecken zu wollen. Das Rückgrat der Energieerzeugung bleibt der Strom aus der Treibstoffverbrennung. Das ist aber keine langfristige Lösung. Wir werden deswegen auf lange Sicht noch viele Veränderungen erleben. Wir glauben stark an das Zuckerrohr als Energielieferant. Es nutzt ideal die Sonne. Für den Einsatz solcher Alternativenergien bedarf es umfangreicher Investitionen, wobei wir in der BRD viel Unterstützung finden.

Auffällig an Kuba ist, daß nicht alles schöngeredet wird. Die Not ist immer ehrlich benannt worden. Gibt es da Vertrauen in der Bevölkerung?

Wenn es kein Vertrauen gäbe, wären wir gar nicht hier, wäre die kubanische Revolution schon verschwunden. Die Menschen vertrauen und glauben an zwei Sachen: Erstens wollen sie das nicht verlieren, was sie errungen haben, und das ist viel. Was wir trotz aller Einschränkungen in der jetzigen Notsituation haben, kann kein Land Lateinamerikas vorweisen. Zweitens hat die Bevölkerung Vertrauen in das, was sie macht, um aus dieser Lage herauszukommen.
Die Not-Periode könnte schon morgen zu Ende sein wenn wir unser sozialistisches Programm aufgeben würden. Dann wäre morgen die US-Blockade weg. Einige hätten dann alle möglichen Güter, die große Mehrheit aber hätte nichts.