Am Rande eines Krieges?

Nicaragua-Atlantikküste

Der Machtkampf innerhalb der Miskito-Organisation YATAMA um die Regierungsgewalt in der autonomen Region Nordatlantik - deren Bevölkerungsmehrheit von den Miskito-IndianerInnen gestellt wird - spitzt sich weiter zu (vgl. LN 212). Die Pole des Konflikts sind bekannt: Brooklyn Rivera, einstmals wichtigster Führer der antisandinistischen indianischen Guerilla und heute in Managua Minister für die Belange der autonomen Atlantikregionen Nicaraguas, sucht sich gegen die Regionalregierung des gemäßigten YATAMA-Führers Leonel Panting durchzusetzen. Auf Pantings Seite aber steht Steadman Fagoth, Riveras ewiger Widersacher um die YATAMA-Führung. Zuletzt im Dezember des vergangenen Jahres wagten bewaffnete AnhängerInnen Riveras den offenen Aufstand gegen die gewählte Regierung in der Regionalhauptstadt Puerto Cabezas (vgl. LN 212).

Im Februar erreichten die Auseinandersetzungen ihren bisherigen Höhepunkt: Ein Putschversuch der Rivera-Fraktion wurde durch den Einsatz des nicaraguanischen Militärs zunichte gemacht. Am Morgen des 17. Februar übernahmen 200 bewaffnete Miskitos unterFührung von Manuel Cunningham - Kriegsname Tigrillo 17 - nach kurzem Gefecht die Kontrolle über die an der einzigen Straßenverbindung zum pazifischen Nicaragua gelegene Ortschaft Waspán. Zur gleichen Zeit besetzten weitere Kommandos wichtige Gebäude in der Regionalhauptstadt Puerto Cabezas, darunter das Rathaus. Der Hintergrund der Aktionen wurde spätestens klar, als Brooklyn Rivera selbst im regionalen Sender Radio Miskut das Wort ergriff. "Zuerst redete er spanisch, und sein Aufruf zum Krieg war subtil; danach aber, als er sich an die Miskitos in deren Sprache wandte, tat er das agitatorisch und drängte die IndianerInnen, die Waffen zu ergreifen", beschrieb Leonel Panting, Regierungschef der nordatlantischen Region, in einer Pressekonferenz das Auftreten Riveras. Die Forderungen der Aufständischen umfaßten, wie schon während der Unruhen im Dezember, die Absetzung der Regionalregierung, die Auswechslung der lokalen und regionalen Polizeikräfte - zugunsten Anhängern der Fraktion Brooklyn Riveras.

Zentralregierung entsendet Militär und Polizei

Während die Zentralregierung im Dezember noch zwei Wochen hatte verstreichen lassen, bis sie sich in die Auseinandersetzungen in Puerto Cabezas einschaltete, reagierte sie nun prompt: Nur zwei Tage später, am 19. Februar, räumten Militär und Spezialeinheiten der Polizei, eilig aus dem pazifischen Teil Nicaraguas herbeigebracht, in einer Blitzaktion die besetzten Gebäude in der Regionalhauptstadt und die Straße nach Waspán. Eine hochkarätig besetzte Kommission, angeführt von Nicaraguas Innenminister Carlos Hurtado, begann Verhandlungen mit dem Kommando von Tigrillo 17, das zu dieser Zeit noch immer die Ortschaft Waspán besetzt hielt.

Das militärische Vorgehen der Zentralregierung wurde von fast allen politischen Kräften der Atlantikküste kritisiert. Der Koordinator der Regionalregierung, Leonel Panting, zeigte zwar Verständnis dafür, daß "die nationalen Autoritäten das Recht haben zu entscheiden, wie die Ordnung wiederhergestellt werden kann." Gleichzeitig wies er den Vorwurf Brooklyn Riveras von sich, er selbst habe das Militär gerufen. Panting beschuldigte die Regierung Violeta Chamorros des Neokolonialismus: sie ziehe die Gewalt dem Dialog vor und wolle den Autonomieprozeß der Atlantikküste stören. Rivera sei verantwortlich für die gewalttätigen Geschehnisse und plane auch weiterhin einen Staatsstreich in der Nordatlantikregion. Mehrere YATAMA-Kommandanten wiesen darauf hin, daß es sich bei den Aufständischen nur um eine kleine Fraktion handle, die in Riveras Interesse vorginge.

Lumberto Campbell, einziger sandinistischer Comandante aus der Atlantikregion Nicaraguas, kritisierte den militärischen Eingriff mit starken Worten. Die Zentralregierung Violeta Chamorros verachte die BewohnerInnen der Atlantikküste; niemand aus der Regierung habe sich bisher der Probleme der autonomen Regionen angenommen - und in einem Konflikt wie diesem würden Polizei und Militär geschickt.

In zähen Verhandlungen zwischen Innenminister Carlos Hurtado und einem Teil der YATAMA-Kommandanten - angeführt vom letzten miltärischen Führer der YATAMA-Guerilla Osorno Coleman, der erst im Mai 1990 seine Waffen niedergelegt hatte - konnte mittlerweile ein Abkommen geschlossen werden, welches umfangreiche Zugeständnisse an die Fraktion Riveras enthält:

- Das Kommando von Tigrillo 17 soll zusammen mit der Nationalpolizei die polizeilichen Aufgaben in Waspán übernehmen, während die Verhandlungen über die vollständige Entwaffnung aller irregulären Kräfte fortgeführt werden.
- Das nicaraguanische Militär und diejenigen Einheiten der Polizei, die zur Niederschlagung des Putschversuchs an die Atlantikküste gekommen waren, werden zurückgezogen, die Region unter die Aufsicht einer "Speziellen Entwaffnungsbrigade" (BED) gestellt.
- 50 YATAMA-KämpferInnen werden in die Polizei, 40 weitere in Einheiten der BED integriert.

In getrennten Verhandlungen mit der Regionalregierung des Nordatlantik sagte Innenminister Hurtado lediglich die Bildung einer gemeinsamen Kommission zu, die ab März Richtlinien für die Handhabung des Autonomiegesetzes ausarbeiten soll.

Von diesen Ergebnissen sind die eigentlichen Ursachen der Konflikte allerdings längst nicht beseitigt, wie Regionalregierungschef Panting erklärte. Diese lägen weiterhin in der katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Situation der Atlantikküste, einer Arbeitslosigkeit von 90%, der infrastrukturellen Unterentwicklung der Region - Problemen also, die sich nicht militärisch lösen lassen. Die U.N.O.-Regierung in Managua interessiert das wenig. Die will aus der Atlantikküste eine innere Kolonie machen und herausschlagen, was die atlantische Wirtschaft hergibt. Der Interessenswalter der Zentralregierung aber ist Brooklyn Rivera, und der hat sein vollklimatisiertes Büro in Managua.