390 Berliner Jugendliche schauen in die Röhre

Kein Geld für Öko-Jahr

Melanie ist 17 Jahre alt und arbeitet in einem Kindertreffpunkt. Der Monatslohn von 1 200 DM ist zwar knapp an der Grenze zum Existenzminimum, zumal sie davon noch die Hälfte der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zahlen muß, aber irgendwie reicht es doch immer.

Melanie ist eine von 390 Jugendlichen, die im Rahmen des Berliner Projekts "Jugend mit Zukunft – Senatsprogramm gegen Gewalt" ein "Ökologisches Jahr" in Berlin absolvieren. Das im Juli 1993 gestartete Modellprojekt des Senats wird vom Institut für Sozialforschung und Betriebspädagogik (ISB) getragen. Doch nun soll das Programm zum 30. Juni einfach auslaufen. Der Haushaltsausschuß des Berliner Senats hat lediglich fünf der für das gesamte Jahr 1995 benötigten zehn Millionen DM bewilligt. Die Jugendlichen, meist mit Verträgen über den 30. Juni hinaus oder mit einer Option auf Verlängerung, werden auf das Kleingedruckte in ihrem Vertrag hingewiesen: Eine Vorbehaltsklausel besagt dort, daß der gesamte Vertrag nur Gültigkeit hat, "wenn genügend zusätzliche Mittel fließen".

Die Mittel fließen nicht mehr, und die Jugendlichen werden einfach auf die Straße gesetzt. Dabei versucht der Senat für Frauen und Arbeit die Kündigung der Verträge zum 30. Juni noch als Erfolg hinzustellen, denn schließlich war vielen Jugendlichen vor einigen Tagen erst schriftlich eine Kündigung zum 28. Februar ausgesprochen worden. Die betroffenen Jugendlichen sind aufgebracht über den plötzlichen und vorzeitigen Vertragsabbruch. Sie sehen die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes gefährdet, da es ihnen kaum möglich sein wird, sich innerhalb kürzester Zeit nach einem neuen Arbeitsverhältnis umzusehen.

"Vor nicht einmal zwei Wochen habe ich in der Bürgersprechstunde des regierenden Bürgermeisters Diepgen angerufen und ihn nach der Finanzierung des Ökologischen Jahres gefragt. Er hat mir geantwortet, ich solle mir da mal keine Sorgen machen, das würde schon gut gehen", erzählt Markus, einer der Betroffenen.

Viel hatten die Jugendlichen vom "Ökologischen Jahr" ohnehin nicht erwartet, sie wissen selbst, daß sie unterbezahlt arbeiten und das Zertifikat, welches sie am Schluß erhalten, nicht den Wert einer Ausbildung hat. Dennoch sind fast 400 Jugendliche in Fahrradwerkstätten, Jugendeinrichtungen, Tierpflegediensten, Öko-Läden usw. über das Programm beschäftigt. Ohne einen Ausbildungsplatz oder die Zulassung für eine weiterführende Schule bot ihnen das Ökologische Jahr die Chance, von zu Hause auszuziehen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und in einen Beruf reinzuschauen.

Mittlerweile, so Melanie, fühlen sie sich "nach Strich und Faden betrogen". Sowohl das ISB, wie auch der Senat für Frauen und Arbeit, reden nach Ansicht von Melanie "um den heißen Brei herum" und versuchen die Jugendlichen still zu halten. Doch die Betroffenen glauben den schönen Worten nicht mehr, schließlich hieß es in einem Brief der Abt. IV E4 des Senats für Frauen und Arbeit, datiert auf den . 2. 1995, noch: "Das Ökologische Jahr bleibt fester Bestandteil des Berliner Arbeitsmarktes '95 und '96". "Das zeigt doch, wieviel die Willenserklärungen der Behörden wert sind.", so Melanie, "Wir werden das nicht so einfach hinnehmen und für die Einhaltung der laufenden Verträge und der mündlich zugesagten Vertragsverlängerungen kämpfen!"

Ein erstes Treffen der betroffenen Jugendlichen, bei dem sie über gemeinsame Aktionen reden wollen, soll heute um 17.30 Uhr in der Köpenicker Straße 137 in Berlin-Mitte stattfinden.