Während sich die Linke in Bedeutungslosigkeit übt, lässt der Frieden auf sich warten

Guatemala: Pendelschläge in die falsche Richtung

Mehr als 200.000 Menschen "verschwanden" zwischen 1962 und 1996 in Guatemala; 669 Massaker zählt man im selben Zeitraum:
"Vergangenheitsbewältigung" steht in Guatemala, wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch, auf der Tagesordnung (vgl. ak 463). Keine leichte Aufgabe, wie unser Gesprächspartner Miguel Sandoval weiß - besonders, seitdem die rechte Republikanische Front FRG im Jahr 1999 die Wahlen gewonnen hatte (vgl. ak 468).

Sandoval arbeitet als Berater des CALDH (Zentrum für Juristisches Vorgehen in Menschenrechtsfragen), das u.a. die Klagen gegen die für Menschenrechtsverbrechen verantwortlichen guatemaltekischen Politiker und Militärs führt. Viele der Beklagten sind nach wie vor in der guatemaltekischen Politik aktiv, z.B. der berüchtigte Ex-Diktator Ríos Montt, Gründer der regierenden FRG. Als langjähriges Mitglied der Guerilla URNG war Sandoval außerdem am Abschluss des Friedensabkommens von 1996 beteiligt. 1997 trat er aus der in eine Partei umgewandelten URNG aus: Sandoval hatte zu jenem Minderheitenflügel gehört, der auf die Stärkung der sozialen Bewegungen setzte, um auf diese Weise den Druck zur Durchsetzung der ausgehandelten Abkommen zu erhöhen. Diese Position hatte sich gegenüber der Parteimehrheit nicht durchsetzen können, die vor allem auf einen "sozialen Frieden" setzte. Über die gegenwärtige Situation in Guatemala und die Perspektiven linker Gegenstrategien, ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, sprach er mit Dario Azzellini Mitte Dezember in Guatemala Stadt.

ak: Wie lässt sich die Politik der rechten FRG-Regierung beschreiben?

Miguel Sandoval: Die Regierung wurde während der vergangenen zwei Jahre nahezu täglich durch Korruptionsskandale erschüttert. Grund: Der Präsident und die Regierung umgeben sich gerne mit Personen, die zum organisierten Verbrechen gehören. Das hat sogar dazu geführt, dass die US-Regierung etwa 30 guatemaltekischen Regierungsvertretern das US-Visum entzogen hat. Alle Kontrollinstanzen des Staates hat die FRG mit eigenen Leuten besetzt. Nicht umsonst sprechen viele von einer Parteidiktatur. Das Ergebnis ist die vollständige Aufkündigung aller in den Friedensvereinbarungen beschlossenen Maßnahmen, von einigen kleinen Programmen abgesehen, die die internationale Gemeinschaft beruhigen sollen. Das führt zu der paradoxen Situation, dass fast sieben Jahre nach Ende des bewaffneten Konfliktes in Guatemala immer noch nicht die Rede von einem Friedensprozess sein kann.

Wie sind die Beziehungen der Armee zur regierenden FRG und zu Präsident Alfonso Portillo Cabrera?

Die Armee ist eng mit der FRG verknüpft. So sehr, dass der Sohn von Ríos Montt nun zum Verteidigungsminister ernannt werden soll. Dass er allerdings nicht über die entsprechenden Erfahrungen verfügt, hat ernsthafte Konflikte innerhalb der Armee verursacht. Dies wird zwar nicht nach außen getragen. Man kann es aber daran ablesen, wie Posten wechseln und rotieren. Die internen Konflikte in der Armee werden durch die enge Anbindung eines großen Teils der hohen Dienstgrade an die Regierungspartei verschärft.

Und die Armee bekommt heute mehr Geld, als noch während des Krieges ...

Das ist eine der beunruhigendsten Entwicklungen. Die Armee sollte nach Ende des Krieges um ein Drittel reduziert werden, ebenso wie ihre Finanzen. Doch aufgrund von Sonderzuweisungen des Präsidenten verfügt sie über einen ähnlich großen Haushalt wie während des Krieges. Es besteht außerdem der Verdacht, dass diese Finanztransfers Aktionen zur Geldwäsche sind.

Kommen wir auf das Friedensabkommen zu sprechen. Wie sieht es aus bezüglich der Landfrage?

Die Friedensvereinbaryen wurden in formaler Hinsicht erfüllt, d.h. es wurden die entsprechenden Kommissionen gebildet und einige Gesetze verabschiedet. Bloß werden die nicht befolgt. Über sechs Jahre nach Unterzeichnung bleiben die Vereinbarungen bezüglich der Landfrage unerfüllt, wie z.B. überhaupt versäumt wurde, das Landeigentum zu überprüfen und zu vermessen. Der Agrarfonds, der eigentlich dazu dienen sollte, Ländereien für arme Campesinos zu kaufen, ist ein Hort der Korruption. Es wurden Ländereien zu völlig überhöhten Preisen gekauft, und die Vermittler haben dafür noch Bestechungsgelder kassiert. Außerdem besagten die Abkommen, dass in den Agrarfonds auch staatliche Ländereien, ungenutztes Land, brachliegendes Nutzland, Sonderzahlungen der Banken, Ländereien, die sich Militärs vor allem im Norden im Krieg angeeignet haben sowie illegal von Großgrundbesitzern bewirtschaftetes Land eingehen sollte. Aber das ist nicht geschehen.
Das hat dazu geführt, dass die Unzufriedenheit auf dem Land stetig wächst, wie die Landbesetzungen und Proteste der Campesinos zeigen. Es ist nicht mehr möglich, die Leute mit schönen Worten zu überzeugen, wenn die Ergebnisse ausbleiben.
Von den derzeit etwa 60 besetzten Fincas sind 80 Prozent Staatseigentum, die schon vor vielen Jahren hätten verteilt werden müssen. Die Besetzung dieser Fincas ist also faktisch nur die Erfüllung der Friedensabkommen auf direktem Wege.

Zusätzlich reorganisieren sich die Paramilitärischen Gruppen der PAC. Es hat in den vergangenen zwei Jahren verstärkt selektive Morde gegeben gegen Campesino/a- und Menschenrechtsaktivisten, vor allem auf dem Land. Die Situation hat sich in dieser Hinsicht also noch verschlimmert ...
Auf dem Land gibt es eine Reaktivierung der Paramilitärs, der sogenannten "Patrullas de Autodefensa Civil" (PAC). Das steht im allgemeinen Kontext der Remilitarisierung. Doch auch wenn die PAC die Unterstützung von Ex-Militärs haben und auf Verbündete unter hochrangigen aktiven Militärs zählen kann, hat dies nicht ausgereicht, um die bäuerlichen Forderungen auszubremsen. Am gefährlichsten scheint mir die Möglichkeit einer Nutzung der PAC-Strukturen seitens der aktuellen Regierung für den diesjährigen Wahlkampf zu sein. Das Versprechen einer finanziellen Vergütung könnte der FRG zahlreiche Stimmen bringen.

Die Campesinobewegung scheint - neben der Indígena-Bewegung - die einzig bedeutende und mobilisierungsfähige soziale Kraft in Guatemala zu sein ...

Die Landfrage hat sich in letzter Zeit aus zwei Gründen zugespitzt: einerseits die Nicht-Erfüllung der Friedensabkommen. Und andererseits kam es während der vergangenen zwei Jahre zu einer massiven Krise im Kaffeesektor, die 350.000 Leute ihre Arbeit gekostet hat. Viele Fincas sind verlassen worden. Damit verlieren viele der Campesinos nicht nur ihre Arbeit, sondern auch das Land, auf dem sie Subsistenzwirtschaft betreiben. So sind auf der anderen Seite mehr als 60 Fincas besetzt worden. Das zeigt deutlich, wie zugespitzt die Situation ist. Die Campesinodemonstrationen - vor einigen Wochen kamen erst wieder Zehntausende in die Hauptstadt - zeigen das Niveau der Verzweiflung.

Was wurde im Friedensabkommen bezüglich der indigenen Rechte beschlossen - und was davon umgesetzt?

Guatemala ist international als Wiege der Maya-Kultur bekannt. Etwa 60-70 Prozent der Bevölkerung sind Mayas. Daher sind die Friedensabkommen über "Identität und indigene Rechte" von grundlegender Bedeutung. Dennoch wurde seit der Unterzeichnung faktisch nichts davon umgesetzt, außer der Gründung paritätischer Kommissionen zur Diskussion verschiedener Themen der Abkommen im ersten Jahr: Spiritualität, Land, indigenes Recht, Partizipation auf allen Ebenen, Rechte der indíigenen Frauen und einige mehr. Alle diese Kommissionen haben Vorschläge erarbeitet, aber nicht ein einziger wurde umgesetzt. Das hängt mit der historischen Marginalisierung und dem grundlegend rassistischen Charakter der Institutionen und Herrschaftseliten des Landes zusammen. Die indigene Bewegung ihrerseits hat sich schrittweise entwickelt: von indigenen Priestern und Vereinigungen über die Pflege und Verbreitung der indigenen Sprachen, Zusammenschlüsse verschiedenster Art bis zu politischen Organisationen. Es ist eine sehr vielfältige Bewegung. Die indigene Bewegung ist eine vergleichsweise neue Akteurin, die sich gleichzeitig mit der Campesinobewegung überschneidet. Diese beiden Bewegungen werden in den nächsten Jahren mit ihren Kämpfen oben auf der Tagesordnung stehen.
Die Nichterfüllung der Friedensabkommen bezüglich der indigenen Rechte bringt Guatemala in eine prekäre Lage, denn die Indígenas von heute sind nicht mehr die von früher: Sie sind sich ihrer Rechte bewusst, sie mobilisieren und organisieren sich. Und die Frage nach den indigenen Rechten ist nicht nur in Guatemala, sondern auch in Mexiko, Bolivien und Ecuador von zentraler Bedeutung. Die indigenen Gemeinschaften können nicht mehr als etwas Übriggebliebenes, Aussterbendes konstruiert werden, ohne eigene Identität oder spezifische Rechte, für die sie selbst kämpfen. Das ist das Bedeutende.

Dennoch hat bei vergangenen Wahlen die extreme Rechte zugelegt, während die Linke nicht die erhofften Resultate erzielen konnte, und die URNG lag bei etwa 10 Prozent. Wie kann es sein, dass die extreme Rechte, die FRG um Ríos Montt, nach den Erfahrungen der vorherigen Jahrzehnte, weiterhin Stimmengewinne in ländlichen Regionen verzeichnet?

Das ist wirklich schwer zu begreifen. Die guatemaltekische Gesellschaft ist zutiefst konservativ, auch wenn es schwer fällt das anzuerkennen und zu akzeptieren. Und die ärmliche demokratische Tradition Guatemalas führt dazu, dass klientelistisch auf "Caudillos" (lokale Führer) ausgerichtete politische Organisationen nach wie vor viel Gewicht haben. Hinzu kommt die spärliche Verankerung der Linken als Partei. Zwar sind alle sozialen Bewegungen im Land von Linken initiiert und getragen, aber eben nicht von Parteilinken. Während die Verankerung der Parteilinken sehr schwach ist, ist die der sozialen Linken sehr stark. Es existiert eine Spaltung zwischen beiden, und das ist ja auch ein Thema, was seit einigen Jahren auf dem ganzen Kontinent diskutiert wird. Erst, wenn es gelingt, diesen Dualismus zu überwinden, werden wir einen bedeutenden Erfolg bei den Wahlergebnissen sehen können. So lange dies nicht der Fall ist, bleibt die Handlungsfähigkeit der Parteilinken marginal.

Viele der wesentlichen AktivistInnen sozialer Bewegungen sind Mitglieder oder ehemalige "Kader" der URNG. Warum schafft es die URNG nicht, das politisch zu nutzen? Wie wird das innerhalb der Partei diskutiert?

Es gibt keine wirkliche Debatte innerhalb der URNG, und das ist genau das Hauptproblem. Der Ursprung dafür liegt meiner Ansicht nach in einer Fehldeutung der eigenen Rolle nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen. Das Grundproblem ist, dass die Ex-Guerilla-Linke nicht in der Lage gewesen ist, sich von vertikalen, in vielen Fällen autoritären, politisch-militärischen Organisationen in breite, demokratische politische Organisationen umzuwandeln. Darüber wurde zwar wenig diskutiert, aber es spielt eine große Rolle.
Die URNG hat nach Unterzeichnung des Friedensabkommens eine falsche Entscheidung getroffen. Denn auch wenn sie Partnerin der Regierungspartei beim Friedensprozess und Unterzeichnung der Friedensabkommen war, hätte sie danach eine andere Dynamik auslösen und die Erfüllung der Friedensabkommen einfordern müssen. Sie hätten soziale Kräfte mobilisieren müssen, um Druck auszuüben - und das ist nicht geschehen. Das ging so weit, dass in einigen Sektoren im ersten Halbjahr 1997, also nach Unterzeichnung der Abkommen, der Eindruck entstand, die URNG habe mit der amtierenden Regierung einen Pakt abgeschlossen, der ihr die Hände gebunden hatte. Die Folge war, dass die amtierende Regierung einer neoliberalen Umgestaltung den Vorzug gab, anstatt sich zuerst an die Umsetzung der Abkommen zu machen. Die URNG hat darauf nicht energisch reagiert, sondern alles zugelassen und so ihr Profil als Oppositionspartei verloren. Heutzutage ist die URNG - neben der Tatsache, dass es sich um die historische Linke handelt, die das Friedensabkommen unterschrieben hat - nicht als Oppositionspartei in der Gesellschaft wahrzunehmen.

Im November sind Wahlen. Welche Perspektiven hat die URNG auch angesichts der dauernden internen Flügelkämpfe - wird es im schlimmsten Fall vier verschiedene Ex-URNG-Parteien geben?

Viele Leute hegen die Hoffnung einer Wiedervereinigung der parteipolitischen Linken, einer größeren Flexibilität, um Brücken zu anderen Sektoren zu bauen, aber das wird nicht passieren. Wenn es einen Einheitsprozess gäbe und Verbindungen zu den sozialen Bewegungen aufgebaut würden, könnte dies der Linken eine Perspektive geben. Sie würde die Wahlen nicht gewinnen können, aber doch wichtige Stimmenanteile bekommen. Dafür sehe ich allerdings wenig Chancen. Ich denke, wir werden eine gespaltene Linke bei den Wahlen sehen, die mit ihren kleinen Streitigkeiten beschäftigt sein wird - zur Freude und zum Vorteil der Rechten. Damit wird die Linke fünf bis sechs Prozent der Stimmen bekommen, mehr nicht. Die guatemaltekischen Parteilinken glauben, die Gralshüter des linken Denkens zu sein und verstehen nicht, dass die Linke ein politisches, soziales und kulturelles Phänomen ist. Alles, was nicht parteipolitisch ist, wird nicht gesehen, nicht anerkannt und ausgeschlossen, während das Parteipolitische real ohne den Rest kein großes Gewicht hat. Die Linke als soziale Erscheinung im breiteren Sinne wird in Guatemala als exklusives Parteieigentum gesehen. Ich nenne das "die kleinen Kirchen der Linken", die keine gesellschaftliche Projektfähigkeit haben und daher auch keine Entwicklung durchmachen. Nehmen wir als Beispiel das Treffen der lateinamerikanischen Linken, das Foro de Sa Paolo, das hier in Guatemala im Dezember 2002 statt fand. Eine Versammlung diesen Kalibers hat auch hier großes Interesse geweckt. Zugleich war die Unfähigkeit der organisierten Linken, dem ganzen eine gewisse Ausstrahlung zu verleihen und es zu nutzen, wirklich bemerkenswert. Abgesehen davon, dass die Presse ohne Zweifel konservativ ist und die Linke nicht mag, gibt es eine erhebliche Eigenverantwortlichkeit dafür, dass das Ereignis nicht das entsprechende Echo gehabt hat. Ich habe schon an verschiedenen Foren teilgenommen und in keinem war die Ausstrahlung so gering wie hier in Guatemala. In allen Ländern des Kontinents wird sich auf das Treffen in Antigua bezogen, nur in Guatemala nicht.

Und das, obwohl das Foro de Sa Paolo im Vergleich zu den 90er Jahren heute deutlicher linke Positionen bezieht, weniger sozialdemokratische und dafür mehr Beteiligung von linken Bewegungen zeigte ...

Ja, Anfang der 90er war der Fall der Berliner Mauer noch sehr frisch, der Neoliberalismus befand sich im Vormarsch und die Linke vermeintlich in der Defensive. Heute ist die Niederlage des Neoliberalismus deutlich zu sehen, und folglich werden wieder viel mehr Erwartungen an linke Optionen gestellt. Dennoch gibt es Länder, wie eben Guatemala, wo es nicht gelungen ist, diese Entwicklung zu sehen, d.h. zu begreifen, dass der Neoliberalismus keine Option mehr darstellt und dass die Ansätze der Linken - befreit von einem Haufen alter Dogmen - eine Option für die Zukunft sind. Wir befinden uns heute in einer Situation, in der die Linke weltweit Räume erobert. Eine Linke, die weniger mit den alten Schemata verknüpft ist, es wird offensichtlich nicht mehr der Sozialismus mit der gleichen Vehemenz wie früher vertreten, aber eben eine Transformation, mehr Gleichheit, die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, also die Wurzeln der sozialistischen Idee. So ist die Linke nicht nur nicht verschwunden, sondern die einzige Option, die wir haben. Nicht nur in Lateinamerika. Das Pendel schlägt heute wieder in die Gegenrichtung. Auch wenn das in Guatemala noch nicht sichtbar ist, aber hier kommt immer alles zehn Jahre später.

Wie ist die Situation in den 13 Gemeinden, die von der URNG kontrolliert werden? Ist dort eine andere Politik spürbar?

Die URNG hat dort die Bürgermeisterwahlen gewonnen, mehr nicht. Sie hatte bestimmt ein Interesse, dort ein alternatives Modell zu schaffen, doch das ist nicht geschehen. Die ständige Klage der Bürgermeister betrifft die mangelnde Unterstützung seitens der Parteistrukturen. Daher wird der Sieg bei den nächsten Wahlen dort nicht mehr so leicht wie beim ersten Mal sein. In Guatemala gibt es kein Merkmal, das die Kommunalpolitik der Linken charakterisiert, wo sie die Bürgermeisterämter besetzt.

Gegen Ríos Montt, grausamer Ex-Diktator Guatemalas und zentrale Figur in der regierenden FRG, läuft seit geraumer Zeit ein Verfahren wegen Völkermord. Kürzlich wurde sogar ein Zeuge ermordet. Wie ist der aktuelle Stand?

Das Verfahren gegen Ríos Montt wegen Völkermord befindet sich noch in der Phase der Ermittlung, aber die Darlegung der Beweise wurde schon eröffnet. Das Verfahren kommt jedoch nicht voran, weil keine Regierungsinstitution existiert, die bereit wäre, mit der Kloake der Straflosigkeit aufzuräumen. Dennoch verlässt Ríos Montt das Land nicht, weil er weiß, dass es ihm genau so ergehen kann wie Pinochet, denn es liegen in verschiedenen Ländern Anzeigen gegen ihn vor.

Und welche Verfahren sind gegen den amtierenden Präsidenten Portillo Cabrera angestrengt worden?

Im wesentlichen Korruptionsverfahren, aber das geht auch nicht voran.

Werden Portillo, Montt und andere, die wie Montt schwerwiegender Verbrechen angeklagt sind, letztlich ungestraft davon kommen?

Ich denke, in Zukunft werden erfolgreiche Verfahren möglich sein. Angesichts der Verantwortlichkeit von Ríos Montt bezüglich des Völkermords an zehntausenden von Indígenas und angesichts der Beweise, glaube ich nicht, dass er mit Freispruch aus einem Prozess hervorgehen kann. Zumindest nicht in einem Land, in dem die Justiz funktioniert.

Funktioniert sie denn in Guatemala?

Nein, deshalb kann ich mir vorstellen, dass diese Prozesse über lange Zeit blockiert bleiben.

In Guatemala ist eine gravierende Zunahme von Fällen "sozialer Säuberungen", also Morden an Straßenkindern, Sexarbeiterinnen usw., zu verzeichnen. Was steckt dahinter?

In Guatemala gibt es augenblicklich etwa sechs Morde täglich, mehr als während des Krieges. Und die Zahlen steigen ständig, sie haben sich in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die "sozialen Säuberungen" sind in Guatemala zu einer Strategie geworden, um die Kriminalität zu bekämpfen, was seinerseits hochgradig kriminell ist und ohnehin nicht funktioniert. Es gibt schwerwiegende Anklagen gegen die Nationalpolizei, Verantwortliche dieser Morde zu sein. Ebenso existieren Anschuldigungen gegen Banden des organisierten Verbrechens, die ungestraft in Guatemala agieren. Diese Situation ist in gewisser Weise paradigmatisch für die Gesamtsituation im Land: Wir leben inmitten völliger Unsicherheit und Straflosigkeit seitens des Staates.

Vielen Dank für das Gespräch.