Eduardo Galeano über Fußball, Macht und Politik

Gerechtigkeit gibt es nur in Fazendinha

Bekannt wurde der uruguayische Autor Eduardo Galeano vor allem als politischer Essayist und Chronist der sozialen Kämpfe Lateinamerikas („Die offenen Adern Lateinamerikas“ und „Erinnerung an das Feuer“). Vor einigen Monaten führten die Lateinamerika Nachrichten ein langes Interview mit Galeano über Utopien und soziale Widersprüche am Ende des Jahrhunderts (vgl. LN 282). Bei dieser Gelegenheit befragten wir ihn auch zu seinem Interesse für Fußball und seinem neuesten Werk, einer Chronik des Fußballs in Lateinamerika (siehe obige Rezension).

Sie haben vor 25 Jahren ihr Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“ veröffentlicht, das eine ganze Generation der sich politisierenden Jugend Lateinamerikas tief geprägt hat. Sie gelten allgemein hin als politischer Autor, doch vor kurzem ist von Ihnen ein Buch über Fußball erscheinen. Weshalb haben Sie ein Fußballbuch geschrieben?

Wie hätte ich kein Buch über Fußball schreiben können? Es gibt wenig Spiegel der Realität, die so mächtig sind wie der Fußball und so wichtig als Quellen kultureller Energie. Die Leute erkennen sich in der Art zu spielen wieder, so wie sie sich in der Art zu Essen oder zu Tanzen wiedererkennen, das sind kulturelle Indikatoren. Sag mir wie du spielst, und ich sage dir, wer du bist.

Das heißt, auch Machtverhältnisse spiegeln sich im Fußball wieder?


„Die offenen Adern Lateinamerikas“ handelte von den Exportindustrien. Es geht darum, daß die lateinamerikanischen Länder zu einer Entwicklung nach außen verurteilt sind. Anstatt nach innen gerichtet zu sein, folgt ihre Entwicklung fremden Bedürfnissen. Das findet auch seinen ideologischen und kulturellen Ausdruck: in der Verachtung für alles von innen kommende und der Verehrung dessen, was von außen kommt sowie der Verachtung für alles von unten kommende und der Unterordnung unter alles, was von oben kommt. Im Fußball ist es genauso. Fußball ist in Lateinamerika eine Exportindustrie. Ich komme aus Uruguay, einem Land, das Beine verkauft. Es verkauft Hände, also Arbeitskraft, aber auch Beine, wir könnten es die „Beinkraft der Fußballfelder der Welt“ nennen. Es ist also eine Exportindustrie im Dienste fremder Interessen, so wie jede andere Industrie auch.

Was ist am Fußball noch politisch?


Es gibt im Fußball keinen Bereich, der nicht den Verdacht erwecken würde, politisch zu sein. Daher finde ich es immer sehr unterhaltsam, wenn die Männer der FIFA erklären, es sei verboten, politische Propaganda zu machen, wo sie es doch die ganze Zeit tun. Sie machen politische Propaganda für ein monarchistisches und undemokratisches Machtsystem. Wenn sie den Spielern nicht einmal die Möglichkeit einräumen, „piep“ zu sagen, wenn es darum geht Entscheidungen zu treffen. Der Generalsekretär der FIFA Joseph Blatter wurde kürzlich befragt, was er über die internationale Spielergewerkschaft denke. Und dieser Oberbürokrat, der immer in dicker Limousine mit schwarzem Chauffeur herumfährt, aber in seinem ganzen Leben außer als Zuschauer noch nie ein Fußballfeld betreten hat, antwortete: „Mit den Spielern haben wir nichts zu reden, das sind Angestellte“. Die Spieler sind aber die Protagonisten der Veranstaltung, also ist Fußball antidemokratisch organisiert, so wie es mit der Welt auch ist. Der Fußball ist ein Spiegel der Welt.

Gibt es einen rechten und linken Fußball?


Nein, ich glaube nicht, daß er an dieser Linie entlang verläuft. Er ist Indikator kultureller Identität. Es gibt verschiedene Arten zu spielen und sie reflektieren die verschiedenen Arten zu sein, in einer Welt, die glücklicherweise verschiedenartig ist. Der Fußball tendiert ebenso zu einer Angleichung, zu einem Fußball, der aus Geschwindigkeit und Kraft besteht. Aber man sieht ja, was mit Brasilien geschieht. Ich habe mir die letzten Spiele angesehen, und es war ein Fest für die Augen, ein Wunder. Ich mag Fußball sehr gerne und es tut mir leid, wenn das der intellektuellen Tradition der Verachtung gegenüber dem Fußball entgegenläuft. Für die rechten Intellektuellen ist der Fußball der Beweis dafür, daß das gemeine Volk mit den Füßen denkt und für die linken Intellektuellen ist der Fußball daran schuld, daß die Bevölkerung nicht denkt. Wenn es den Fußball nicht gäbe, wäre schon längst eine soziale Revolution ausgebrochen und sie wäre rein und wirklich. Wir wären alle glücklich, wenn es den Fußball nicht gäbe ...

Doch das einzige Zentrum der Gerechtigkeit, das auf diesem Planeten existiert, ist eng mit Fußball verknüpft. Es handelt sich um einen Ort Namens Fazendinha, ein kleines verlorenes Dörfchen an der Mündung des Amazonas. Das ist das Reich der Gerechtigkeit, denn das Fußballfeld wird dort genau in der Mitte durch den Äquator geteilt, jede Mannschaft spielt also eine Halbzeit auf der nördlichen Halbkugel und eine Halbzeit auf der südlichen. Das ist der einzige Platz auf diesem Plane­ten, an dem Gerechtigkeit herrscht. Überall sonst ist der Kampf ungleich, denn die reichen und die armen Länder messen sich nie mit gleichen Bedingungen, ebensowenig die unterernährten Spieler und die gutge­nährten Athleten. Aber der Fußball hat eine unglaubliche Fähigkeit zur Überraschung, und das hält ihn als universelle Leidenschaft am Leben. Südamerika hat mehr Weltmeisterschaften gewonnen als Europa, das wäre vom finanziellen Standpunkt aus unerklärlich. Wenn Wirtschaftsmacht und Sportresultate gleich laufen würden, gäbe es nicht solche Ergebnisse.