Interview mit Onecimo Hidalgo, Repräsentant der Conai (Comision Nacional de Intermediación)

„Der Krieg wird in den höchsten Sphären der Regierung geplant“

Die nationale Vermittlungskommission Conai wurde 1994 von Bischof Samuel Ruiz aus San Cristóbal ins Leben gerufen, um die Verhandlungen zwischen Regierung und EZLN zu begleiten. Durch ihre Arbeit konnte bisher auch in äußerst zugespitzten Situationen die Perspektive auf Dialogverhandlungen aufrechterhalten werden. In den letzten Monaten ist Bischof Ruiz das Ziel einer Kampagne von Regierungsinstitutionen und Militär, die ihn als Mitglied der EZLN bezeichen, und die im November ein Attentat gegen ihn organisiert haben.

Wie kann der mexikanische Innenminister Emilio Chauyffet (mittlerweile zurückgetreten, d. Red.) weiterhin darauf beharren, es handele sich bei dem Massaker von Acteal um das Ergebnis von "interkommunitären" Konflikten. Schließlich besteht kaum mehr ein Zweifel daran, daß Mitglieder der Regierungspartei PRI in den Überfall paramilitärischer Gruppen involviert waren?

So soll versucht werden, einen Konflikt zu verdunkeln, der Teil eines umfassenderen, staatlich geplanten Krieges ist. Als religiöses Problem konnte die Situation in der Region Chenalho nicht dargestellt werden, da sowohl der Bürgermeister von Acteal als auch der Bürgermeister der autonomen Gemeinde von Chenalho Presbyterianer sind. Also wird nach einem anderen Vorwand gesucht. Und deshalb wird der Konflikt als interkommunitär dargestellt. Der Innenminister versucht die Regierungsstrategie zu verheimlichen, die darin besteht, nicht die Armee sondern die PRI-Basis auf die EZLN loszujagen, und so Konflikte an der Basis auszulösen.

Die Regierungsstrategie scheint darauf hinauszulaufen, öffentlich zu erklären, daß alle Konfliktparteien, also Paramilitärs und EZLN, "verhandeln" müßten. Das Ergebnis solcher Verhandlungen kann dann natürlich nur die Rückkehr zum vorherigen Status Quo sein. Wie wird die Conai gegenüber einer solchen Strategie reagieren?

In der Geschichte von Chiapas hat es bereits zwei Mal Indianer-Kriege gegeben, die auch Aufstände gegen die Marginalisierung, den Rassismus, die Armut und die Ausbeutung waren. Auch damals wurden von Regierungsseite andere Konfliktursachen vorgeschoben. Heute werden paramilitärische Gruppierungen geschaffen, um sie der EZLN gegenüberzustellen. Die Regierung will dann als Vermittler auftreten, obwohl sie doch die Hauptverantwortung für diese Strategie trägt. Als Conai sprechen wir weder für die Regierung, noch für die EZLN. Wir wollen die Seiten nur einander näherbringen und die Verhandlungen erleichtern. Aber man darf nicht vergessen, daß die EZLN fünf Bedingungen gestellt hat, um die Gespräche mit der Regierung wieder aufzunehmen. Eine davon ist die Auflösung der paramilitärischen Gruppen. Die Verhandlungen sollen mit der Regierung und nicht mit den Paramilitärs stattfinden. Diese Bedingung wurde bisher nicht erfüllt. Und hier ist die Regierung gefragt und nicht die EZLN.

Eine ähnliche Situation existiert auch in Kolumbien, wo die Guerilla es ablehnt, mit den Pa­ramilitärs zu verhandeln, da sie die Gesamtverantwortung bei der Regierung sehen. In den letzten Monaten erinnert die Situation in Chiapas stark an Guatemala und Kolumbien ...

Ja, es ist das gleiche Schema, auch wenn sich die Situation in Mexiko doch unterscheidet. Die EZLN ist unter anderen Bedingungen entstanden. Es gab keine Sowjetunion und auch kein sandinistisches Nicaragua mehr. Kuba ist auch keine Unterstützung, die Berliner Mauer ist gefallen, und wir befinden uns mitten in einem Prozeß nationaler und internationaler Neuordnung der Kräfte. Dann spielt natürlich auch die Form eine Rolle, in der sich die EZLN auf internationaler Ebene bewegt hat. Das hat zu einer großen Solidarität geführt, so daß es bisher nicht zu einem Vernichtungskrieg wie anderswo gekommen ist, und wie es die Regierung ursprünglich vor hatte. Diese Bedingungen schaffen für die Zivilgesellschaft Möglichkeiten zu intervenieren. International wird von der Soli­daritäts-Bewegung etwa versucht, Mexikos Ökonomie zu treffen. Zum Beispiel wird versucht, Druck auszuüben, damit die Staa­ten der EU sich gegen die Ratifizierung des Abkommens mit Mexiko aussprechen, wenn es nicht eine minimale Respektierung der Menschenrechte gibt.

Wie sieht die "Kriegsführung niederer Intensität" in Mexiko genau aus?

Zentral ist, daß die Regierung natürlich nicht zugibt, daß Krieg herrscht. Zudem kann man beobachten, daß die Paramilitärs genau in den Gebieten der EZLN auftauchen und geographisch eine Barriere Richtung Küste und dem Gebiet der geplanten interozeanischen Verbindung bilden. (Siehe LN 283) Dort sind die besseren Böden und in dieser Region sollen auch Freihandelszonen entstehen. Daher soll es dort, wo die unmittelbaren ökonomischen Interessen stark sind, ruhig bleiben, während es ansonsten egal ist, ob sich die Indios umbringen. Hier wird das ganze Gebiet vom Aufbau paramiltärischer Gruppen erfasst. Wenn wir uns die Karte anschauen, so stellen wir fest, daß überall erst die Nationalpolizei Seguridad Publica Präsenz zeigt. Sie schürt die Konflikte in den Gemeinden. Irgendwann tauchen dann Leichen auf und die Polizei präsentiert der Öffentlichkeit die Situation als Gemeindekonflikt, Hexerei oder anderes. Alldem liegen natürlich politische Konflikte zugrunde: Die Leute sind aufständisch geworden, sie wollen diese Regierung nicht mehr, aber auch nicht den Krieg. Es ist offensichtlich, daß dieser Krieg in den höchsten Sphären der Regierung geplant wird, und so dienen auch viele Regierungsumbildungen einzig dem Ziel, diese Kriegsführung zu verfeinern. Es wurde bereits nachgewiesen, daß jede paramilitärische Gruppe an einen Abgeordneten gebunden ist. Man sieht also, es handelt sich um ein gut durchdachtes Schema, mit dem die PRI-Gemeinden militärisch organisiert werden. Das ganze läuft in direkter Verbindung mit einer zunehmenden Militarisierung der Region. So findet sich dann auch unter dem Dokument, das die paramilitärische Gruppe Paz y Justicia von Seiten der Regierung mehrere Millionen Pesos für "Anbau und Viehzucht" zukommen läßt, keine einzige Unterschrift aus der zuständigen Behörde. Dafür aber die des Oberbefehlshabers der 7. Militärregion, Mario Renan Castillo. Die paramilitärischen Gruppen sind der Vorhang, hinter dem sich die Armee versteckt. Militär und Polizei bilden die Paramilitärs für den Krieg gegen die zapatistischen Gemeinden aus, tauchen aber selbst nicht auf und können so für die Taten nicht angeklagt werden. Daß die PRI-Gemeinden sich die Hände schmutzig machen, oder der Bürgermeister von Chenalho inhaftiert wird, ist ein tragbares Opfer, solange Polizei und Armee sauber bleiben. Dieses Vorgehen ist einerseits die Folge davon, daß Armee und Polizei in bestimmte Gebiete nicht mehr eindringen konnten und – auf Kosten der 45 Toten – andererseits der Vorwand, um jetzt genau dort hinein vorzudringen. Das System und die Regierung tauchen nicht mehr auf. So soll verhindert werden, daß man sie verantwortlich machen kann.