Eine Wiederwahl des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez am Sonntag gilt als sicher / Chavez steht für die Revolution, sein Gegner für Wählerkauf

Sozialismus oder Geldkarte

Eine Überraschung bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela am Sonntag wird es sicher nicht geben. Dafür ist der Rückhalt für Präsident Hugo Chavez im Volk viel zu groß.

Die Meinungsumfragen sprechen eine deutliche Sprache. Sieben der acht letzten veröffentlichten Erhebungen sehen den amtierenden Präsidenten Hugo Chavez mit einem Stimmenanteil zwischen 53 und 61 Prozent klar vorn, während Herausforderer Manuel Rosales in keiner der Umfragen über 30 Prozent kommt. Die einzige Unsicherheit betrifft die Reaktion der Opposition. Der Sammelkandidat der Chavez-Gegner Rosales hat bisher – im Gegensatz zu den Regierungskräften – nicht erklärt, er werde das Ergebnis der Wahlen anerkennen.

Eine satte Mehrheit für Chavez ist tatsächlich sehr wahrscheinlich, auch wenn es nicht zehn Millionen Stimmen werden dürften, wie es angepeilt wurde. Die Beliebtheit des seit Anfang 1999 regierenden Hugo Chavez ist unverändert hoch, vor allem in den armen Bevölkerungsschichten. Die Regierungspolitik hat dazu geführt, dass die Armutsrate in der Bevölkerung von weit über 50 Prozent auf etwa 30 Prozent gesunken ist. Zudem sorgen zahlreiche »Misiones« genannte Sozialprogramme für kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung sowie günstige Lebensmittelpreise. Die Wirtschaft des Landes zeigt im dritten Jahr in Folge Wachstumsraten, von denen andere Länder nur träumen können: Über 17 Prozent 2004, fast 10 Prozent im vergangenen Jahr und ein ähnliches Ergebnis für das laufende. Die hohen Erdölpreise haben dem Ölproduzenten Venezuela große Einnahmen beschert. Allerdings nur, weil die Regierung unter Chavez die Kontrolle über die eigenen Rohstoffe zurückgewonnen hat.

Chavez hat versprochen, »die politische, ökonomische, soziale und moralische Revolution zu vertiefen« und den »Aufbau des Sozialismus« zu beschleunigen, denn »die Armut ist eine Folge des Kapitalismus, der Reichtum für wenige und Elend für viele Menschen produziert«. Zudem sagte er zu, die Korruption, ein chronisches Übel in der venezolanischen Politik, noch stärker anzugehen. Das fordern auch viele seiner Anhänger. Nahezu täglich fanden in den vergangenen zwei Wochen in Caracas Demonstrationen und Kundgebungen von politischen und sozialen Basisorganisationen statt, die ihre Unterstützung für Chavez erklärten und zugleich eine Vertiefung des sozialen Transformationsprozesses forderten.

Manuel Rosales hingegen verspricht allen alles. Der Gouverneur des erdölreichen Bundesstaates Zulia, der den Putsch gegen Chavez 2002 unterstützte und Anhänger neoliberaler Wirtschaftspolitiken, der Privatisierung von Staatsunternehmen und einer Allianz mit den USA ist, gibt sich spendabel. Er erklärte, er wolle alle Sozialprogramme der Chavez-Regierung erhalten und zusätzlich allen Einwohnern Venezuelas monatlich Geld überweisen. Dafür stellt die Opposition heute schon jedem, der sich in ausgelegte Listen einträgt, eine schwarze Plastikkarte im Kreditkartenformat aus. »Nachdem Rosales die Wahlen gewonnen hat, bekommt jeder monatlich bis zu einer Million Bolivares direkt überwiesen«, erklärte ein Wahlkampfhelfer vor einem Einkaufszentrum in Caracas den Umstehenden. Umgerechnet zwischen 280 und 450 Dollar sollen alle Einwohner Venezuelas mit der Karte »Mi Negra«, (»Meine Schwarze«), erhalten, so die zentrale Wahlaussage der Opposition.

In einem Wahlspot ist zu sehen, wie eine ältere Frau mit der Karte an einem Bankautomaten Geld abhebt und in Geschäften Einkäufe bezahlt. »Das ist doch alles Betrug«, erklärt mir ein älterer Mann und zieht mich zur Seite. »Unser Präsident wird ganz sicher wiedergewählt. Niemand hat so viel für uns getan wie Hugo Chavez. Bei uns gibt es jetzt Ärzte und wir müssen nichts dafür bezahlen, ich mache gerade meinen Grundschulabschluss nach und meine Tochter studiert im dritten Jahr Ingenieurwissenschaften mit einem Stipendium der Regierung. Das ist die Wirklichkeit in Venezuela.«

Nur eine Umfrage eines weitgehend unbekannten Instituts sieht einen Sieg Rosales voraus. Die von seinem Wahlbündnis in Auftrag gegebene Studie bezeichnete der wenig Ausstrahlung besitzende Politiker auf der Abschlusskundgebung seines Wahlkampfes am Samstag vor einer Woche als »die einzig wahre«. »In acht Tagen hat Venezuela einen neuen Präsidenten«, rief Rosales mehreren Hunderttausend Anhängern zu, bevor alle gemeinsam das Vaterunser beteten. Alle großen privaten TV-Sender übertrugen die Kundgebung und wiederholten die Bilder unzählige Male. Doch nur einen Tag später füllte die Abschlusskundgebung des Präsidenten die gesamte Innenstadt von Caracas, drei große Parallelstraßen sowie die Querverbindungen. Chavez musste an mehreren Orten nacheinander sprechen, um so alle zu erreichen. »Um die Armut zu beseitigen, muss den Armen Macht gegeben werden, denn sie sind es, die die Armut beseitigen werden«, erklärte Chavez vor einem nicht zu überschauenden Meer rot gekleideter Anhänger. »In Wirklichkeit werdet ihr nicht Chavez wiederwählen, sondern euch selbst. Das Volk wird das Volk wiederwählen. Ich bin nichts weiter als euer Werkzeug, damit ihr dieses Land befreit«, so Chavez und warnte zugleich davor, die »Schlacht sei noch nicht gewonnen«. Er forderte alle zur äußersten Wachsamkeit auf.

Armee, Polizei, alle Institutionen sowie die verschiedensten politischen Organisationen, die Chavez unterstützen, befinden sich seit Tagen im Alarmzustand. Seit Wochen kursieren im Internet und in Oppositionskreisen Anleitungen zu Sabotageaktionen und zum Bombenbauen. Bekannte Oppositionelle erklären freimütig, es sei wichtig, den Wahlsieg Rosales vor Verkündung des amtlichen Ergebnisses durch die Wahlbehörden bereits in allen privaten TV-Kanälen zu verbreiten und auf die Straße zu gehen. Ob die Opposition tatsächlich noch die Kraft hat, jenseits der mittlerweile jeden Wahlprozess begleitenden Anschläge und lokalen Ausschreitungen in Mittelschichtvierteln Maßnahmen zu ergreifen, die das Land ernsthaft destabilisieren, scheint mehr als fraglich. Sicher ist jedoch, dass sie es immer wieder versuchen wird.


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