In Ecuador wachsen die Proteste gegen Preissteigerungen und Dollarisierung an

Notstand für Noboa

Nur ein Jahr nach dem Aufstand, der in der Entmachtung des Präsidenten Jamil Mahuad am 21. Januar 2000 gipfelte, rebellieren Ecuadors Indígenas erneut gegen die Regierung. Am vergangenen Freitag verkündete Präsident Gustavo Noboa den landesweiten Notstand, um die Proteste zu beenden. Die Widerstandsaktionen in verschiedenen Landesteilen und vor allem in der Hauptstadt Quito werden von der Indianerorganisation Conaie angeführt, die als die stärkste Organisation des Landes gilt, in dem etwa 40 Prozent der 12,5 Millionen Einwohner Indianer sind. Zu ihrer Basis gehören über drei Millionen Indígenas.

Conaie fordert direkte Gespräche mit dem Präsidenten, die Rücknahme der jüngsten drastischen Preissteigerungen bei Treibstoff, Haushaltsgas und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die Rücknahme der Dollarisierung der einheimischen Wirtschaft. Das jedoch lehnt die Regierung strikt ab. Präsidentschaftssprecher Alfredo Negrete bezichtigte die Indígenas der Unnachgiebigkeit: "Die Ordnung muss wieder hergestellt werden. Ecuador ist ein demokratischer Staat und kein Inkareich." Die Maßnahmen seien notwendig für die Finanzstabilität des Landes, erklärte die Regierung und verabschiedete sogleich ein neues Sparprogramm für den öffentlichen Dienst.

Eine schwerwiegende Wirtschaftskrise hat Ecuador in den vergangenen zwei Jahren bereits mehrmals an den Rand des Kollapses gebracht, während die mit internationalen Finanzbehörden ausgehandelten Sparpläne zu einer immer rasanteren Verelendung der Bevölkerung führen: Mehr als 50 Prozent leben in Armut, über 15 Prozent sogar in extremer Armut.

Seit Beginn der Erhebung am 29. Januar haben Indígenas in verschiedenen Landesteilen wichtige Verbindungsstraßen blockiert, der Personen- und Warenverkehr wurde behindert. Unternehmerverbände sprechen von täglichen Verlusten von über 20 Millionen Dollar. Seit vergangenem Donnerstag werden vermehrt Lebensmitteltransporte von Militärs eskortiert.

Eigentlich waren Gespräche zwischen Regierung und Conaie geplant. Doch nachdem sich Präsident Noboa geweigert hatte, daran teilzunehmen, verkündete der Conaie-Vorsitzende Antonio Vargas ihren Abbruch. Bisher hatte Noboas Regierung ohnehin kaum Verhandlungswillen gezeigt, sondern darauf gehofft, die Protestierenden durch lang anhaltende und unfruchtbare Gespräche zu zermürben. Auf die am Samstag erneut von Conaie deklarierte Gesprächsbereitschaft antwortete die Regierung, sie sei erst zu Verhandlungen bereit, wenn alle Proteste eingestellt würden.

Als Reaktion auf den Abbruch der Gespräche ließ Präsident Noboa am vergangenen Freitag Antonio Vargas und dessen Stellvertreter Ricardo Ulcuango festnehmen und verkündete den Notstand für das ganze Land. Ermöglicht werden damit landesweite Einsätze der Armee, gewisse konstitutioneller Rechte sind aufgehoben: Hausdurchsuchungen können ohne entsprechende Genehmigung durchgeführt werden, die allgemeine Bewegungsfreiheit im Land sowie die Ein- und Ausreisefreiheit sind eingeschränkt und das Recht auf Versammlungs- und Organisationsfreiheit wurde außer Kraft gesetzt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Generalmobilmachung der Bevölkerung zur Unterstützung des Militärs, der Wirtschaft und der staatlichen Institutionen.

Nur einen Tag nach ihrer widerrechtlichen Festnahme befanden sich die beiden Conaie-Vorsitzenden wieder in Freiheit. Sie hatte die Proteste gegen die Regierung Noboas nicht wie erhofft bremsen können. Im Gegenteil, in verschiedenen Regionen des Landes führten Indígenas, Angehörige von Lehrer-, Studierenden- und Schülerorganisationen Demonstrationen durch und errichteten Straßenblockaden. In der Polytechnischen Universität der Salesianer in Quito befinden sich mittlerweile etwa 8 000 Indígenas. Sie sind vollständig von der Polizei eingekreist, die Lebensmittel und Windeln für die über 300 Kleinkinder im Innern abfängt und immer wieder Tränengasbomben auf das Universitätsgelände schießt. Eine Gruppe Frauen hat den Nationalen Rat für Modernisierung, eine vom Bruder des Präsidenten geleitete Regierungsbehörde, besetzt und fordert die Festnahme der zur Überwachung weiterer Austeritätsprogramme in Ecuador anwesenden IWF-Vertreter. Schüler und Studenten liefern sich in der Hauptstadt immer wieder Straßenschlachten mit der Polizei.

In Tungurahua, 100 Kilometer südlich von Quito, haben Indígenas eine Radiostation besetzt, um eigene Informationen verbreiten zu können, da nahezu alle anderen Medien treu zur Regierung stehen. In verschiedenen Gegenden halten Protestierende TV-Sendemasten, Wasserwerke und Ventile von Erdölpipelines besetzt. Bereits am Donnerstag zwangen aufgebrachte Massen den Gouverneur des Bundesstaates Pastaza zum Rücktritt und setzten einen Gegengouverneur ein. Immer neue Sektoren schließen sich den Protesten an. Für den 7. Februar rufen verschiedene soziale Bewegungen und Gewerkschaften zu einem Generalstreik auf. Die Polizei hat jedoch bereits verkündet, den Streik mithilfe der Notstandsgesetze verhindern zu wollen.

Die in der Universität eingeschlossenen Indígenas befürchten, gewaltsam geräumt zu werden. Vargas warnte, dies wäre "ein Fehler, der den Sturz der Regierung verursachen könnte". Er rief - der Entscheidung der Basis folgend - alle regionalen Verbände der Conaie zur Radikalisierung der Proteste auf und lud die Indígenas und Bauern Ecuadors ein, in die Hauptstadt zu kommen. Ihre Absicht sei nicht, den Präsidenten zu stürzen, dieser stürze aber "durch seine eigene Nachlässigkeit".

In der Tat zeigt die Regierung Noboas bereits Auflösungstendenzen. Während der Proteste von vergangener Woche ist mit dem engen Vertrauten des Präsidenten, Staatssekretär Juan José Vivas, bereits der dritte hohe Regierungsangehörige in wenigen Monaten zurückgetreten.
Im Innern der besetzten Universität befindet sich auch Oberst Lucio Gutiérrez, der beim letzten Umsturz am 21. Januar 2000 die rebellierenden Militärs anführte und Mitglied des Triumvirats der Regierung der Nationalen Rettung war. Er forderte die Streitkräfte auf, "keine Räumung der Indígenas zu versuchen".

Vor einem Jahr war es Indígenas gemeinsam mit rebellierenden Militärs gelungen, ohne Blutvergießen das Parlament zu stürmen. Die Aufständischen gründeten die Regierung der Nationalen Rettung. Doch nur einen Tag später übernahm Noboa, der ehemalige Vizepräsident Jamil Mahuads, dank eines Schachzugs der ecuadorianischen Militärführung die Amtsgeschäfte und wurde in einer kurzfristig einberufenen Parlamentssitzung in einer anderen Stadt als neuer Präsident bestätigt. Die Indígenas räumten friedlich das Parlament und erklärten, die Bewegung sei von den Militärs verraten worden. "Wir sind nicht besiegt worden, es ist nur ein Traum zu Ende gegangen", sagte Vargas damals. "Wir kommen wieder, in sechs Monaten oder einem Jahr, wenn die Regierung unsere Forderungen nicht erfüllt."


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