Mexiko: EZLN will Volksbefragung durchführen

Ende des Schweigens

"Ohne die indigenen Gemeinschaften wird es weder einen Übergang zur Demokratie geben noch eine Staatsreform oder eine reale Lösung für die wichtigsten Probleme des Landes." So die EZLN in ihrer fünften Grundsatzerklärung am 11.08.98. Erst wenige Tage vorher hatte die zapatistische Guerilla mit einem Kommuniqué des Subcomandante Marcos ihr monatelanges Schweigen gebrochen, die politische Initiative erneut ergriffen - und der Regierung einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Diese hatte das lange Schweigen der Zapatisten immer wieder öffentlich als Vorbereitung neuer militärischer Aktionen interpretiert und Meldungen unmittelbar bevorstehender Angriffe der EZLN lanciert. Demgegenüber bezeichnete die EZLN selbst ihr Schweigen als "Kampfinstrument, das die Regierung nicht kannte und gegen das sie nichts unternehmen konnte".

Die Zedillo-Regierung hatte wiederholt militärische und repressive Aktionen gegen die autonomen zapatistischen Landkreise, internationale Beobachter- und mexikanische Menschenrechtsorganisationen ausgeführt, ohne daß die EZLN direkt darauf reagierte. Nun kündigte die zapatistische Guerilla an, sie werde gemeinsam mit anderen Organisationen in ganz Mexiko eine Volksbefragung über die Gesetzesinitiative der parlamentarischen Friedenskommission COCOPA durchführen. Dazu will sie in jede der mehr als zweitausend Städte und Landkreise eine eigene Delegation entsenden, die die Initiative erklären und sich an der Durchführung der Volksbefragung beteiligen soll.

Der COCOPA-Entwurf schlägt eine verfassungsrechtliche Verankerung der Anerkennung kollektiver Rechte der indigenen Gemeinschaften vor - in Anlehnung an das Abkommen von San Andrés, das 1995 von EZLN und Regierung unterschrieben, aber seitens der Regierung nie umgesetzt wurde. Obwohl in der Friedenskommission VerteterInnen aller Parteien - also auch der regierenden PRI - sitzen, wird ihre Arbeit von seiten der Regierung konsequent ignoriert. Nachdem sich aber die von der Diözese von San Cristobal gegründete Verhandlungskommission CONAI Anfang Juli aufgelöst hat, ist die Bedeutung der COCOPA gewachsen.

Einzelne Mitglieder der Friedenskommission reagierten positiv auf die Zapatisten-Erklärung. Felix de Jesús Vicencio, COCOPA-Sprecher und Mitglied der konservativen Oppositionspartei PAN, erklärte, die Initiative habe der Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konfliktes in Chiapas Raum gegeben. Jetzt sei die Regierung aufgefordert, ihren politischen Willen unter Beweis zu stellen, um den Dialog zu konkretisieren.

Auf große Zustimmung stieß die Erklärung der EZLN auch beim Nationalen Indígena-Kongreß, in dem 52 verschiedene indigene Gruppen Mexikos organisiert sind. Der Kongreß kündigte eigene Strategien für die Beteiligung an der Friedensinitiative an, ebenso wie die Nationale Landarbeitervereinigung und die Gewerkschaft der Angestellten der Nationaluniversität.

Die mexikanische Regierung reagierte indes negativ. Innenminister Francisco Labastida Ochoa verwies auf die Präsidentschaftsinitiative über indigene Rechte und Kultur, mit der dem Abkommen von San Andrés Genüge getan sei. Außerdem erklärte er, die Regierung sei weder die Geisel von Marcos noch von irgend jemand sonst.

Doch der Moment für die Initiative der EZLN ist günstig gewählt. Die mexikanische Regierung ist durch verschiedene Skandale geschwächt. Nach den im Juni an Zivilisten begangenen Massakern in Chiapas und Guerrero ist das Image der Regierung außerdem zusätzlich durch einen finanzpolitischen Skandal angeschlagen: Die mexikanische Regierung hatte im Jahr 1995 über die neugeschaffene Institution FOBAPROA 65 Milliarden US-Dollar an alle mexikanischen Banken zur Schuldendeckung überwiesen, um einen Zusammenbruch zu vermeiden. Das Geld, das ohne Zustimmung des Parlaments und ohne Prüfung der Liquidität ausgezahlt wurde, entspricht rechnerisch den gesamten mexikanischen Renten der nächsten 25 Jahre. Unter den Banken und Unternehmen, die von den Regierungssubventionen profitiert hatten, befinden sich auch jene Unternehmen, die die Wahlkampagne des aktuellen Präsidenten Zedillo im Jahr 1994 finanziert hatten.

Bleibt zu hoffen, daß es der Regierung - derart angeschlagen - schwer fallen wird, sich dem bereits einen Tag nach der Veröffentlichung breit unterstützten Vorschlag der EZLN entgegenzustellen.