Die venezolanische Regierung enteignet eine vom Eigentümer aufgegebene Fabrik. Chávez garantiert, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht angetastet wird, solange produziert werde.
Eine Papierfabrik in Arbeiterhand
Per Dekret enteignete der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Mittwoch, dem 19. Januar, den gesamten Besitz des Papierunternehmens Venepal. Die Firma hatte Anfang Dezember Konkurs angemeldet. Vor zehn Jahren war sie noch die grösste Papierfabrik Lateinamerikas. Damals hatte das Unternehmen1800 Beschäftigte. Dann begann der Eigner die Fabrik nach und nach zu demontieren. Er ist auch Teilhaber des transnationalen US-Papierkonzerns Smurfit, Venepals Konkurrenz in Venezuela. Die Fabrik in Morón im Bundesstaat Carabobo soll nun gemeinsam vom venezolanischen Staat und den ArbeiterInnen betrieben werden. Dafür hatten bis zuletzt 350 Beschäftigte und ihre Familien gekämpft. Einige von ihnen berichteten auf dem Festakt zur Unterzeichnung des Dekrets, dass sie seit vier Monaten keinen Lohn mehr erhalten haben.
Ein alter Konflikt
Der Arbeitskonflikt entbrannte Anfang 2003. «Als wir gemerkt haben, dass die Leitung das Unternehmen gezielt in den Konkurs führt, haben wir intern die Kontrolle über die Produktion übernommen», berichtet Edgar Peña, Generalsekretär der werkseigenen Papierindustriegewerkschaft Sutip. «Daraufhin entschied die Leitung am 4. Juli 2003, das Unternehmen zu schliessen und wir besetzten es, um so Druck auszuüben.» Nach achtzig Tagen kam es zu einer Einigung. Der Staat erklärte sich bereit, die Modernisierung mit fünf Millionen Dollar zu unterstützen. Dafür sollte eine Kooperative mit 400 ArbeiterInnen eingerichtet und direkt am Unternehmen beteiligt werden. Ein Gerichtsurteil verpflichtete den Besitzer auch zur Wiedereinstellung der Entlassenen und zur Zahlung der ausgefallenen Löhne. Die Arbeit wurde wieder aufgenommen, Rohstofflieferungen, Produktion und Vertrieb von den ArbeiterInnen organisiert. «Doch der Besitzer hielt sich nicht an die Vereinbarung und schloss das Werk am 7. September,» so Peña. Seitdem stehen bei Venepal alle Maschinen still, ausser dem Stromwerk, das auch eine kleine Siedlung versorgt.
Die ArbeiterInnen besetzten daraufhin den Betrieb und forderten die Nationalisierung unter ihrer Kontrolle. «Bei den Gesprächen mit Firmenleitung und Ministerien wurde uns klar, dass die Leitung weniger Überblick hat, als wir Arbeiter, und wir genug Erfahrungen gesammelt haben, um das Werk zu betreiben», so Peña. Nachdem Venepal Anfang Dezember 2004 Konkurs angemeldet hat, forderte die Nationalversammlung die Exekutive auf, gemäss der geltenden Gesetze aufgrund öffentlichen Interesses ein Dekret zur Enteignung der Güter und Immobilien des Unternehmens und seiner Filialen zu erlassen. Es wurde auch eine Untersuchungskommission gebildet, da der Verdacht auf betrügerischen Konkurs besteht.
Mit einem Sofortkredit für den Kauf von Zellulose soll nun die Produktion unter Leitung der ArbeiterInnen schnell wieder anlaufen. Zu allererst würden diverse Sozialprogramme der Regierung mit Arbeitsmaterialien beliefert werden, so der Generalsekretär der Gewerkschaft. Peña bat auch um die Unterstützung der Nationalgarde zur Sicherung des Unternehmens, da Sabotageakte seitens Personen, die sich der Kontrolle des Betriebs durch die ArbeiterInnen widersetzen, befürchtet würden. Zu schützen gibt es neben der Fabrik und einer werkseigenen Wohnsiedlung viel.
Das Gelände von Venepal umfasst insgesamt 5000 Hektaren. Auf dem Gelände stehen noch eine Schule, ein Baseballstadion, ein Hotel mit Schwimmbad, ein Klärwerk, Anlagen zur Aufbereitung von Trinkwasser und Industriewasser, ein Stromwerk und ein kleiner Flughafen, den die Besitzer nutzten, um zur Fabrik zu gelangen. Alles verlassen und ungenutzt. Auch grosse brachliegende Ländereien gehören dazu. Als landlose Bauern und Bäuerinnen diese besetzten, liess sie der Besitzer von der Polizei räumen.
Im Hinblick auf Kritiken, Venezuela würde dem «kubanischen Modell folgen», erklärte Chávez: «Wir importieren kein Modell nach Venezuela, wir erfinden hier unser eigenes.» Der Präsident geisselte den Konsumismus als «pervers» und erklärte, Venezuela könne seine Lebensweise nicht der des Nordens der Welt anpassen, denn diese beruhe auf dem «Imperialismus und der Plünderung der ärmeren Länder». Der Kapitalismus sei ein versklavendes Modell, von dem Venezuela sich befreien wolle, so der Präsident weiter, daher die Verärgerung der US-Regierung: «Sie will nicht, dass wir das Papier hier selbst produzieren; sie will, das wir es dort kaufen.» Während der Kapitalismus «die Arbeiter und damit die Volksmacht zerstören wolle, geht es hier um die Befreiung der Arbeiter». Dafür sei die Veränderung der Produktionsverhältnisse fundamental.
Chávez nimmt Stellung
Chávez wies aber auch darauf hin, dass die Enteignung eine Ausnahme sei. Niemand müsse um seinen Besitz fürchten, solange dieser genutzt werde. Die Regierung werde jedoch weiterhin geschlossene und verlassene Unternehmen wieder aufbauen. Dies ist auch die Hoffung vieler ArbeiterInnen und Gewerkschafter, denn weitere Fabriken, darunter die Nationale Ventilfabrik (CNV ) oder die Parfümproduktion Cristine Carol, wurden ebenfalls von den Eigentümern aufgegeben und von den ArbeiterInnen besetzt. Venezuela importiert einen Grossteil des im Land benötigten Kartons und Papiers. Der 1999 eingeleitete gesellschaftliche Transformationsprozess hat sich zum Ziel gesetzt, im Land eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen und so eine eigenständige nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Bisher basierte die Ökonomie des viertgrössten Erdölproduzenten weltweit auf einem Rentiersmodell, in dem über siebzig Prozent der Lebensmittel und nahezu alle Güter des täglichen Gebrauchs importiert wurden.