In der Türkei sind alle von Repression betroffen, die nicht hinter der Regierung stehen

Denken ist hier zum Verbrechen geworden

"Insan Haklari Dernegi Istanbul" -seit 1986 besteht der Menschenrechtsverein Istanbul. Gegründet vor allem durch Angehörige von Gefangenen, hat er sich zum Ziel gesetzt, gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu kämpfen. Denn Berichte über Verbrechen in Kurdistan, so Yüksel Hos, lassen sich meist auf das gesamte Land übertragen.

Zu Beginn standen die unhaltbaren Zustände in den Gefängnissen, Folter und Morde im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Heute werden auch Probleme wie Umwelt, Gesundheit oder Frauen- und Kinderrechte thematisiert. Der Verein mit Hauptsitz in Ankara verfügt mittlerweile über 54 Zweigstellen. Doch einfach ist die Arbeit nicht. Elf Mitglieder wurden in den letzten Jahren ermordet. Die Beschlagnahme ihrer Zeitschrift, Folter, Überfälle der Polizei und Schließung von Vereinsräumen, so berichtet Yüksel Hos, stehen auf der Tagesordnung.

Vereine und Parteien, die eine progressive Politik vertreten, werden in der Türkei verboten. Zuletzt traf dies die DEP, eine Partei, die sich für die Rechte der Kurden einsetzte. Ihren Abgeordneten wurde vorgeworfen, mit der PKK zu sympathisieren. Sie wurden inhaftiert und stehen nun wegen "Hochverrats" vor Gericht, ihnen droht die Todesstrafe. Hos bezeichnet den Prozeß als ein politisches Manöver der Regierung, um unter den rechten Nationalisten Stimmen für die nächsten Wahlen zu sammeln. "Die Anklage gegen sie ist juristisch nicht haltbar, ihre Äußerungen im Parlament und auf Veranstaltungen sind nicht strafbar. Da es sich aber um einen politischen Prozeß handelt, ist trotzdem mit einer Verurteilung zu rechnen. Dies ist Teil der staatlichen Kurdenpolitik."

Progressive Intellektuelle scheinen fast grundsätzlich als Staatsfeinde abgestempelt zu sein. "Denken ist hier zum Verbrechen geworden, die Gefängnisse sind voll von Lehrern, Professoren, Journalisten und Gewerkschaftern." Von den 96 verurteilten Journalisten sitzt etwa die Hälfte, weil sie für die inzwischen verbotene linke Tageszeitung Özgür Gündem geschrieben haben.

Ankaras Politik, die Kurden zu leugnen, hat auch zu einer Stärkung der türkischen Nationalisten geführt, die Einzelne und Gruppen angreifen. "Das Klima ist inzwischen so, daß Menschen, die jahrelang zusammengelebt haben, sich jetzt meiden, nicht mehr in bestimmten Läden kaufen, keine Arbeit oder Wohnung mehr bekommen", so Hos. Und davon sind nicht nur Kurden betroffen. Minderheiten wie etwa Juden, Sinti und Roma, Aleviten, Griechen und Armenier, oft enteignet und vertrieben, haben keine Rechte, sind diskriminiert, sollen assimiliert werden. "Sie dürfen z. B. keine neuen Schulen eröffnen", berichtet Hos. Auch Anschläge und Schändungen von Gebetshäusern und Friedhöfen nehmen zu.

Große Teile der türkischen Bevölkerung wollen den Krieg in Kurdistan nicht mehr, viele Soldaten desertieren oder begehen Selbstmord. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht, sie werden von der Armee unter Verschluß gehalten, um die Kampfmoral nicht weiter zu schwächen. Hos und der Menschenrechtsverein versuchen, auch Deserteuren zu helfen. Daß die Bundesrepublik die Türkei weiterhin massiv stützt und mit Waffen beliefert, ist für ihn fast schon kriminell.