Die Opposition versucht mal wieder, Chávez zu stürzen

Virtueller Notstand in Venezuela

Vier Mal Streik in den letzten zwölf Monaten. Vier Mal versuchte die venezolanische Opposition, Präsident Chávez zum Rücktritt zu zwingen. Ungünstig für dieses Projekt ist bloß, dass die Bevölkerung mehrheitlich nicht mitmacht.

Der Unternehmerverband Fedecameras und der rechte Gewerkschaftsverband CTV hatten zum Generalstreik aufgerufen. Drei Tag lang, vom 2. bis zum 4. Dezember, folgten diesem Aufruf etwa 15% der venezolanischen ArbeitnehmerInnen, zum Teil allerdings gezwungenermaßen in Folge von Aussperrung. Am dritten Tag folgten einige tausend Oppositionelle der Aufforderung des Unternehmerverbandes, gingen auf die Straße, griffen streikunwillige Geschäftsinhaber an, verbrannten Busse, bauten Barrikaden und gossen Schmieröl auf die Stadtautobahn von Caracas, was einige tödliche Verkehrsunfälle zur Folge hatte. Nicht umsonst wurde befürchtet, dass die Opposition, wie schon im April diesen Jahres, auf Eskalation setzen und es erneut mit Putsch versuchen würde.

Die Basisorganisationen Venezuelas unterstützen den von der Regierung Chávez eingeleiteten Prozess der Umverteilung nach unten. Während sie immer mehr gegen den Streik mobilisierten, mahnte die Regierung zur Ruhe: Man habe die Lage im Griff. Präsident Hugo Chávez erklärte in der ersten Dezemberwoche, der Streik sei nicht zuletzt dank der bis dato immer noch patrouillierenden Nationalgarde gescheitert.

Reiche bestreiken sich selbst

Tatsächlich war bereits am 2. Dezember auf den Straßen Venezuelas von Streik wenig zu sehen. Eng drängte sich die Menge auf dem Weg zur Arbeit oder zum Vorweihnachts-Shopping. Offensichtlich im Morgengrauen aufgenommen hatte die oppositionelle Tageszeitung El Universal ihre Bilder von menschenleeren Straßen. Derweil funktionierte der öffentliche Nahverkehr, funktionierten auch Flughäfen, Häfen, Landwirtschaft und Fischerei zu 100%. Erfolgreich streikte man schließlich noch in Privatschulen, in den Geschäften der Reichen-Viertel von Caracas und in ein paar größeren Fabriken und Einkaufszentren, aus denen die Unternehmer ihre ArbeiterInnen und Angestellten ausgesperrt hatten.

Die ausgesperrten Beschäftigten versammelten sich vor den Fabriktoren oder Einkaufszentren und versuchten, eine Öffnung zu erzwingen, was in einigen Fällen auch gelang. In Villa de Curado beschlossen die ausgesperrten Arbeiter der Pepsi-Cola-Abfüllerei, die Anlage selbst zu übernehmen, um die Produktion fortzusetzen. In einer Niederlassung des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA, der auf Führungsebene von der Opposition kontrolliert wird, wies man die Kantine an, dichtzumachen. Daraufhin übernahm die Gewerkschaft Sinutrapetrol die Lebensmittelversorgung der Arbeiter. Im Gegenzug wurden Autos von Arbeitern der PDVSA, die zur Arbeit erschienen waren, beschädigt.

Die Treibstoffversorgung im Land ist bislang sichergestellt. Während die transnationalen Erdölkonzerne Mobil Oil, Shell und BP ihr Tankstellennetz geschlossen haben, funktionieren alle Tankstellen der staatlichen PDVSA, die den Großteil der Tankstellen betreiben. In Caracas, wo sich das Zentrum der oppositionellen Proteste befindet, werden die Tankstellen von der Nationalgarde bewacht, während sie außerhalb der Hauptstadt ohnehin in Betrieb sind.

Meutern gegen streikende Kapitäne
Seit die Armee am Wochenende vom 7./8.12. die Kontrolle über die Erdölraffinerien und Exportzentren übernommen hat, unterstützt von tausenden von Menschen, normalisiert sich auch dort wieder langsam die Situation. Die Raffinerie in Yagua wird zur Zeit, wie viele andere, von 6.000 Menschen geschützt, während die Tanklaster der PDVSA für die Benzinversorgung im Land abgefüllt werden und ausfahren.

Handelsmarine und Fischereiflotte boten mittlerweile der Regierung Chávez ihre Unterstützung an, um streikende Kapitäne und Offiziere der Tanker und Handelsschiffe zu ersetzen. Bisher haben auch schon drei Kapitäne aus dem Ausland ihren Dienst auf venezolanischen Tankern angetreten. Bis auf die Kapitäne der Öltanker streikt allerdings niemand auf den Schiffen, in einigen Fällen "meuterte" sogar die Besatzung gegen den eigenen streikenden Kapitän.

Auch die Universitäten in den verschiedenen Provinzstädten Venezuelas funktionieren momentan normal. In der Universität von Caracas, wo in den vergangenen Tagen immer wieder linke Studierende und ProfessorInnen von oppositionellen Organisationen bedroht wurden, beschloss der Universitätsrat, die Universität weiterhin normal zu öffnen. Es gelang, die oppositionellen Provokateure vom Universitätsgelände zu werfen.

Angesichts dieser für sie desolaten Lage nutzten verschiedene oppositionelle Amtsträger ihre Autorität und drohten streikunwilligen Geschäftsinhabern mit Entzug der Gewerbelizenz. Die sogenannte "Demokratische Koordination", die verschiedene rechte Oppositionsparteien vereint, der Unternehmerverband und die Gewerkschaft CTV riefen schließlich den "aktiven Streik" aus und forderten ihre Anhänger auf, "aktive" Streikaktionen auf der Straße durchzuführen und sich jenseits der Bannmeile in der Nähe des Präsidentenpalasts zu sammeln. Oppositionelle Demonstranten griffen daraufhin vor Ort die Nationalgarde an. Diese löste die Gruppe mit Tränengas auf.

Der Kurs des oppositionellen Unternehmerverbandes stößt inzwischen auch intern zunehmend auf Ablehnung. Der Vorsitzende von Fedecamaras im Bundesstaat Bolivar, Senén Torrealba, plädierte für eine Ablösung der Fedecamaras-Leitung. Er bezeichnete den Streik als "unverantwortlich" und widersprach den Angaben zur Streikbeteiligung von Fedecamaras und CTV. Unterstützt wird er dabei vom Unternehmerverband des Bundesstaates Apure. Torrealba forderte die CTV auf, ihre Position zu überdenken, denn "die Arbeiter selbst hätten gezeigt, dass die CTV sie nicht repräsentiert und keine Mobilisierungsfähigkeit besitzt." Deshalb soll, so Torrealba, auch die CTV einen Erneuerungsprozess beginnen und ihre Führung auswechseln.

Derweil ließ der zweifache venezolanische Präsident Carlos Andres Perez, der für die Niederschlagung der Armutsrevolte 1989 mit Tausenden von Toten verantwortlich war und im Hintergrund der Putschisten die Fäden zieht, aus dem Exil verlauten, es sei "keine friedliche Lösung mehr möglich". Und: "Es wird einen militärischen Ausgang als einzig möglichen geben."

Tatsächlich setzt die Opposition mittlerweile alles auf eine Zuspitzung der Situation, damit die so genannte "demokratische Charta" der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kraft tritt, gemäß derer eine militärische Intervention zur "Wiederherstellung der Demokratie" gutgeheißen werden kann. Seit Ende November hält sich der Präsident der OAS, der ehemalige kolumbianische Präsident César Gaviria, als vermeintlicher Vermittler zwischen Regierung und Opposition in Venezuela auf. Am Montag, den 9. Dezember hat er sich offen auf die Seite der Putschisten geschlagen und in einer vom Privatfernsehen ausgesandten Rede die Polizei aufgefordert, gegen die Pro-Chávez-Demonstranten einzuschreiten. Nach wie vor versuchen oppositionelle Bürgermeister und Gouverneure in verschiedenen Regionen und Städten, Geschäfte und Unternehmen zum Streik zu zwingen und setzen Polizeieinheiten gegen die regierungstreue Bevölkerung ein. Zugleich kündigten Abgeordnete der Opposition an, nicht mehr an den Sitzungen der Nationalversammlung teilzunehmen.

"Sehen, wie weit sie gehen"

Und die Medien inszenieren den Notstand. Ein Video, das die privaten TV-Anstalten als Beweis für die Verantwortung der Regierung für die drei Toten eines Schusswaffenanschlags am Samstag, den 8. Dezember zeigten, erwies sich als Fälschung. Die Aufzeichnung sollte den Schützen zusammen mit hohen Vertretern des Regierungsbündnisses zeigen. Der betreffende Schütze reiste jedoch erst nach dem Aufnahmezeitpunkt nach Venezuela ein.

Offen rufen putschistische Militärs zur Gewalt gegen Chávez und seine Anhänger auf. Die Opposition mobilisierte zu einer Kundgebung vor der staatlichen Fernsehanstalt VTV, von der aus dann mehrere Schüsse auf das Gebäude abgegeben wurden. Auf der anderen Seite demonstrieren seit dem 9.12. AnhängerInnen von Chávez' "bolivarianischer Revolution" vor allen Oppositionsmedien und fordern diese auf, "die Wahrheit zu erzählen". Von Chávez fordern die DemonstrantInnen, dass er diesen Sendern die Lizenzen entzieht. Angeblich sollen ChavistInnen auch einen Sender der Opposition verwüstet haben; erstaunlicherweise aber gibt es von diesem Vorgang keine Fernsehaufnahmen.

Auf das Auto des Ministers für Land und Landwirtschaft wurde mehrmals geschossen, die Karosserie an der Stelle, an der er normalerweise sitzt, durchsiebt. Doch er hatte den Wagen wenige Minuten vorher verlassen. Ebenso wurden auf sein Büro im Ministerium mehrere Salven abgegeben. Dabei wurden zwei Personen verletzt. Im Nationalen Institut für Fluss- und Kanalschifffahrt brach - wahrscheinlich durch Brandstiftung - ein Feuer aus. Und als am Dienstag, den 10.12. morgens Unbekannte auf den Personaleingang des Erziehungsministerium schossen, kam ein Angehöriger der Nationalgarde ums Leben, der in einem Auto vor dem Gebäude saß.

Keine Entspannung angesagt
Auf der anderen Seite haben die Galionsfiguren der Ultrarechten, vom Gewerkschafter Carlos Ortega bis zu den putschistischen Generälen, seit einigen Tagen keine öffentlichen Auftritte mehr gehabt. So hat man bereits spekuliert, sie würden versuchen das Land zu verlassen. Allein das Gerücht führte dazu, dass sich hunderte AnhängerInnen der "bolivarianischen Revolution" zum Flughafen von Caracas begaben, um dies zu verhindern.

Insgesamt ist die Reaktion der pro-chavistischen Bevölkerung diesmal wesentlich organisierter, als sie es noch beim vergangenen Putsch im April gewesen war. Zugleich hat die Kampagne der Opposition stets offenere rechtsradikale und rassistische Ausprägungen. "Wir wollten sehen, wie weit sie gehen", so ein Demonstrant, "aber wenn sie Chávez stürzen, entfesseln sie einen Bürgerkrieg".

Präsident Hugo Chávez hat inzwischen zur allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung gegen den erneuten Putschversuch aufgerufen. Im ganzen Land sind Millionen von Menschen unterwegs, demonstrieren ihre Unterstützung für die Regierung, besetzen Fabriken, schützen Institutionen und versuchen, eine Eskalation zu verhindern. Dennoch ist keine Entspannung angesagt, denn es ist unklar, welchen Trumpf die Opposition noch aus dem Ärmel zieht. Sie hat alles auf eine Karte gesetzt und scheinbar verloren. Das kann auch zu Verzweiflungstaten führen.