Falsche Zahlen, ausgebliebene Hilfe und das Warten auf die Verschwundenen.

Meister der Vertuschung

In dem kleinen Restaurant für Touristen läuft der Fernseher. Neben den AusländerInnen bleiben auch viele Thais stehen und schauen sich die Berichte der internationalen TV-Kanäle an. «Im Thai-Fernsehen wird nicht viel berichtet und auch stets abgewiegelt», erzählt Lee, Mitte dreissig und Mutter eines achtjährigen Jungen.

Sie massiert am Strand TouristInnen auf die recht schmerzvolle traditionelle Thai-Art. «Und in den Zeitungen steht auch nicht viel, die meisten Medien gehören doch Thaksin oder stehen unter seiner direkten Kontrolle.» Thaksin Shinawatra ist der Premierminister Thailands. Der Multimillionär verfügt über ein riesiges Wirtschaftsimperium. Dem Berlusconi Thailands gehören TV-Anstalten, Zeitungen, Satelliten-Netzwerke, Supermarktketten und vieles mehr im Land des Lächelns. Und da Thailand vom Tourismus lebt und Thaksin letztlich auch, wird verschwiegen, was nicht sein darf. Niemand kennt die genauen Opferzahlen. Während alle anderen Länder die Zahlen schnell sehr hoch ansetzten und auf das wahrscheinlich schreckliche Ausmass des Unglücks verwiesen, das viel mehr Tote erwarten lasse, übte sich die Thairegierung im Herunterreden des Ausmasses des Unglücks.

Im Jahr 2001 hat Shinawatra mit seiner rechtspopulistischen Partei Thai Rak Thai («Thais lieben Thais») die Wahlen gewonnen. Er versprach allen Thais so reich zu werden wie er selbst. Seitdem geht es mit den ohnehin beschränkten demokratischen Rechten und der limitierten Pressefreiheit in der formal konstitutionellen Monarchie mit Mehrparteiensystem und Wahlen weiter bergab. 2004 erhöhte die brutale Repression der Armee im Zuge der Suche nach vermeintlichen Al-Qaida-Ablegern im mehrheitlich muslimischen Süden des Landes die Spannungen.

Dabei ist die Regierung Thaksin eine Meisterin im Vertuschen, nicht nur im Fall der Tsumami-Opfer. So zuletzt auch als die gesamte Region ab Ende 2003 von der Geflügelgrippe betroffen war. Während in Vietnam und Kambodscha Hühnerfarmen geschlossen wurden, der Verkauf von Geflügel vorübergehend eingeschränkt und Informationskampagnen gestartet wurden, war in Thailand alles bestens. «Thaksin musste erst seine Hühnerfarmen verkaufen und seine Investitionen in dem Sektor umschichten », berichtet Lee abgeklärt, «für ihn ist alles nur Geschäft, die Menschen interessieren ihn nicht.»

Die thailändische Regierung versucht auch jetzt, die wahren Ausmasse des Unglücks zu verschweigen. Damit hat sie Hilfsmassnahmen verzögert. Ganze Regionen wurden in Stich gelassen und damit die Anzahl der Opfer in die Höhe getrieben. Das Vorgehen der Regierung muss als kalkuliert angesehen werden, um den internationalen Tourismus nicht zu verschrecken. So verschwieg die Regierung auch die Horrorgeschichte der Fünf-Sterne-Ferienanlage «Magic Lagoon» von Sofitel an der Küste von Khao Lak, unter deren Trümmer an die 2000 Touristen und Thai-Angestellte von der Riesenwelle begraben wurden.

Im Februar finden in Thailand Wahlen statt. Premier Thaksin ist besorgt um seine Wiederwahl. «Keiner weiss, ob er noch mal Premier wird, aber jeder weiss, dass er sich wohl ins Ausland absetzen wird, wenn es nicht klappt. Ohne Protektion von höchster Stelle ist er bei seinen ganzen obskuren Machenschaften nicht mehr sicher in Thailand, » erzählt Lee. Denn während das Bruttoinlandsprodukt des Landes in Thaksins Amtszeit um 16 Prozent fiel, stiegen die Aktien der familieneigenen Holding um satte 70 Prozent.
 
Opfer 3. Klasse

Unklar sind die Opferzahlen auch, weil die Toten unter den etwa 60000 illegalisierten MigrantInnen aus Myanmar (Burma) nicht mitgezählt werden. Diese erhalten gar keine Unterstützung, nicht die 20000 Bath (etwa 400 Euro) Entschädigung für verstorbene Angehörige oder die 2000 Bath Unterstützung bei verlorener Arbeit, die ThailänderInnen zusteht. 1000 sind seit dem Tsunami bereits abgeschoben worden.