Nicaragua: Die FSLN als Sozialkorrektiv des Staates oder Fundamental-Opposition? Die Basis ist in Aufruhr

Die Sandinisten am Scheideweg

Am letzten Wochenende demonstrierten in Nicaraguas Hauptstadt Managua Tausende Menschen gegen die geplante Privatisierung der Wasser- und Stromversorgung sowie des Fernmeldewesens. Die Kette der Proteste in dem Land reißt nicht. ab. Es steckt in seiner wahrscheinlich tiefsten wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die Situation zunehmender Massenverelendung, über 60 Prozent Arbeitslosigkeit, militärische Auseinandersetzungen mit bewaffneten Verbänden, Streiks und Geiselnahmen stellen auch die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) vor eine schwierige Situation. Die Meinungen über den Umgang mit der sozialen Krise gehen in der FSLN auseinander, einig ist man sich nur darüber, daß die konservative UNO-Regierung für die Mißstände verantwortlich ist. Die FSLN-Fraktion in der Nationalversammlung, die als Bastion der Parteirechten gilt, unterstützt . seit den Wahlen 1990 die konservative Präsidentin Violeta Chamorro, um einen größeren Einfluß der extremen Rechten zu verhindern. Unter dem Ex-Vizepräsidenten Sergio Ramirez befürwortet sie auch die Privatisierungspläne.

Doch die Unzufriedenheit der Basis und der mittleren FSLN-Kader mit dem Schmusekurs der Partei wird immer lauter. Zum 14. Jahrestag der Revolution im Juli forderten 29. prominente Mitglieder der FSLN eine klare Distanzierung von der Regierung und die Rückbesinnung auf das historische Engagement der FSLN für die armen Volksschichten. Zu den Unterzeichnern gehörten. bekannte Gewerkschaftsführer und Vertreter. der FSLN-Medien Vertreter des gemäßigten Flügels warfen ihnen »Extremismus« vor. Doch die »Extremisten« sprechen der Bevölkerung aus der Seele, für die angesichts der. Gegenwärtigen Situation die Kooperation der FSLN mit der Regierung nicht nachvollziehbar ist.

So dürfte sich beispielsweise kaum noch jemand aus der Basis für den ursprünglich sandinistischen Armeechef Humberto Ortega einsetzen, sollte dieser tatsachlich – wie angekündigt – 1994 abgesetzt werden. Seit dem Regierungswechsel versucht er sich als Mann der Mitte zu profilieren. Offiziell genießt er zwar noch die Unterstützung der FSLN-Leitung, die meisten Sandinisten betrachten ihn jedoch bereits nicht. mehr als einen der Ihren. Sein Dilemma: die Rechten mögen ihn nach wie vor nicht und fordern seine Absetzung – Wie die USA, die mit aus diesem Grund über 100 Millionen US-Dollar Wirtschaftshilfe für Nicaragua zurückhalten. Für Empörung unter den FSLN-Anhängern sorgte sein Vorgehens als Mitte Juli die linke Guerilla FROC die im Norden Nicaraguas gelegene Stadt Esteli besetzte und Ortega die militärische Zerschlagung der Aktion anordnete. Ergebnis: 45 tote Guerrilleros.

Auch wahrend eines Transportarbeiterstreiks Ende September, der sich schnell, ausweitete und zu einem landesweiten Aufstand umzuschlagen drohte, zeigte sich die innere Zerrissenheit der FSLN: während der Straßenkämpfe, bei denen die Polizei auch eine unbeteiligte Frau erschoß, wurde ein Einsatzleiter der Polizei, ein angeseher Ex-Comandante der FSLN-Guerilla, von Unbekannten tödlich getroffen. Ermittelt wird gegen neun Mitglieder des Jugendverbandes der FSLN. Während sich die Bevölkerung bei Protestmaßnahmen mit. dem brutalen Vorgehen der Polizei konfrontiert sieht, behaupten leitende FSLN-Mitglieder weiter, die Polizei sei noch immer sandinistisch.

Die Diskussion in der FSLN wird mittlerweile heiß und kontrovers geführt. Die Basis ist offensichtlich nicht mehr gewillt, ihrer Führung zu folgen. María Teresa Ruíz vom Frauenkollektiv Matagalpa sagte einmal:. »Zehn Jahre . Revolution waren nicht umsonst, es ist ein Bewußtsein darüber entstanden was es heißt, frei von Unterdrückung zu leben.« Die FSLN wird sich entscheiden müssen, ob sie das soziale Korrektiv des Staates oder die Organisation der armen Bevölkerung sein will.