Vor dem „Erdgipfel“ in Rio: Todesstoß für den nikaraguanischen Wald konnte zunächst verhindert werden

Chancen hat nur eine verträgliche Nutzung des Baumbestandes

Der Ausbruch des nikaraguanischen Vulkans Cerro Negro vor einigen Wochen hinterließ 40 Quadratkilometer Wüstenlandschaft. Den Schaden richtete nicht herausströmende Lava an, sondern die Vulkanasche, die in unglaublichen Mengen über Tage hinweg aus dem Krater geschleudert wurde. Die in der Nähe des Vulkans gelegene zweitgrößte Stadt Nikaraguas, León, war von einer teilweise fast 40 cm hohen Ascheschicht bedeckt. Der ökonomische Schaden geht wohl in den dreistelligen Millionenbereich, besonders betroffen sind Landwirtschaft und Natur in der Gegend, die Ascheschicht hat fast jede Form von Grün gnadenlos erstickt.

Erst 1988 hatte der Hurrikan Joan etwa 600.000 Hektar tropischen Regenwaldes vernichtet, etwa 22 Prozent des gesamten nikaraguanischen Waldbestandes. In den 50er und 60er Jahre wurde die Baumwollproduktion Nikaraguas verzwanzigfacht, die dadurch verdrängten Kleinbauern nahmen sich durch Brandrodung das Land, das sie für Viehweiden und neue Anbauflächen brauchten, US-Konzerne beuteten gnadenlos die Tropenhölzer aus. 95 Prozent des privaten und 25 Prozent des industriellen Brennstoffbedarfs werden durch Holz abgedeckt. Seit dem Regierungswechsel werden unkontrolliert Edelhölzer geschlagen und in großen Mengen geschmuggelt.

Wenn das so weiter geht, wird es in etwa 20 Jahren in Nikaragua keinen Wald mehr geben. Die während der sandinistischen Regierungszeit begonnenen Wiederaufforstungsprogramme werden von dem neuen Kabinett allenfalls noch halbherzig fortgeführt. Der geplante Todesstoß für den nikaraguanischen Wald allerdings konnte von einer breiten Bewegung an der Atlantikküste gerade noch verhindert werden. Die Pläne sehen vor, einer taiwanesischen Firma, Equipe de Nicaragua Co. Ltd., die Rechte zur Abholzung von 270.000 bis 400.000 Hektar Wald zuzugestehen. Ob die Firma, die in Nicaragua mit nur 2000 US-Dollar Stammkapital eingetragen ist, für die fällige Wiederaufforstung aufgekommen wäre ist mehr als fraglich.

Nikaragua ist jedoch ein armes Land und Wald ein ökonomischer Faktor. Chancen haben demnach nur ökologische Konzepte, die eine verträgliche Nutzung des Baumbestandes entwerfen und ihn sowohl als Ökosystem wie auch als Rohstofflieferanten erhalten.

Als Somoza 1979 aus dem Land gejagt wurde, hinterließ er ein ökologisches Desaster. Das Institut für Naturressourcen und Umwelt stellte 1981 fest, dass 75 Prozent der Wasservorräte des Landes durch Industrie, Agrochemie und Abfälle aus der Verarbeitung von Zucker, Kaffee und Fleisch verseucht sind. Bis 1979 hatten US-Firmen im Minengebiet im Nordosten Nikaraguas mehr als 4000 Tonnen Zyanid in die Flüsse geleitet.

Das größte Problem stellt der Lago Xolotlán bei Managua dar. Der See, in den täglich mehr als 130.000 Kubikmeter ungeklärter Abwässer und hochgiftige chemische Industrieabfälle geleitet werden und an dessen Ufer sich die immer leicht schwelende Müllkippe Managuas befindet, ist praktisch schon umgekippt, nahezu biologisch tot. Trotz Warnungen vor dem Verzehr der den Umweltbedingungen angepassten Fische wird weiterhin gefischt und verspeist – denn auch wer es besser weiß, hungert nicht gerne.

Der größte Verschmutzer war hier allerdings die ehemalige US-Firma Penwalt Corporation. Seit 1985 in Nationalbesitz und in Elpesa umbenannt, ist sie das einzige Werk zur Herstellung von Chlorprodukten in Mittelamerika. Elpesa leitete pro Tonne produziertes Chlor 1,2 Gramm Quecksilber in den See, der erlaubte Höchstwert bei der Herstellung liegt zwischen 0,1 und 0,3 Gramm. Während in den USA nicht mehr als 0,1 Gramm Chlor pro Kubikmeter Luft anfallen dürfen, waren es rund um die Elpesa manchmal bis zu 10 Gramm, bei entsprechendem Wind stieg einem noch einen Kilometer weiter ein beißender Chlorwasserstoffgeruch in die Nase, der Kopfschmerzen verursachte. Anfang Januar wurde das Werk von der Regierung geschlossen, der massive Druck der Umweltbewegung hatte einen Erfolg erzielt. Während der FSLN-Regierung und der US-Blockade hatten die „Ökonomisten“ in der FSLN eine Schließung mit finanziellen Argumenten stets verhindert. Doch einige Umweltschützer und auch Arbeiter der Firma vermuten, die Fabrik werde jetzt bald billig abgestoßen und schließlich wieder in Betrieb genommen.

Der bis 1979 gnadenlose Einsatz von Pestiziden hat dazu geführt, dasß die DDT-Werte in der Muttermilch die Grenzwerte der Weltgesundheitsbehörde 45fach übersteigen und die höchsten weltweit sind. Die Einfuhr von Pestiziden wurde kurz nach der Revolution verboten, wohl mehr aus Devisenmangel, als aus ökologischem Bewusstsein. Doch im Laufe der Jahre wurden viele Programme zum Tier- und Naturschutz oder der biologischen Landwirtschaft begonnen, und der Anbau von ökologischem Kaffee findet immer größere Verbreitung.

Die ökonomische Situation fordert jedoch ihren ökologischen Tribut. So sind im Laufe des letzten Jahres die Leguane in Zentralnikaragua fast gänzlich dezimiert worden, da in der Bevölkerung Hunger herrscht. Ganze Wiesen und Felder werden niedergebrannt, um dann die auf die Bäume geflüchteten Leguane einzufangen. Die Regierung selbst schreckt vor nichts zurück. Die Vergabe von über hundert Fischereilizenzen für die Karibikgewässer Nikaraguas an ausländische Kutter hat einerseits zum völligen Zusammenbruch der einheimischen Fischereiindustrie geführt und ist andererseits verantwortlich für eine ökologische Katastrophe: Selbst die offiziell deklarierten Fangquoten für Schrimps und Hummer übersteigen um ein Vielfaches das erträgliche Maß.
Besonders an der Atlantikküste, deren einziger aber immenser Reichtum die Naturressourcen sind, formiert sich immer größerer Widerstand gegen den von der neoliberalen Regierung und den multinationalen Konzernen vorangetriebenen „Ökozid“. Es geht dabei jedoch auch ganz klar um einen in ein gesellschaftspolitisches Konzept eingebetteten Naturschutz, der die Naturressourcen ökonomisch, aber schonend und mit Blick auf die Zukunft nutzen will. Eine romantisierende Ökologievorstellung, wie sie teilweise in den Industrienationen von einigen Gruppen vertreten wird, hätte in Nikaragua wohl keine Chance.