Das Motto "Land und Freiheit", wie von Emilio Zapata gefordert, hatte in Chiapas nach der mexikanischen Revolution nicht lange Gültigkeit

Land und Freiheit

Die Großgrundbesitzer konnten ihre Macht nach 1917 bald wieder herstellen und nahmen die verschiedensten Desperados aus Kriegszeiten in ihre Dienste. Ihre Gewalt war damals noch recht allgemein gegen die Campesinos gerichtet und eine Ergänzung zu dem besonderen Rechtssystem, das in den Gehöften herrschte und immer noch herrscht. Diese Pistoleros waren allgemein bekannt.

Die "Guardias Blancas", die "Weißen Garden", die in den letzten 30 Jahren den Platz dieser Pistoleros einnahmen, agieren hingegen aus der Anonymität. Als diskret operierende, gut organisierte und bewaffnete Söldner, die in vielen Landkreisen des Südens eine von Großgrundbesitzern und Unternehmern bezahlte Truppe bilden, arbeiten sie uniformiert und parallell zur Polizei. Ihr Terror ist jedoch zielgerichteter, ihr Auftreten und "Berufsethos" entspricht eher dem Bild, das man aus US-amerikanischen Gangsterfilmen kennt als dem traditioneller Desperados. Durchtrainiert und von Experten militärisch ausgebildet, treten sie sportlich gekleidet mit Sonnenbrillen, weißen Pickup-Fahrzeugen (ohne Nummernschilder) und vollautomatischen Waffen auf.

Seit dem Aufstand der Zapatisten Anfang Januar 1994 zeichnet sich eine Veränderung der Situation ab. Mit Techniken, die jährlich 25 mexikanische Militärangehörige in dem berüchtigten Ausbildungszentrum der US-Armee, der "Escuela de las americas", in Panama erlernen, hat ein massiver Aufbau paramilitärischer Verbände begonnen.

Als Versuchslabor für den "schmutzigen Krieg" in Chiapas diente zunächst der Norden der Provinz, das Gebiet der Chol-Indianer. Dort wurde die Formation "Paz y Justicia", Frieden und Gerechtigkeit, als Mischung aus Paramilitärs und PRI-Schlägerbanden aufgebaut. Erstmals trat diese Gruppe Mitte 1995 öffentlich in Erscheinung. Sie ist nachweislich für Dutzende von Morden, massive Vertreibungen, Plünderungen sowie den gescheiterten Anschlag gegen die Bischöfe Samuel Ruiz und Vera Lopez Garcia am 4. November 1997 verantwortlich. Zuletzt erhielt die Gruppe sogar fast 600 000 US-Dollar von der chiapanekischen Regionalregierung für, wie es offiziell hieß, "Ackerbau und Viehzucht". Das ist nicht weiter verwunderlich, ist doch der lokale PRI-Abgeordnete aus Tila, Samuel Sanchez Sanchez, einer der Anführer von Paz y Justicia.

Ebenfalls Mitte 1995 tauchten in weiter südlich gelegenen Tzeltal-Gebieten die paramilitärischen Organisationen Chinchulines und Tomas Munzer auf. Weitere Gruppierungen im Norden von Chiapas tragen die Namen Alianza San Bartolome de los Llanos und Fuerzas Armadas del Pueblo. Zuletzt traten Paramilitärs im Gebiet von Chenalho und den zentraler gelegenen Tälern in Erscheinung. Die Verbände in den Tälern firmieren als MIRA (Indigene Anti-Zapatistische Bewegung), jene in Chenalho, die auch für das jetzige Massaker verantwortlich sind, unter dem Namen "Mascara Roja", Rote Maske. Dieser Name erschien erstmals auf Häuserwänden im November 1996 in San Andres Larrainzar, dort, wo sich der Sitz der Verhandlungen zwischen EZLN und mexikanischer Regierung befindet. "Wir sind die Rote Maske, wenn du uns kennenlernen willst, sehen wir uns in der Hölle!" lautet ihre Losung.

Die Paramilitärs treten in großen Verbänden auf. Ihr Geschäft ist der Terror gegen die Bevölkerung. die sie teils gezielt, teils wahllos vertreiben und ermorden. Zu ihrer Bewaffnung gehören MPs und MGs wie AK-47, M-16, AR15 und Uzis. Sie rekrutieren sich aus der Basis der PRI oder regierungsnaher Organisationen, verfügen über große Geldtöpfe aus Quellen wie Geheimdienste, Militär, Regierung oder Unternehmer. Regelmäßig beziehen sie Gehälter und bessern ihre Finanzen auf, indem sie die Bevölkerung erpressen. So sollte etwa im Bezirk Chenalho jeder umgerechnet 25 Mark bezahlen, Lehrer sogar das Dreifache. Hinzu kommen Straßensperren, die neben Durchsuchungen und Enteignungen auch zum Eintreiben von "Beiträgen" dienen.
Fast alle der bisher bekanntgewordenen paramilitärischen Gruppierungen sind mehr oder weniger direkt an bestimmte PRI-Abgeordnete gebunden. Für das MIRA etwa setzen sich der chiapanekische PRI-Abgeordnete Norberto Santiz Lopez und der ehemalige PRI-Abgeordnete für Ocosingo, Lazaro Hernandez, ein.

Doch die Paramilitärs bleiben nicht auf Chiapas beschränkt. Ähnlich wie in dem südlichsten Bundestaat gehen auch in Guerrero und Oaxaca bewaffnete Gruppen, vermischt mit Militär und Polizei, gegen die Bevölkerung vor. Selbst im eher als Urlaubsziel bekannten Bundesstaat Acapulco agieren Paramilitärs. So ermordete in El Cucuyachi in der Sierra von Atoyac eine Gruppe, die von Mitgliedern bekannter PRI-Familien angeführt wird, bereits drei Personen. Von dort wurden bisher 32 Familien vertrieben, die entweder Aktivisten der oppositionellen PRD in ihren Reihen haben oder denen eine Verbindung zur Guerilla-Organisation EPR (Ejercito Revolucionario Popular) vorgeworfen wurde. Vertriebene berichten von einer direkten Zusammenarbeit zwischen Armee und Paramilitärs. So erzählt eine Mutter zweier PRD-Mitglieder, der Chef der örtlichen Brigade für gemischte Operationen (BOM) habe sie Anfang November gewarnt: Sie könne alles für das Totenmahl kaufen, da sie ihre Söhne bald umlegen würden.


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