Hunderttausende auf Großkundgebung in Caracas. »Mission Florentino« gegen die Abwahl des Präsidenten

Kampagne für Chávez

Nachdem sich die Regierung Venezuelas Ende vergangener Woche grundsätzlich bereit erklärt hat, ein Referendum über den Präsidenten zu akzeptieren, rief Hugo Chávez am Sonntag vor mehreren Hunderttausend Anhängern in Caracas zur politischen Kampagne »Mission Florentino« auf. Bis zum Referendum im August sollen im ganzen Land Gruppen von fünf bis sieben Personen organisiert werden, die »von Haus zu Haus« für die Regierung werben. Chávez prophezeite den »Oppositionsgruppen« eine Niederlage. Ziel der Kampagne sei es, doppelt so viele Stimmen wie die Opposition zu erlangen.

Der Direktor des Nationalen Wahlrates (CNE), Jorge Rodríguez, hatte am vergangenen Donnerstag nachmittag bekanntgegeben, daß gemäß der vorläufigen Auswertung die Opposition Ende Mai etwa 525 000 der mehr als 1 190 000 strittigen Unterschriften bestätigen konnte. Für diese Unterschriften hatte der CNE eine Überprüfung angeordnet. Mit den bereits zuvor gültigen Unterschriften unterzeichneten damit 2 451 821 Personen für ein Referendum zur Amtsenthebung des Präsidenten, wodurch das in der Verfassung festgelegte Quorum von 20 Prozent der Wahlberechtigten um 15 738 Unterschriften überschritten wurde. Das endgültige Ergebnis sollte am Montag (nach jW-Redaktionsschluß) veröffentlicht werden.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und das US-amerikanische Carter-Zentrum beglückwünschten »alle Akteure des Verfahrens«. Der oppositionelle Gouverneur Enrique Mendoza erklärte das Ergebnis zum »Sieg der Einheit«. Diese »Einheit« werde auch über das Referendum entscheiden. Präsident Chávez dagegen wertete das Ergebnis als »Sieg für die Verfassung«. Das Referendum sei schließlich ein Kind jenes Prozesses zur Etablierung eines »neuen demokratischen Modells in Venezuela«.

Die Entscheidungen des CNE und das Ergebnis des Referendums würden akzeptiert werden, so Chávez. Als Termin für die Abstimmung sind derzeit der 8. oder 15. August im Gespräch. Die Opposition fordert eine Durchführung des Referendums vor dem 19. August, da dann – eine Niederlage Chávez’ vorausgesetzt – innerhalb von 30 Tagen Präsidentschaftswahlen einberufen werden müßten. Nach dem Stichtag sieht die Verfassung vor, daß der Vizepräsident die Amtszeit bis Januar 2007 zu Ende führt. In dem Referendum muß die Opposition aber nicht nur eine Mehrheit für Chávez’ Amtsenthebung erzielen, sondern auch mehr Stimmen gegen ihn erreichen als die 3,75 Millionen, die er bei seiner letzten Wahl zum Präsidenten erhielt.

In einigen wohlhabenden Stadtvierteln von Caracas feierten Oppositionsanhänger am Wochenende auf den Straßen. An einer als Großdemonstration angekündigten Veranstaltung am Samstag nahmen allerdings nur etwa 70 000 Menschen teil. In Caracas’ Zentrum und in anderen Städten des Landes hingegen kam es nach Bekanntgabe der Ergebnisse zu Protesten von Anhängern der Regierung. Sie gehen davon aus, daß die Unterschriften nur mit Betrug zusammengekommen sind.

Wohl um die Unzufriedenheit der Chávez-Anhängern nicht noch zu schüren, ließ der CNE verschiedene Unregelmäßigkeiten unerwähnt. So konnte die Polizei während der Überprüfung der Unterschriften am vorletzten Wochenende fast 50 Personen mit Hunderten gefälschten Personalausweisen oder Unterlagen dingfest machen. Allein im bevölkerungsreichsten Distrikt von Caracas wurden 2 376 gefälschte Personalausweise beschlagnahmt. Zudem wurden auf den Listen die Namen von über 300 Verstorbenen identifiziert. In einem Büro der Exregierungspartei »Demokratische Aktion« (AD) in Caracas wurde gar eine Fälscherwerkstatt mit Scannern, Farbdrucker und Laminiermaschine ausgehoben.

Derweil richtet sich der Zorn der bolivarianischen Basis vor allem gegen das politische Führungsgremium »Comando Ayacucho«, das eine Unterschriftensammlung gegen die Oppositionsabgeordneten organisiert hatte. Das »Kommando« besteht aus Vertretern von Parteien und Organisationen, die die Regierung unterstützen. Das Gremium hatte stets wiederholt, genügend Unterschriften für Referenden gegen 30 Oppositionsabgeordnete sammeln zu können und zudem erklärt, daß beim Referendum gegen Chávez 300 000 Unterschriften annulliert werden würden. Tatsächlich wurden dann nur 74 000 Unterschriften für ungültig erklärt, ausreichend Unterschriften kamen lediglich gegen neun Abgeordnete der Opposition zusammen. Chávez gab am Sonntag zwar nicht die Auflösung des »Comando Ayacucho« bekannt, kündigte aber für die Arbeit gegen seine Amtsenthebung die Gründung eines »Comando Maisanta« an, das die Basisorganisationen koordiniere und das er persönlich leiten werde.

* Siehe Interview