Die USA schieben Flüchtlinge ab und haben den neuen alten Präsidenten Haitis offenbar fest im Griff

Enttäuschung über Aristides macht sich breit

Die USA setzen mit Gewalt die Abschiebung haitianischer Flüchtlinge vom US-Marinestützpunkt Guantanamo nach Haiti fort. In den nächsten zehn Tagen soll die Zwangsrückführung der letzten etwa 4500 Haitianer, die seit sechs Monaten in einem Lager interniert sind, beendet werden. Zeitweise wurden dort bis zu 20 500 Flüchtlinge in Zeltunterkünften von US-Militärs festgehalten. In Haiti selbst will Washington die Befehlshoheit über die dort stationierten Truppen im März an die UNO abgeben.

Bereits mehrmals wurden in den letzten Tagen Hunderte von haitianischen Lagerinsassen auf Schiffe verladen und nach Haiti zwangsrepatriiert. Vielen der Flüchtlinge legten die US-Militärs Handfesseln an. Sie hatten eine Rückkehr abgelehnt, da, wie sie berichteten, ihre Häuser niedergebrannt worden waren.

Jedem, der freiwillig zurückkehrt, hatten die USA 80 Dollar angeboten. Alle anderen bekommen umgerechnet 30 DM vom haitianischen Roten Kreuz und werden zwangsrückgeführt. Ein Außenamtssprecher der US-Regierung verkündete, "Flüchtlingen, die in ihrem Heimatland um ihre Sicherheit fürchten", werde eine Anhörung gewährt. In die USA einreisen könne jedoch niemand. Viele bangen noch immer um ihr Leben.

Zwar hatte Aristide bereits im Exil verkündet, es gebe "ohne Gerechtigkeit keine Versöhnung" – eine Forderung, die von allen, die nicht mit dem verhaßten Cedras-Regime unter einer Decke steckten, geteilt wird –, doch die Realität sieht anders aus. Im Kabinett Aristides befinden sich ehemalige Kollaborateure der Militärdiktatur wie etwa Marc Henri Rousseau, der neue Minister für Öffentliche Arbeiten, der bereits in der ersten Putschregierung einen Ministersessel innehatte. Auch in vielen anderen Machtpositionen, nicht nur in der Armee, haben sie sich halten können. "Es gilt, Lynchjustiz zu vermeiden", wird von offizieller Seite verkündet. Tatsächlich hat es aber seit Aristides Rückkehr keine Fälle von Lynchjustiz gegeben, dafür aber fielen etwa 40 Personen Anschlägen und Angriffen ultrarechter Militärs sowie paramilitärischer Gruppen zum Opfer. Die Armee selbst, die drei Jahre lang die grausame Diktatur stützte und Tausende von Menschen ermordete, wurde nicht aufgelöst, sondern nur von 7000 auf 1500 Soldaten reduziert. Für die meisten Haitianer ist das nicht zu verstehen, immer wieder wird auf Demonstrationen diese Auflösung gefordert.

Auch die alltäglichen Probleme sind nicht verschwunden. Inflation, Arbeitslosigkeit, Lebensmittelknappheit und ein schlechtes Bildungssystem plagen nach wie vor den armen Inselstaat. Die meisten Haitianer hatten wohl auf ein Wunder gehofft und mit der Rückkehr Aristides eine sofortige Besserung der Situation erwartet. Doch auch nach der Heimkehr des 1991 weggeputschten Präsidenten flossen die internationalen Gelder kaum. Die Finanziers waren der Meinung, Haiti solle erst einmal jene 83 Mio Dollar nachreichen, mit denen es sich bei der Tilgung seiner Auslandsschulden in Verzug befand. Erst nach Zahlung Mitte Dezember gewährte die Weltbank-Tochter International Development Association (IDA) dem Land einen Kredit über 40 Mio Dollar.

Zumindest die USA-Regierung ist zufrieden. "Haiti ist eine sehr große Erfolgsgeschichte", erklärte Brian Atwood, Chef der Entwicklungsbehörde AID, unlängst bei einem Besuch auf der Insel. Die AID hat mit ihren Beraterstäben die Politik Haitis offenbar im Griff. Eine Erhöhung des Mindestlohnes, der zur Zeit einen Dollar täglich beträgt, lehnt man ab. "Das reicht", so ein Sprecher der Behörde. Und die Regierung Aristides fügt sich. Anders noch, als kurz nach Amtsantritt vor drei Jahren. Damals zog sie sich mit einer Anhebung des Mindestlohnes den Zorn Washingtons zu – ist der US-amerikanische Markt doch Hauptprofiteur der in Haiti billig hergestellten Sportutensilien und Textilien.

Die USA-Regierung hat sich mit ihren Vorstellungen durchgesetzt. Im 20köpfigen Kabinett Aristides sitzen keine Vertreter der Volksbewegungen, sondern ausschließlich solche der Bourgeoisie. Der ehemalige Befreiungstheologe ist umgeben von USA-Beratern, die dafür sorgen, daß er sich nicht seiner früheren Reden entsinnt. Doch auch, wenn er es nicht tut die Bevölkerung erinnert sich daran und beobachtet den alten neuen Präsidenten, der nicht mehr der alte ist, argwöhnisch. Auch in den Volksbewegungen wächst der Unmut. Ein vom Präsidenten vor einigen Wochen einberufenes Treffen wurde von vielen boykottiert. Von der USA-Regierung gegründete Gruppen und solche, die den Putsch befürwortet hatten, waren hingegen stark vertreten.