Präsidentenrede vor Diplomatischem Korps. US-Einmischung offengelegt. Demonstration der Opposition

Chávez-Appell an Botschafter

Eine großangekündigte Demonstration der Opposition hat in Caracas am Samstag weniger Teilnehmer als erwartet auf die Straße gebracht. Rechte Gruppen hatten wegen angeblichen Betrugs des Nationalen Wahlrates bei der Auszählung von Unterschriften für ein Abberufungsreferendum gegen Hugo Chávez aufgerufen. Trotz medialer Dauermobilisierung nahmen an der Demonstration höchstens 100 000 Personen teil. Auch die Abschlußkundgebung war eher schwach besucht, die Menschenmenge sehr verstreut. Dennoch verkündeten Oppositionsführer, der »Kampf zur Verteidigung der Unterschriften« werde »mit allen Mitteln« weitergeführt. Immer deutlicher wird auch die Parteinahme der ausländischen Medien: Die meisten Agenturen und internationalen Medienvertreter stützen sich ausschließlich auf Informationen der Chávez-kritischen Medien Venezuelas. So war auch in deutschen Medien am Wochenende meist von Hunderttausenden Demonstranten die Rede.

Parallel zu dem Protest der Opposition hatten sich Anhänger der Regierung auf einem der regelmäßig stattfindenden »Megamärkte« versammelt, auf denen Lebensmittel – vom Staat gekauft oder von Bauernkooperativen direkt vertrieben – durch die Ausschaltung von Zwischenhändlern erheblich billiger verkauft werden. Das Modell soll die ausreichende Versorgung der armen Bevölkerung mit Grundbedarfsgütern und Lebensmitteln sichern. Zu Beginn der Aktionen hatten Aktivisten bolivarianischer Basisorganisationen am Samstag morgen die Studios des rechten oppositionellen Senders »Radio Caracas Radio« (RCR) besetzt. Sie erreichten die Ausstrahlung einer Erklärung, in der sie den Privatmedien vorwarfen, als Plattformen der putschistischen Opposition zu fungieren. Anschließend zogen sich die Besetzer ohne Zwischenfälle zurück.

In der vergangenen Woche waren bei Auseinandersetzungen zwischen Nationalgarde und Militärpolizei auf der einen und oppositionellen Demonstranten sowie oppositionell geführten Polizeieinheiten auf der anderen Seite neun Personen ums Leben gekommen. Die meisten starben durch den Einsatz von Schußwaffen von regierungsfeindlichen Polizeieinheiten oder bei Attacken von Heckenschützen. Obwohl fünf Nationalgardisten von Kugeln verletzt wurden, ist ihnen der Schußwaffeneinsatz von Regierungsseite bislang untersagt worden. Laut Verfassung ist der volle Einsatz der Nationalgarde erst nach Verhängung des Ausnahmezustandes zulässig.

Vermeintliche Todesfälle durch den Einsatz der Nationalgarde, von denen die Opposition und die von ihr kontrollierten Medien ständig berichten, konnten bisher nicht belegt werden. In einer von bedeutenden Menschenrechtsorganisationen Venezuelas unterzeichneten Erklärung wird eine transparente Untersuchung gefordert und der Einsatz »exzessiver Gewalt« durch die staatlichen Institutionen verurteilt. Der Aufruf, auf den Gebrauch von Schußwaffen zu verzichten, richtet sich aber nicht an offizielle Stellen, sondern »an Demonstranten beider Seiten«. Und auch die Beteiligung der von Chávez-Gegnern geführten Polizeieinheiten an den Ausschreitungen wird ausdrücklich verurteilt. Mordanschläge durch Angehörige der oppositionell kontrollierten Stadtpolizei Caracas´ (Policía Metropolitana) auf Repräsentanten regierungsnaher linker Organisationen hatten sich während der jüngsten Proteste massiv gehäuft.

Die US-Administration hat sich ebenso wie die spanische Regierung und die EU ungeachtet der Fakten in den vergangenen Tagen »besorgt« über das Vorgehen der Regierung geäußert. Man wünsche sich, hieß es aus Washington, Madrid und Brüssel, daß es in Venezuela zu einem Referendum kommen könne und so ein »demokratischer und friedlicher Weg« der Konfliktlösung eingeschlagen werde.

Derweil wies am Freitag abend Präsident Hugo Chàvez in einer Rede vor den in Venezuela akkreditierten diplomatischen Vertretern die Einmischung der USA zurück. Er legte die Beteiligung der US-Regierung am Putsch im April 2002 dar und mahnte vor allem die Länder des Südens zur Initiative. Es müsse Schluß sein mit der Gleichgültigkeit gegenüber dem Vorgehen der US-Administration, die nach Belieben Regierungen stürze. Das jüngste Beispiel, so Chávez, sei Haiti. Der US-Botschafter, Charles Shapiro, blieb der Rede fern, während General James Hill, Leiter des Südkommandos der US-Armee, einen Tag später in der üblichen Einfallslosigkeit auf die »mögliche Anwesenheit islamischer Terroristen« in Venezuela hinwies.

Während seiner Rede legte Chávez Fotos vor, mit denen die Beteiligung von Oppositionsführern an den Ausschreitungen belegt wurde. Gefilmt wurde auch Leopoldo Lopez, der Bürgermeister des wohlhabenden Hauptstadtbezirks Chacao, in dem sich fast eine Woche lang die schwersten Unruhen abspielten. Lopez gehört der von verschiedenen konservativen Kräften Europas unterstützten Partei »Primero Justicia« (Zuerst Gerechtigkeit) an. Chàvez präsentierte zudem mehrere Dutzend Beispiele für falsche Unterschriften aus der Unterschriftensammlung der Opposition für das Referendum gegen ihn. Mindestens 870 000 sollen einer öffentlichen Überprüfung unterzogen werden, was die Opposition als »Betrug« und »Unterschriftenraub« verurteilt. Bei den von Chávez vorgelegten Beispielen existierten eingetragene Ausweisnummern nicht, hatten die Unterschriften Verstorbenen gehört oder stimmten nicht mit den Namen überein. In anderen Fällen lagen schriftliche Zeugnisse von Unterzeichnern vor, die angaben, von ihrem Arbeitgeber zur Unterschrift gezwungen worden zu sein. Chávez erinnerte daran, daß die Opposition bei aktuell 1,832 Millionen anerkannten Unterschriften die notwendige Anzahl von 2,45 Millionen Unterschriften durchaus erreichen könne, wenn die beanstandeten Unterschriften die öffentliche Prüfung mehrheitlich bestehen. In diesem Fall würde die Regierung ein Referendum »selbstverständlich« akzeptieren. Er erinnerte auch daran, daß die Möglichkeit eines Referendums erst unter seiner Regierung eingeführt wurde. Die Opposition hatte diese fortschrittliche Verfassung zunächst abgelehnt, war jedoch bei einer Volksabstimmung mit 80 Prozent der Stimmen geschlagen worden.