Venezuela im Umbruch: Mediengesetz gewährt den Basisradios Senderechte und staatliche Unterstützung. Notizen von der jW-Leserreise

Programme aus dem Kiez

"Radio Libre Negro Primero" sendet aus einem Armenstadtteil von Caracas. Täglich zwölf Stunden kann der Sender im halben Stadtgebiet empfangen werden, am Wochenende sendet er sogar rund um die Uhr. In den Programmen geht es um die Probleme in den jeweiligen Stadtteilen, es werden Informationen zu Politik und zu sozialen Programmen gegeben. 14 Vollzeitaktivisten tragen den Sender - für umgerechnet 75 Euro im Monat. Das reicht gerade einmal, um die Fahrtkosten zu decken. Trotz der knappen Mittel beteiligen sich über 100 weitere Unterstützer an der Gestaltung des Programms.

Das Radio Libre Negro Primero entstand im Jahr 2000 und ist Teil von -ANMCLA, der landesweiten Organisation der Alternativ- und Basismedien. Diese hatte im Jahr 2000 gemeinsam mit der Regierung das neue Radiogesetz ausgearbeitet. Seitdem entstanden zahlreiche neue Basissender, rund 450 sind es heute in ganz Venezuela.

"Wir sind kein Regierungssender", stellt Carlos Lugo, Direktor von Radio Libre Negro Primero, gleich zur Beginn des Gespräches klar. Die Mitarbeiter glaubten an eine gesellschaftliche Transformation auf der Grundlage der neuen Verfassung, "aber wir arbeiten für die Gemeinde, für die Basis". Die Basis ist das Armenviertel Pinto Salinas. 15stöckige Häuserblöcke mit je 150 Familien ragen hier in die Höhe, dazwischen stehen unverputzte Ziegelsteinhäuschen mit Wellblechdächern.

Im gesamten Land wurden nach der Verabschiedung des Gesetzes 150 Radios legalisiert und erhalten staatliche Unterstützung. Diese Hilfe fällt zwar nicht besonders üppig aus, bietet aber eine gewisse Arbeitsgrundlage. "Früher sendeten viele Stationen illegal und mußten von der Basis finanziert werden", erklärt Lugo. Da die Nachbarschaft aber arm ist, seien viele Radios in ihrer Existenz bedroht gewesen. "Allerdings", fährt Lugo fort, "warten auch heute noch über 300 Radios auf eine Lizenz". Das hänge damit zusammen, daß die staatliche Regulierungsbehörde CONATEL korrupt sei. "Die großen kommerziellen Sender bezahlen dafür, daß die Gemeinderadios keine Genehmigung bekommen", so Lugo.

90 Prozent der Frequenzen in Venezuela werden nach wie vor von kommerziellen Sendern belegt, nahezu alle gehören großen Medienkonzernen. Oft überlagern sie die Frequenzen der Gemeindesender, ohne das CONATEL etwas dagegen unternimmt. Die kommerziellen Sender fürchten die Gemeinderadios wegen deren sozialen und politischen Arbeit. Die Reichweite der Radios ist zwar nicht groß, aber viele Menschen hören die Programme. "Wir haben vor kurzem eine einstündige Sendung über Probleme älterer Leute gemacht und spontan zu einer Kundgebung am nächsten Tag mobilisiert. Es kamen 500 Leute", berichtet Carlos Lugo. Die landesweite Organisation der Alternativ- und Basismedien will nun den Druck auf die Regulierungsbehörde vergrößern, um die Legalisierung aller Basisradios zu erreichen.

Darüber hinaus hat ANMCLA große Pläne. Es soll eine technologische Plattform geschaffen werden, die alle Basisradios miteinander verbindet und den Austausch von Sendungen sowie deren zeitgleiche Ausstrahlung ermöglicht. Der Antrag auf Finanzierung des Projektes durch den Staat wurde bereits genehmigt, ebenso das Projekt der von den Radios und anderen Alternativmedien gebildeten alternativen Nachrichtenagentur ANA. Das dritte große Vorhaben betrifft den Aufbau eines Schulungszentrum für Aktivisten lokaler und alternativer Medien. Dafür wurde ANMCLA zwar bereits ein Gebäude zugesprochen, doch die Finanzierung der konkreten Arbeit ist noch ungewiß. Carlos Lugo ist allerdings zuversichtlich: "Die Zukunft gehört der Basis ", sagt er, "und wir sind ihr Medium."


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