Prozess gegen Attentäter auf Staatsanwalt Anderson beginnt

Venezuela: Bombenleger vor Gericht

Am Dienstag, den 20. September beginnt in Caracas der Prozess gegen drei Venezolaner, die beschuldigt werden im vergangenen Jahr den Staatsanwalt Danilo Anderson mittels eines Sprengstoffanschlags ermordet zu haben. Am Abend des 18.11.2004 um 21:47 Uhr zerriss eine Bombe in Caracas das Auto des Staatsanwaltes. Die Sprengladung war so stark, dass es Stunden dauerte, bevor seine Leiche identifiziert werden konnte. An einem politischen Hintergrund des Anschlags bestand vom ersten Moment an kein Zweifel. Der 38jährige Anderson war Staatsanwalt für Umweltkriminalität und mit der Befugnis ausgestattet, auch in anderen Fragen auf nationaler Ebene, Anklage zu erheben.

Anderson war in der Bevölkerung sehr beliebt. Er wuchs im Armenstadtteil La Vega auf, war politischer Aktivist an der Universität gewesen und schloss 1995 sein Jurastudium ab. Im Jahr 2000 begann er in der Staatsanwaltschaft zu arbeiten und stieg schnell auf. In der weitgehend von der rechten Opposition dominierten Justiz, war der junge Staatsanwalt eine der wenigen mutigen Personen, die gegen die in den Putsch verwickelten Mächtigen aus Wirtschaft und Politik ermittelten. Er eröffnete ein Verfahren gegen die oppositionell geleitete Polizei der Hauptstadt, die beim Putsch am 11. April 2002 das Feuer auf die Bevölkerung eröffnete und mehrere Personen tötete. Auf seine Initiative hin wurde auch das Verfahren gegen Capriles Radonksy, Bürgermeister von Baruta, eines wohlhabenden Distrikts von Caracas, eröffnet, der während des Putsches den Sturm auf die kubanische Botschaft anführte. Wenige Wochen vor dem Anschlag hatte Anderson begonnen die 395 Unterzeichner des Selbstermächtigungsdekrets des Putschpräsidenten und damaligen Vorsitzenden des Unternehmerverbandes Pedro Carmona Estanga zu Verhören vorzuladen.

Wegen des Bombenanschlags stehen nun Juan Bautista Guevara, Ex-Kommissars der Gerichtspolizei PTJ, Otoniel Guevara, ehemaliger Polizeikommissar der Mordkommission der Gerichtspolizei PTJ und der Kriminalpolizei CIPC sowie Rolando Guevara, Ex-Kommissar der Geheimpolizei Disip. Zwei weitere mutmaßliche Täter kamen hingegen um, als sie bei ihrer Verhaftung das Feuer auf die Polizei eröffneten. Dabei wurden diverse Polizisten verletzt und getötet.

Juan Bautista Guevara war als erster Beteiligter identifiziert worden. Er parkte am Abend des Anschlags sein Auto in der Nähe des Fahrzeugs des Staatsanwaltes. Ein weiterer Begleiter wurde von verschiedenen Zeugen als Johan Peña identifiziert. Er soll die Bombe unter Danilo Andersons Wagen angebracht haben. Doch er setzte sich Anfang Dezember mit einem weiteren Verdächtigen, Pedro Lander, ebenfalls Ex-Geheimdienstmitarbeiter, in die USA ab. Nur wenige Tage, nachdem sie der Tatbeteiligung angeklagt wurden, am 4.12.2004, tauchten sie in Miami auf beantragten Asyl. Über den Antrag wurde noch nicht entschieden. Er sei ein politisch Verfolgter, so der Freund kubanischer Exilantengruppen, in dessen Wohnung in Caracas bei einer Durchsuchung C-4-Sprengstoff, Dynamit, Armeeuniformen, 300 Tränengasgranaten und Schusswaffen, darunter zwei Sturmgewehre, gefunden wurden.

Von Juan Bautista Guevara führte die Spur zu seinen Cousins Otoniel Guevara und Rolando Guevara. Sie wurden bereits am 25.11. südlich der Stadt Valencia im Bundesstaat Carabobo von einer Spezialeinheit der Nationalgarde verhaftet. Anwohner hatten die Behörden auf den Aufenthaltsort der beiden hingewiesen. Gegen die Guevarabrüder wird auch wegen zweier Bomben ermittelt, die Ende Februar 2003 vor der spanischen und kolumbianischen Botschaft in Caracas detonierten. Bei einer Durchsuchung verschiedener Immobilien der Brüder wurden Kriminalpolizei und Disip fündig. In „Galerías Magnum”, ein Schießplatz in Caracas, Eigentum von Otoniel Guevara, wurden Computer und Unterlagen beschlagnahmt. Guevara hatte den Schießplatz mit Geld erworben, das ihm der aus Peru geflüchtete Vladimir Montesinos bezahlt hatte, dafür dass die Guevara-Brüder ihm im Jahr 2000 bei der Flucht nach Venezuela und dem Aufenthalt dort geholfen hatte. Montesinos, rechte Hand Fujimoris und Mastermind der Geheimoperationen und kriminellen Aktivitäten des Regimes von Alberto Fujimori, wurde schließlich im Jahr 2001 in Venezuela verhaftet und nach Peru abgeschoben. In den Fall Montesinos war auch José Agustín Guevara, ebenfalls Cousin der Guevarabrüder, verwickelt. Er befindet sich seit 2001 in Miami, Florida, USA, wo er vom FBI verhaftet wurde, als er versuchte Geld von einem der Konten Montesinos abzuheben. Kurz danach wurde er wieder freigelassen und untersteht seitdem nach eigenen Angaben dem Zeugenschutzprogramm des FBI. In Miami und in Anwesenheit von José Agustín Guevara sei im September auch der Anschlag auf Anderson geplant worden. Dies sei laut Staatsanwaltschaft anhand von Telefongesprächen rekonstruiert worden.

Im Laufe der Ermittlungen wurde auch das Sicherheitsunternehmen Python 357 (benannt nach einem Polizeicolt), das Rolando Guevara und dem Ex-Mitarbeiter der Gerichtspolizei Juan Carlos Sánchez gehört, durchsucht. Dort fanden die Ermittler einen Stadtplan, auf dem die Fahrtroute von Danilo Anderson eingezeichnet war, Schutzkleidung, Sportwaffen, verschiedene Ausweise, ein FN 30 Gewehr, eine Weste der Disip und eine einer US-amerikanischen Ausbildungsstätte für Sprengstoffspezialisten.

Laut Angaben des Innenministers Jesse Chacón sei die Personengruppe, die für den Anschlag auf Danilo Anderson verantwortlich zeichne, auch in Waffen- und Drogenhandel sowie Erpressungsfälle verwickelt. In ihre Verantwortung falle auch die Erschießung eines Mannes, nachdem diesem ein Bombenhalsband umgelegt wurde, in der Stadt Los Teques vor etwa einem Jahr. In diesem wie im Mordfall Anderson sei der Hauptverdächtige Johan Peña, der darüber hinaus auch in den Mord an mehreren Militärs und ihren Freundinnen im Umfeld der von oppositionellen Militärs besetzten Plaza Altamira in Caracas am 6. Dezember 2003 und den Fall Montesinos verwickelt. Die Gruppe stammt aus den Reihen derer, die für den etwa ein Jahr lang besetzten Platz den bewaffneten Sicherheitsdienst stellten.

Sein Exil in Miami teilt Johan Peña nicht nur mit José Guevara Chacón. Die Stadt in Florida, die ohnehin schon traditionell der Zweitwohnsitz sehr vieler Oberschichtsvenezolaner war, hat in den vergangenen Jahren Tausende Venezuelaner aufgenommen. Darunter auch Carlos Fernández, Ex-Vorsitzender des Unternehmerverbandes Fedecámaras und Putschist, Anwalt Daniel Romero, der beim Putsch das Dekret verlas mit dem alle demokratischen Institutionen aufgelöst wurden, oder die beiden Ex-Angehörigen der Nationalgarde, José Antonio Colina und Germán Rodolfo Varela, die verdächtigt werden am 25.2.2003 Bombenanschläge auf die spanische Botschaft und das kolumbianische Konsulat in Caracas verübt zu haben und weitere Personen, die in die Bombenanschläge verwickelt sein sollen. Asyl haben sie bisher nicht bekommen, doch werden sie von den US-Behörden auch nicht weiter belästigt. Bis auf Colina und Varela, deren Auslieferung Venezuela beantragt hat und die sich in Haft befinden. Ihre Auslieferung wurde zwar von einem Richter vorerst gestoppt, doch ihr Asylantrag ebenfalls abgelehnt.

Die Anklage soll auch über einen Topzeugen verfügen: Ein Sprengstoffspezialist der Geheimpolizei Disip sei bereit darüber zu berichten, wie er von den Guevaras kontaktiert wurde, um die Operation durchzuführen. Auch die Identität der intellektuellen Urheber des Anschlags soll im Laufe des Prozesses von der Staatsanwaltschaft bekannt gegeben werden.

Den während der Ermittlungen immer wieder aufgetauchten Meldungen über die Verwicklung diverser Mitarbeiter Andersons in Erpressung und Korruption haben sich allesamt als falsch erwiesen. Wiederholt wurde von Kreisen berichtet, die von Unterzeichnern der Putschregierungserklärung Geld gefordert haben sollen, um auf eine Einstellung der Ermittlungen hin zu arbeiten. Womöglich sollten die Gerüchte die Ermittlungen umlenken, in deren Verlauf sich heraus stellte, so Isaías Rodríguez Ende Juni 2005, dass der Mord an Danilo Anderson „nur die Spitze eines Eisbergs war, einer Serie von Terroranschlägen , mit dem Ziel das Land zu destabilisieren“. Das Hauptziel der Anschlagsserie sollte Hugo Chávez sein. Darüber hinaus sollten diverse weitere Regierungsfunktionäre ermordet werden, wie der Vizepräsident José Vicente Rangel, der Verteidigungsminsiter und der Isaías Rodríguez selbst. Die Vorbereitungen für die Anschlagsserie liefen bereits seit September 2003, Danilo Anderson wurde schließlich als erster ausgewählt, da gemäß der Einschätzung der Attentäter sein Sicherheitskordon am verletzlichsten sein.

Laut Rodríguez sei nicht klar, ob die Struktur hinter den Anschlägen „geköpft“ worden sei. Das Netz bestehe aus Venezolanern mit vor allem finanzieller Unterstützung einzelner Individuen aus dem Ausland und verfüge über Finanzmittel in Höhe von mindestens 20 Millionen US-Dollar. Für den Mord an Anderson wurden wohl 1,2 Millionen US-Dollar gezahlt, die Hälfte davon befinde sich in Besitz von José Guevara Chacón in Miami, Florida.


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